Gehirne schweben hoch oben im Raum. Unten regiert die zügellose Leidenschaft. Und all dies beobachtet Siegmund Freud von der Seite, sofern er nicht Johann Strauß höchstpersönlich, der ja selbst durch Leidenschaften getrieben war, auf seiner berühmt gewordenen Couch psychoanalytisch behandelt und auf der auch die anderen Protagonisten immer wieder Platz nehmen. Wir befinden uns nicht nur zur Zeit des Wiener Kongresses,sondern auch beim Ball der Wiener Psychoanalytiker. Auf der Vorbühne sieht man Konterfeis von Johann und Adele Strauß mit zwei „Vögeln Strauß“. Bei dem Operettenklassiker „Wiener Blut“ von Johann Strauß hat Intendant Thomas Enzinger selbst Hand angelegt. Es ist eigentlich ein Stück, das 1899, erst vier Monate nach dem Tod von Johann Strauß uraufgeführt wurde und dem eigentlich keine einzige Operettenmelodie unterlegt ist. Vielmehr hat Adolf Müller junior aus dem unerschöpflichen Schatz des Wiener Walzerkönigs, Instrumentalstücke mit Texten und einer amüsanten Verwechslungsgeschichte zur Zeit des Wiener Kongresses unterlegt. Herausgekommen ist ein unterhaltsames, spritziges Werk der leichten Muse ohne besonderen Tiefgang, dessen einziges Ziel die Unterhaltung ist und das beim Publikum äußert beliebt ist und geschätzt wird.
Und abgesehen von der fragwürdigen und überflüssigen Freud-Idee sieht es Thomas Enzinger genauso. In seiner Inszenierung wird die Geschichte klar und deutlich über den Frauenhelden Balduin Graf von Zedlau, der zwischen seiner Gattin, seinem „G‘schpusi, der Tänzerin Franziska Cagliari und seinem „Fastverhältnis“, der Probiermamsell Pepi hin und her gerissen wird, erzählt. Für weitere Verwirrung und Komik sorgen dabei noch sein Kammerdiener Josef und der Vorgesetzte des Grafen, der Premierminister des ostthüringischen Zwergstaates Reuß-Greiz-Schleiz. Einiges am Text wurde aktualisiert. Witz, Spaß und Unterhaltung werden großgeschrieben und das Publikum zum Lachen und Schmunzeln animiert. Dabei werden alle durchaus geschmackvoll gewandeten Figuren (Kostüme: Sven Bindseil) amüsant, sorgfältig und liebevoll geführt. Einzig das Bühnenbild von Toto ist nicht gerade ein Ausbund an Ästhetik und Geschmack.
Und das Ensemble kann sich so richtig in Szene setzen: Allen voran wieder Sieglinde Feldhofer als darstellerisch und stimmlich perfekte Gräfin Gabriele mit großer Bühnenpräsenz. Gleichmäßig und wohltönend in allen Lagen erklingt ihr wunderbarer Sopran. Thomas Blondelle ist ein draufgängerischer Graf Zedlau, aber mit einem, viel Schmelz verströmenden, schönen Tenor ausgestattet ist, der allerdings darstellerisch wieder etwas zu viel outriert. Sein „G’schpusi“ Franziska Cagliari ist Martina Fender, die ihren wohlklingenden Sopran auch ausgezeichnet zu führen weiß. Gerd Vogel ist als perfekt sächselnder Minister Fürst von Ypsheim-Gindelbach darstellerisch ideal besetzt so wie Josef Forstner als Wiener „Urviech“ Kagler. Als Buffo-Paar gefallen Reinwald Kranner als frischer und sehr präsenter Kammerdiener Josef und Marie-Luise Schottleitner eine quirlig-witzige Pepi, die auch sensationell tanzen und Rad schlagen kann. Matthias Schuppli mimt als fast stumme, hinzugefügte Rolle Siegmund Freud, der junge Tänzer Nabeel Fareed ist Johann Strauß.
Evamaria Mayers Choreographie wirkt schmissig, der kleine Chor des Hauses singt homogen und spielt köstlich.
Das Franz Lehár Orchester unter dem temperamentgeladenen László Gyükér lässt keine Wünsche offen. Leicht und beschwingt wird unter seiner Stabführung in bester Wiener Operettentradition schwungvoll und schmissig musiziert. Bei der Fülle der Melodien, jede ein beliebter Hit, bei den schwungvollen Walzer und rasanten Polkas blitzen im Orchester wunderbare Farben auf.
Stehende Ovationen!
2023 werden beim Lehár Festival Bad Ischl Leo Falls „Madame Pompadour“, Carl Zellers „Der Vogelhändler“ und Franz Lehárs „Schön ist die Welt“ dargeboten.
Dr. Helmut Christian Mayer
23. August 2022 | Drucken
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