Das muss ihm erst einmal einer nachmachen: Mittlerweile ist er bereits 97 Jahre alt und steht bzw. sitzt er in seiner beispiellosen Karriere immer noch am Orchesterpult. Herbert Blomstedt ist und bleibt eben eine Ausnahmeerscheinung unter den sogenannten Pultstars: Völlig uneitel ist er zudem, stets bescheiden und ausschließlich dem Werk dienend. Der gebürtige US-Amerikaner, Sohn schwedischer Eltern hat auch dieses Jahr noch einiges vor, denn es sind noch mehrere Auftritte in Leipzig, Berlin und im Jänner 2025 in München geplant. Jetzt erlebte man den Grandseigneur der Dirigenten beim ersten Konzert der Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen im vollen Großen Festspielhaus und zwar mit diesem Programm gleich zweimal.
Eingangs erklang das „Schicksalslied“ von Johannes Brahms nach einem Gedicht von Friedrich Hölderlin, wo der Unterschied zwischen himmlischem und irdischem Dasein beschrieben wird: Dort selige Ruhe in lichten Höhen, hier ruheloses Umhergetriebensein und Absturz ins Ungewisse. Ein idealer Kontrast für die musikalische Vertonung. Dabei wurde die ruhige, schwebende und gleichzeitig sehnsuchtsvolle musikalische Atmosphäre des Himmels der dunklen, bedrohlichen, rhythmisch getriebenen Musik für die Erde bei den Wiener Philharmonikern unter seinem knappen Dirigat mit kleinsten Gesten ideal gegenübergestellt. Schon hier konnte auch der Wiener Singverein (Einstudierung: Johannes Prinz) seinen hohen Standard zeigen.
„Alles, was Odem hat, lobe den Herrn“: Leitmotivisch ertönte dieses würdevolle Thema gleich zu Beginn in den Posaunen, kehrte mehrfach wieder, auch in einem ausladenden Chor, um dann im Finale im vollen Chor und Orchester hymnisch zu enden: Als Hauptwerk der Matinee erklang die 2. Symphonie, mit dem Beinamen „Lobgesang“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, eine Sinfoniekantate mit Worten aus der Heiligen Schrift, nach dem Vorbild von Beethovens „Neunter“ komponiert aber deren hymnischen Tonfall ostentativ vermeidend.
Ein farbenprächtiges Tongemälde ließ Herbert Blomstedt hier die Wiener Philharmoniker malen: die einzelnen Phrasen auskostend, mit großer melodischer Ausdruckskraft, farblicher Ausfeilung, immer spannungsreich und auch mit etlichen dramatischen Akzenten.
Homogen, mächtig wie auch subtil und klangschön erlebte man hierbei auch den exzellenten, groß besetzten Chor. Exquisit waren auch alle drei Solisten: Allen voran sang Tilman Lichdi mit seinem ausdruckstarken, schönen Tenor ungemein textverständlich. An Wortdeutlichkeit mangelte es hingegen etwas bei den Damen: Christina Landshamer sang anfänglich mit etwas viel Vibrato aber sauberem Tönen ihres Soprans, als zweite Sopranistin hörte man Elsa Benoit sehr feinsinnig.
Beide Werke wurden vom restlos begeisterten Publikum lautstark umjubelt!
Dr. Helmut Christian Mayer
31. Juli 2024 | Drucken
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