Es sind allein rund 15 Rollen zu besetzen, davon zehn Hauptrollen, inklusive drei Sopran-Primadonnen, einem Alt, zwei Tenören und vier tiefen Männerstimmen. Alle sind versorgt mit extrem fordernden Arien und dauerbeschäftigt auch in den Ensembles. Gioachino Rossini hat bei „Il viaggio a Reims“, seiner vorletzten Oper, entstanden 1825 in Frankreich aus Anlass der Krönung von Kaiser Karl X, ein Werk für die damals prominentesten Sängerinnen und Sänger geschaffen. Da hat der italienische Komponist noch einmal tief in seine bestbewährte Belcanto-Trickliste gegriffen und hält alles in Überfülle parat.
Jetzt kann man die selten aufgeführte Opera-buffa am Salzburger Landestheater als Eröffnungsproduktion der neuen Saison mit einem, kaum Schwachstellen aufweisenden Sängerensemble erleben, wobei sich alle Damen bei den halsbrecherischen Koloraturen auszeichnen: Anita Giovanna Rosati, stets mit reiner Harfenbegleitung, zündet ein Koloraturenfeuerwerk als glasklare Corinna. Ungemein flexibel und sauber hört man Katie Coventry als Marchesa Melibea sowie Nicole Lubinger als zickige, feine Contessa di Folleville. Amber Norelai gefällt als Madame Cortese. Über einen schönen lyrischen Tenor verfügt Hyunduk Kim als Belfiore. Mit einem Tenor, der in schwindelnde Höhen klettern kann, hört man Theodore Browne (Conte Libenskof). Kraftvoll: Georges Humphreys (Lord Sidney), der mit einem Taschentuch einer EU-Fahne dem Brexit von Großbritannien bedauert. Verlässlich: Daniele Macciantelli (Don Profondo) und Yevheniy Kapitula (Don Alvaro) und die vielen weiteren Partien. Sehr homogen agiert der Chor des Salzburger Landestheaters.
Carlo Benedetto Cimento am Pult des Mozarteum Orchesters Salzburg lässt Rossinis geniale Partitur mit federndem Rhythmus und viel spritzigem Esprit kichern und funkeln, dass es eine Freude ist. Exzellent hört man die Harfenistin, die in der Proszeniumsloge situiert ist sowie die Soloflötistin.
Korrespondierend zur musikalischen Rasanz ist auch die tempo- und gagreiche Inszenierung von Andrea Bernard zu erleben: Eine in Ohnmacht fallende Contessa in Leopardenkostüm, weil ihr Gepäck verloren gegangen ist, ein handfester Eifersuchtsstreit, immer wieder wird allerlei, auch rauchendes und übelriechendes Gepäck vorbeitransportiert, witzige Lautsprecherdurchsagen, eine Sängerin, die vor einer riesigen Glasscheibe schwebt.
Die Liste der überdrehten Ideen und Gags ließe sich noch reichlich fortsetzen, die dem Regisseur da eingefallen sind. Immerhin gilt die Oper als eines der erheiterndsten und verrücktesten Unterhaltungsstücke, die je ein Opernkomponist verfasst hat.
Was gar nicht so einfach ist, denn die Oper ist völlig handlungsarm und beschränkt sich auf die Schilderung einer aus halb Europa angereisten, bunten und teils noblen Gesellschaft, die sich eigentlich im Hotel zu „Goldenen Lilie“ in der französischen Provinz trifft und dort strandet, weil keine Pferde mehr zur Verfügung stehen. Hier im Heute sieht man auf der Drehbühne einen Flughafen mit einer gläsernen Abflughalle mit Check-In Schaltern und Rolltreppen (Bühne: Alberto Beltrame) und eine gleichnamige Billig-Fluglinie „Goldenen Lilie“ in teils überzeichneten Kostümen (Elena Beccaro). Die Weiterreise zu den Krönungsfeierlichkeiten nach Reims scheitert, weil alle Flüge gecancelt sind.
Es wird von der teils exzentrisch, aufgeblasen gezeigten, bunten Gesellschaft aus den verschiedensten Ländern in rasanten Tempi ohne Stillstand agiert, wobei der Regisseur die nationalen Klischees weidlich auskostet und jedes Musikstück durchinszeniert. Anfangs vielleicht noch etwas zu verblödelt, wird die Regie immer mehr zur köstlichen, kurzweiligen Revue. Zum Schluss werden noch fast von jedem Protagonisten die nationalen Hymnen vorgetragen und mit „Viva Europa“ das Happyend gefeiert.
Das Publikum wird ungemein zum Schmunzeln und Lachen animiert und reagiert zum Finale mit Riesenjubel!
Dr. Helmut Christian Mayer
29. September 2024 | Drucken
Kommentare