Hoch über seinem Kopf hebt der Dirigent beim frenetischen Schlussapplaus die Partitur des Komponisten. Dann küsst er sie auch noch und das Publikum jubelt noch mehr. Zum 100. Geburtstag von Gottfried von Einem wurde, noch dazu am Uraufführungsort in Salzburg vor 65 Jahren, seine Oper Der Prozess nach dem Roman von Franz Kafka in der vollen Felsenreitschule konzertant aufgeführt. Die Uraufführung 1953 war eine Rehabilitation des Komponisten, der sich 1951 als damaliges Direktoriumsmitglied der Salzburger Festspiele für Bert Brecht eingesetzt hatte. Der damals staatenlose Autor sollte im Auftrag von Einem einen „Totentanz“ für Salzburg schreiben und dafür die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen. Als dies publik wurde, kam es zum Skandal und Einem verlor seine Position im Direktorium.
„Warum wollen sie sich nicht fügen? Ich bin zum Prügeln bestellt also prügle ich…“ Kafka scheint aktueller denn je, wenn man so manche rechtstaatlichen Entwicklungen auf der Welt betrachtet. Es ist ja regelrecht zum Fürchten, wenn man die albtraumhaften und völlig willkürlichen Eingriffe des Gerichtes erfährt, das sich um keinerlei Legalitätsprinzip zu scheren scheint. Wenn ein Unschuldiger willkürlich verhaftet aber im Freiheit bleibt, wenn ihm nie die Anklage zu Kenntnis gebracht wird und er so zum Spielball der Behörde wird. Und wenn er schließlich diese abstrakte Schuld akzeptiert und schließlich hingerichtet wird. Also eine Art Täter-Opfer Umkehr, wobei es weder Täter und Opfer gibt. Und dazu gibt es eine ungeniert tonale, ungeniert swingende, ja teils sogar jazzelnde und immer pulsierende Musik von Gottfried von Einem. Das Stück ist ein packendes, intensives Stück Musiktheater mit einer sehr dichten musikalischen Sprache. Es wird vom ORF-Radiosymphonie Orchester Wien unter Heinz Karl Gruber - dieser hat bei Einem als Schüler Komposition studiert und war später mit ihm befreundet, also ein idealer Sachwalter seiner Musik - messerscharf und mit schneidender Präzision umgesetzt. Er meißelt die Feinmotorik des Werkes behutsam heraus und arbeitet die Lyrismen geradezu liebevoll zärtlich heraus.
Hervorragend und mit exemplarischer Wortdeutlichkeit ist das große Sängerensemble zu vernehmen, das keine Opernarien abzuliefern hat, sondern hauptsächlich einen deklamatorischen Gesang, fallweise sogar einen direkten Sprechgesang. Selten hört man so viele Gesänge immer nur auf einem Ton. Dabei ist Michael Laurenz an der Spitze zu erwähnen: Er singt den Josef K. mit allen notwendigen Fassetten des Aufbegehrens und des Sich-Fügens, mit geradezu atemberaubender Sicherheit und Durchhaltevermöge, ist er ja doch im Dauereinsatz. Auch die kniffligsten Passagen bewältigt er mit Bravour. Alle anderen Protagonisten sind in mehreren Rollen zu erleben. Auch Ilse Eerens ist wie vom Komponisten gewünscht in fast allen Frauenrollen mit sicher geführtem Sopran und samtiger Innigkeit zu bewundern. Anke Vondung fasziniert als Fräulein Grubach. Jochen Schmeckenbecher ist ein stimmgewaltiger und bedrohlicher Aufseher und Geistlicher, Lars Woldt ein intensiver Untersuchungsrichter und Prügler, beide im Dienste der Macht und beide sind Repräsentanten des Systems. Mit großer Brillanz erlebt man auch Matthias Schmidlechner als Student der Rechte und Direktor-Stellvertreter. Weiters wird man noch beeindruckt von Jörg Schneider als Gerichtsmaler Titorelli sowie von Johannes Kammler und Tillmann Rönnebeck.
Es erhebt sich nur die berechtigte Frage, ob die Produktion nicht bei einer szenischen Umsetzung noch weitaus eindrucksvoller gewirkt hätte. Opern leben nun Mal aus der Spannung zwischen Handlung und Musik. Denn einige Sänger versuchen immer wieder, insbesondere Michael Laurenz als Josef K. dem fließenden Dialog Gesten hinzuzufügen und mit den Kollegen in irgendeiner Form in Interaktion zu treten, um wenigstens etwas von der beklemmenden Handlung in irgendeiner Form sichtbar zu machen.
Zum Finale gibt es stehende Ovationen eines restlos begeisterten Publikums!
Helmut Christian Mayer
20. August 2018 | Drucken
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