Packend und abgründig: Henzes "Das verratene Meer" an der Wiener Staatsoper

Xl_dasverratenemeer-henze-wien-12-20-1 © Michael Pöhn

Er selbst hielt sie für seine stärkste Oper, auch wenn sie bei der Uraufführung 1990 in Berlin durchfiel. Aber Hans Werner Henze (1926 - 2012) ließ nicht locker, überarbeitete sein „Schmerzenskind“, ließ das Libretto wieder zurück ins Japanische übersetzen und das Werk 2003 in Tokio nochmals konzertant aufführen. Damals hieß das Werk noch „Gogo No Eiko“ (Der Seemann, der die See verriet“) Für die Salzburger Festspiele 2006 hat der deutsche Komponist die Oper nochmals überarbeitet und rund eine halbe Stunde neue Musik hinzugefügt. Jetzt wurde das eher selten aufgeführte Musikdrama „Das verratene Meer“ an der Wiener Staatsoper erstmalig aufgeführt. Es sollte die erste, echte und neue Premiere der neuen Direktion Bogdan Roscic werden, denn die bisher gezeigten „Premieren“ waren alle schon irgendwo zu sehen. Aber Covid 19 machte einmal mehr der geplanten Unternehmung einen Strich durch die Rechnung und die Premiere fand unter den Ausschluss der Öffentlichkeit statt, wurde aber live in ORF III übertragen. Wieder war nur eine Handvoll auserwählter Journalisten zugelassen.

Die Geschichte, die auf einem Roman des ebenso verehrten wie auch unumstrittenen Schriftstellers Yukio Mishima, dem Meister literarischer Gewaltexzesse, beruht, wurde vom Librettisten Hans-Ulrich Trekel umgestaltet und die Brutalität so mancher Szenen gemildert. Es geht um eine brutale Jugendbande in Yokohama, der sich der dreizehnjährige, fiebrig pubertierende Noboru gegen den Willen seiner Mutter anschließt. Diese hat nach mehrjährigem Witwendasein einen Seemann kennengelernt und will ihn heiraten. Die Gefühlskälte und Gewaltbereitschaft der Gang sind jedoch so groß, dass sie bis zum kaltblütigen Mord führen. Der banale Grund ist, weil der Seemann aus Liebe zur Mutter dem Meer und seinem Beruf entsagen will.

In der neuesten Fassung packt das „Verratene Meer“ mit den markanten Schlagwerkrhythmen, den grandiosen Bläsersätzen, den sanft dissonierenden, langen Zwischenspielen, den weiten Melodien und der opulent-romantischen Klangsprache insgesamt. Vor allem wenn sie derart bildhaft - effektvoll, nuancenreich und aufregend musiziert werden, wie vom insgesamt exzellent spielenden und riesig besetzten Orchester der Wiener Staatsoper unter der Dirigentin Simone Young.

Von dem gut singenden Ensemble gefallen vor allem Vera-Lotte Boecker, die schon bei Henzes „Bassariden“ bei den Salzburger Festspiele 2018 sehr positiv auffiel, als klar und rein singende Mutter Fusako, die auch zweimal im Kimono zu sehen ist. Weiters beeindruckt der Spezialist für Zeitgenössisches und immer tolle Singschauspieler Bo Skovhus als gutmütiger Schiffsoffizier Ryuji mit raumgreifendem, präsentem Einsatz. Joss Lovell ist der getriebene Sohn Noboru und singt ihn mit schneidendem, jugendlichem Tenor und viel Wut-Potenzial. Als Chef der Jugendbande gefällt Erik Van Heyningen auch besonders. Kangmin Justin KimStefan Astakhov sowie Martin Häßler runden ideal singend die Gang ab.

Trostlos und düster ist die praktikable Einheitsszenerie von Anna Viehbröck (auch für die Kostüme verantwortlich), ein betonartiger, grauer Einheitsraum, der sich geschickt in ein Schiff, einen Hafen, ein Zimmer oder die Boutique verwandeln kann. Die seit Jahren eingespielten Regisseure Jossi Wieler und Sergio Morabito, letzteren hat Direktor Roscic als Chefdramaturgen an die Staatsoper geholt, zeigen mit einfachen Mitteln ein Kammerspiel der zerrissenen Seelen. Sie sind Könner der individuellen Personenführung und sparen weder mit Gewalt noch mit Erotik.

Live ist das Stück dann erst im September 2021 zu erleben und da sollte es dann doch den verdienten Applaus geben.

Dr. Helmut Christian Mayer

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