Seine Karriere dauert bereits 60 Jahre lang. Jetzt ist er 94 Jahre alt und dirigiert den ganzen Abend immer noch im Stehen und das zweite Werk auswendig: Herbert Blomstedt ist schlichtweg ein Phänomen. Denn der schwedisch-amerikanische Maestro wirkte immer noch ungemein vital, souverän und zeigte Einsätze oft nur mit kleinsten Bewegungen seiner Finger. Diesmal erlebte man den Grandseigneur unter den Dirigenten beim letzten Konzert der Wiener Philharmoniker bei den diesjährigen Salzburger Festspielen im Großen Festspielhaus zuerst bei der so gut wie nie aufgeführten 3. Symphonie mit dem Beinamen „Liturgique“ von Arthur Honegger. Es ist eine der beeindruckendsten musikalischen Reaktionen auf die Schrecken des zweiten Weltkrieges (die Uraufführung fand 1946 in Zürich statt). Die drei Sätze dieses Werks tragen Titel aus der katholischen Liturgie. Bei der religiös inspirierten, rein instrumentalen Symphonik wurden die unmenschlichen Grausamkeiten, die im hoch expressionistischen Werk abgebildet sind, von den Musikern, auch solistisch drastisch herausgearbeitet. Erst nach dem niederschmetternd musizierten Höhepunkt im dritten Satz erklang die aufkommende Hoffnung zum Finale mit wunderbaren, feinen Lyrismen.
Bei der 4. Symphonie von Johannes Brahms hingegen konnte man im Wohlklang baden: Die verschwenderischen musikalischen Einfälle gefielen im ersten Satz. Wunderbar farbig und warm hörte man die Streicher insbesondere im harmonisch reichen herrlichen Seitenthema des Andantes. Strahlend erklangen Blech und Holz wie auch die finale, monumentale Chaconne, die ein Bassthema der Bach-Kantate „Nach dir Herr, verlangt mich“ aufgreift, mit herrlichen Valeurs und großer Brillanz. Hier zogen Dirigent und Musiker alle denkbaren Register an Dynamik und Nuancen und wurden dem Spätstil Brahms voll gerecht.
Stehende Ovationen!
Dr. Helmut Christian Mayer
03. September 2021 | Drucken
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