Bunt leuchtet das große und dominante Disney-Schloss auf der sich fast immer bewegenden Drehbühne. Auf der Hinterseite befinden sich kleine, knallbunte Zimmer, die an ein Barbie-Puppenhaus erinnern. In einem der oberen wohnt die Titelheldin, ein stets rebellierender, trotziger Teenager mit Turnschuhen, die gleich einmal ihr Prinzessinnen-Kleid aus Protest anzündet und dann ziemlich verkohlt trägt. Arielle, Tinkerbell, Rapunzel, Schneewittchen: Unschwer sind die Damen des Chors in ihrer Kostümierung zuzuordnen, ausnahmslos als Prinzen mit Kronen, langen, glänzenden Haaren, die an Prinz Eisenherz erinnern, und einem Muskelanzug präsentieren sich hingegen die Herren. Und deren Kostüme sind alle bunt und schrill. Als ziemlich überzogene, überfrachtete Märchenrevue wird Gioacchino Rossinis „La Cenerentola“am Grazer Opernhaus gezeigt. Dafür sorgt Ilaria Lanzino in ihrer rasanten Inszenierung ohne Stillstand. Statt eines Balls beim Prinzen heulen Männer in Wolfskostümen in einer Höhle mit Dornenbüschen, die Damen erscheinen alle als Rotkäppchen. Dann tauschen Aschenputtel und der Prinz ihre Kostüme. Sein Diener Dandini erscheint zu Beginn als hüpfender Frosch (Bühne und Kostüme:Dorota Karolczak).
Und der Strippenzieher des Ganzen ist der Philosoph Alidoro im weißen Anzug mit goldenen Flügeln, die später der Titelheldin angeschnallt werden. Er wird mit angenehmer Weichheit von Kim Daeho gesungen. Alidoro wird übrigens von einem Frosch erschossen, taucht aber später wieder unversehrt lachend im Publikum auf, während das Schloss in Brand gesteckt wird. Und plötzlich hängen in der Pause im Foyer und auch im 2. Akt auf der Bühne dann überall Fahndungsplakate mit einem Foto und der Aufschrift: „Wanted: Mysteriöse Prinzessin gesucht!“ Aber das sind bei weitem nicht alle der völlig überzogenen Ideen der italienischen Regisseurin in dieser letzten Opera buffa von Rossini. Lanzino will damit ein Herausbrechen der gängigen Geschlechterrollen darstellen. Sie sprudeln überbordend nur so hervor, sind aber kaum nachvollziehbar und lassen einen bald ratlos zurück.
Für temporeiche Revue ohne Stillstand stehen ihr exquisite Singschauspieler zur Verfügung: Anna Brull singt die diffizile Titelpartie des Aschenputtels mit einem flexiblen, farbigen Mezzosopran und saubersten Koloraturen. Allerdings muss sie ihre erste Arie mit Kopfhörern ganz flach wie ein Rockstar singen. Pablo Martínez ist der auf Brautschau gehende, feschePrinz Don Ramiro mit ausgesprochen schönem, lyrischem Tenor und mühelosen, höchsten Spitzentönen ausgestattet. Sein Kammerdiener Dandini ist Ivan Orescanin darstellerisch immer als halber Frosch kostümiert und stimmlich gut nur teils etwas rau klingend. Wilfried Zelinka besitzt als witziger Don Magnifico einen kernigen und stimmgewaltigen Spielbass. Seine beiden stimmlich makellosen Töchter sind Sofia Vinnik und Ekaterina Solunya. Der Chor des Grazer Opernhauses (Einstudierung: Johannes Köhler) singt klangschön, muss jedoch ab und zu vorauseilend vom Dirigenten eingefangen werden.
Leider lässt Dirigent Marius Burkert manchmal die Grazer Philharmoniker recht laut und zu wenig sensibel musizieren, wodurch teils Sängerinnen zugedeckt werden. Insgesamt hätte man sich von ihm auch mehr Spritzigkeit gewünscht. Es sind aber viel virtuose Leichtigkeit und reiche Akzente zu hören.
Uneingeschränkte Zustimmung des noch verbliebenen Publikums, von dem doch etliche in der Pause das Haus verlassen haben.
Dr. Helmut Christian Mayer
20. November 2024 | Drucken
Kommentare