Es sind seine mehrschichtigen und komplexen Klänge und Klangfarben, mit denen Gerd Kühr gleich von Anfang an die Handlung und die Sprachlosigkeit der Akteure zu illustrieren weiß. Denn die Musik des österreichischen Komponisten schreit, bohrt, ist radikal, bäumt sich auf und erzeugt thrillerartige Momente. Ein wenig süßelt sie auch, ist melodiös und man hört Anklänge an Kinderlieder, Volks- und Kirchenmusik:Mit seiner ersten, 1988 in München uraufgeführten Oper „Stallerhof“, es sollten noch drei weitere Musikdramen folgen, ist dem aus Kärnten stammenden Komponisten ein großer Erfolg gelungen, denn das Werk wurde immerhin bis dato in zwölf unterschiedlichen Produktionen in Österreich, Deutschland und in der Schweiz gezeigt. Die Handlung beruht auf einem Theaterstück von Franz Xaver Kroetz, der auch am Libretto mitgewirkt hat. Jetzt wird die Oper am Stadttheater Klagenfurt vom 22-köpfigen Kärntner Sinfonieorchester unter dem exakt zeigenden Dirigenten Mitsugu Hoshino vielschichtig, nuancenreich und hochkonzentriert wiedergegeben.
Es ist keine leichte Kost, die da vorgesetzt wird. Denn hinter der Fassade am Stallerhof, einem bäuerlichen Hof in Bayern, verbirgt sich Isolation, Gewalt und Vergewaltigung, aber man spricht nicht darüber, denn jede Sünde muss verheimlicht bleiben. Wir finden uns am Rande der Gesellschaft, wo dies zum Alltag gehört. Das Stück erzählt vom Leben der vermeintlich zurückgebliebenen Bauerntochter Beppi, die von ihren Eltern unterdrückt und missachtet wird. Sie wird von Sepp, dem wesentlich älteren Knecht, mehrfach vergewaltigt und wird dann schwanger. Sepp muss den Bauernhof verlassen. Eine versuchte Abtreibung durch die Mutter misslingt.
Sophie Springerzeigt in ihrer exzellenten Inszenierung einen zugespitzten, radikalen Realismus, mit präziser Personenführung, vielen Ideen und drastischen, unter die Haut gehenden Momenten auf zwei Ebenen. Denn unter einer einfachen, rustikalen Bauernküche befindet sich ein gefängnisartiger Käfig, ein Verschlag, in dem sie immer hinunterklettern muss, es ist das Zimmer der Beppi, in das sie immer zur Strafe verbannt wird. Dahinter befinden sich bis zur Bühnendecke Holzbretter, durch deren Ritzen etwas nebelartiges Licht in die sonst vorherrschende Düsternis hereinleuchtet (Bühne: Thomas Stingl).
Beppi wird von Katharina Ruckgaber glaubhaft naiv, ängstlich, sich nach Lieben sehnend grandios gespielt und gesungen. Wie auch die anderen Protagonisten, ist auch sie mit hässlichen Kostümen (Bettina Breitenecker) ausgestattet, singt sie wortdeutlich und wie vorgesehen im Dialekt. Matthias Störmeri st als Knecht Sepp ebenfalls sehr präsent, triebhaft gezeichnet und singt ihn mit facettenreichem Bariton. Sarah Alexandra Hudarew ist die Stallerin, die besonders bösartig ihre Tochter quält und tadellos singt. Stephen Chaundy fällt als Bauer Staller forcierend etwas ab. Drei glasklar singende Solistinnen aus dem Chor des Stadttheaters, Nadia Petrova, Sun Mi Kim, Satoko Narumi, sind meist kommentierend und beobachtend aus drei Fenstern der hinteren Holzwand, wie in der griechischen Tragödie, mit Bibeltexten zu hören.
Und es gibt kein Happyend, denn während zum originalen Finale der Oper bei Beppi die Wehen einsetzen, zündet nach der Idee der Regisseurin hier am Stadttheater Beppi in ihrem Verließ ein Feuer an, das bald stark rauchend auf den gesamten Hof übergreift…
Zum Schluss gibt es bei der Premiere großen Jubel für alle, auch für den anwesenden Komponisten und stehende Ovationen!
Dr. Helmut Christian Mayer
03. November 2024 | Drucken
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