Zu den letzten brutalen Schlägen des Orchesters öffnet sich die Bühne komplett und gibt einen großen, schwarzen Raum, eine komplette Leere frei. Und vor dieser Leere, die sich nach den beiden Morden in ihrem Inneren auftut, steht zitternd Elektra. Die Erfüllung ihres Rachetraums hat nichts gelöst : So symbolhaft und offen, ohne die Titelheldin sterben zu lassen zeigt Michael Schulz das Finale von Richard Strauss „Elektra“ am Linzer Landestheater. Der Regisseur überzeugt aber auch sonst, immer hart am Text von Hugo von Hofmannsthal und an der Musik von Strauss, stets spannend erzählend mit ideenreicher, ausgefeilter Personenführung. Geradezu detailverliebt zeigt er wie Elektra kindlich im Kinderzimmer von Orest die Stofftiere der gemeinsamen Kindheit anstelle ihres Bruders in der Erkennungsszene umkost. Und auch die zentrale Auseinandersetzung zwischen ihr und ihrer Mutter Klytämnestra geht unter die Haut. Elektra wird als trotzig, roh und gewalttätig – sie schlägt die Mägde, würgt ihre Mutter - und als extrem von Rache Besessene derbe Frau, eine Art „Gefühlsterroristin“ dargestellt. Sie wirkt auch am Mord an Aegisth, der auf der Bühne gezeigt wird, mit dem Beil aktiv mit. Leider lässt sich der Regisseur auch zu plakativen Ideen wie einer wilden Zombie-Partie bei Klytämnestras Erscheinen sowie einem finalen Gemetzel des gesamten Hofstaates im Kinderzimmer hinreißen.
Weniger gelungen sind die hässlichen, optisch überfrachteten Bühnenbilder von Dirk Becker auf der Drehbühne, die verschiedene, imaginären Phantasieräume der Elektra zeigen sollen und die sie nacheinander betritt. Von ambivalenten Geschmack sind die Kostüme von Renée Listerdahl.
Markus Poschner, der am Linzer Landestheater schon vor eineinhalb Jahren mit Richard Strauss „Die Frau ohne Schatten“ und letzten Herbst zur Saisoneröffnung mit Richard Wagners „Tristan und Isolde“ reüssierte, dirigiert das Bruckner Orchester Linz mit packendem Zugriff und energischen Gesten. Es gelingt dem Chefdirigenten, bei den Musikern die vom Komponisten gewünschte mitreißende Spannung und eine archaische Mystik zu erzeugen. Und die Musiker entfalten eine luxuriöse Klangpracht und lassen Richard Strauss geniale Musik brodeln, stöhnen und kreischen. Poschner weiß auch viele dunkle Emotionen und enorme Spannungsbögen zu erzeugen. Manche Akzente hätte man sich noch schärfer und gewaltiger gewünscht.
Ungemein stark besetzt ist auch das Ensemble: Katherine Lerner ist eine sehr exaltierte und sehr erotisch aufgemaschelte Klytämnestra. Mit ungemeiner Präsenz, mit exaltierter und expressiver Ausdruckskraft in Spiel und Gesang und jedes Wort messerscharf herausschleudernd. Miina-Liisa Värelä zeigt die Titelheldin enorm intensiv von Rachegedanken getrieben, mit lebensverneinender Verzweiflung, anfänglich zu wenig stimmgewaltig aber dann immer stärker auftrumpfend und mit allen Spitzentönen. Brigitte Geller ist eine immer mehr aufblühende, letztlich ungemein berührende, seelisch hin- und her gerissene Chrysothemis. Michael Wagner ist ein sehr zurückhaltend agierender, nobel timbrierter Orest. Matthäus Schmidlechner, der ziemlich angetrunken einem Oldtimer entsteigt, ist eine stimmliche Idealbesetzung für den Ägisth. Tadellos und ebenfalls sehr wortdeutlich sind die vielen kleineren Rollen besetzt, verlässlich singt der Chor des Hauses, der sehr spielfreudig in diesem Fall nicht aus dem Off kommt sondern auf der Bühne mitwirkt.
Stehende Ovationen und einige laute Buhs für das inszenatorische Team!
Dr. Helmut Christian Mayer
21. Januar 2019 | Drucken
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