Das Libretto von Arrigo Boito, in dem es um Betrug, Machtgier und zu spät erkannte Familienbande geht, strotzt nur so vor Ungereimtheiten. Aber das nimmt man gerne in Kauf, denn musikalisch ist Giuseppe Verdis „Simon Boccanegra“ eine wunderbar reife, aber fast ohne Ohrwürmer auskommende Oper. Jedoch sollte man dieses Werk nur dann ansetzen, wenn man für die Titelpartie des Dogen von Genua einen entsprechenden charismatischen Sänger zur Verfügung hat. Dafür ist Plácido Domingo wie geschaffen. „Figlia!“ – ungemein zärtlich, als Klanggebärde höchster Intensität haucht der Doge dieses Wort, als er unverhofft seine verschollen geglaubte Tochter Amelia wiederfindet: Eine insgesamt ungemein bewegende Szene der Freude und des Schmerzes. Domingo ist aber auch ein Phänomen. Wie der Starsänger, der vor unglaublichen 52 Jahren an der Wiener Staatsoper debütierte und sich jetzt im Alter jenseits der 75 Jahre nur noch auf die Baritonrollen verlegt, den unglücklichen ehemaligen Korsar Simon Boccanegra szenisch und sängerisch gestaltet, ist verehrungswürdig: Nicht immer mit der gewünschten stimmlichen Kraft, aber mit uneingeschränkter spielerischer Präsenz, voller technischer Beherrschung seines kostbaren Organs, immer noch im Besitz seines unvergleichlichen, wunderbaren dunklen Timbres und mit vollendet runden Phrasen. So wird auch seine Sterbeszene zum Weinen schön.
Sein feindseliger Widerpart ist mit Kwangchul Youn als sonorer, teils unschön vibratoreicher Jacopo Fiesco besetzt. Francesco Meli singt den Gabriele Adorno mit seinem herrlichen Timbre edel und metallisch, mit schönen, ungefährdeten Höhen. Einen großartigen Eindruck hinterließ auch die Debütantin an der Wiener Staatsoper Eleonora Buratto als Amelia Grimaldi: Sie verfügt über einen ausgesprochen schönen Sopran, der zu feinen Lyrismen aber auch zu großen dramatischen Attacken fähig ist. Markant, teils zu wenig kraftvoll hört man Marco Caria als finsteren Bösewicht Paolo. Solide erlebt man noch Dan Paul Dumitrescu als dessen Komplizen Pietro. Exzellent, stimmgewaltig und homogen hört man den Wiener Staatsopernchor, dessen Einstudierung Thomas Lang besorgte.
Am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper zeigt Philippe Auguin durchaus viel Gestaltungskraft und viele vibrierende und feine Nuancen.
Die Inszenierung von Peter Stein, die erstmalig bei den Salzburger Osterfestspielen 2000, dann beim Maggio musicale 2001 in Firenze gezeigt wurde und danach 2002 an die Wiener Staatsoper übersiedelte, ist zwar nur noch in den Grundzügen rudimentär vorhanden aber immer noch schlüssig und nachvollziehbar: Die krause Geschichte wird in wenigen, einfachsten Kulissen und Versatzstücken sparsamst mit roten Vorhängen, düsteren Lichtstimmungen, oft nur mit Lichtkegel und auch Kerzen und Fackeln (Bühne: Stefan Mayer, Kostüme: Moidele Bickel) erzählt.
Zum Schluss gab es viel Jubel und es regnete Blumen, die meisten für Plácido Domingo!
Dr. Helmut Christian Mayer
25. März 2019 | Drucken
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