Tschaikowskis „Pique Dame“ in München: Wahnsinn in diffuser Düsternis

Xl_pique_dame_2024_a.grigorian_b.jovanovich_c_w.hoesl-m_nchen-2-24-4 © Wilfried Hösl

Düster, ja schwarz und nebelverhangen ist die leergeräumte Bühne. Die Figuren erscheinen aus dem diffusen, irrealen Nichts und verschwinden darin. Keine Sonne wie im Text vorgesehen, kein Ballsaal, auch sonst nichts Erfreuliches nur schäbige Plätze sind zu sehen: Ein paar Spieltische zu Beginn und zum Ende, ein dunkler Parkplatz mit alten Autos, ein Bassin mit Wasser, in dem Hermann die Gräfin ertränkt, eine Brücke mit Straßenlaternen, ein Stripclub, aber alles nur angedeutet und minimalistisch ausgestattet. Hier scheint Realität und Halluzination zu verschwimmen: So zeigen Regisseur Benedict Andrews und sein Bühnenbildner Rufus Didwiszus „Pique Dame“ von Peter Iljitsch Tschaikowski an der Bayrischen Staatsoper. Zeitlos und teils im Glitzerlook sind die Kostüme (Victoria Behr). Von diversen Filmen inspiriert zeichnet der australische Regisseur eine tragische Geschichte im Gangstermilieu, eine Metapher auf die korrupte, ungleiche Gesellschaft und jene des Außenseiters Hermann. Er zeigt diesen als extremen Psychopathen, der exzessiv grimassierend stets mit einer Pistole herumfuchtelt, andere bedroht, sich diese wiederholt an die Schläfe setzt und sich letztlich damit erschießt. Er wird von Brandon Jovanovich besessen von Spielsucht, mit intensiver Expressivität gespielt und gesungen. Die anderen Protagonisten hat Andrews seltsamerweise mehrmals zum reinen Rampensingen verdonnert, der gut und homogen singende Chor ist überhaupt meist statisch inszeniert. Bei der Ballszene wird eine Tribüne hereingeschoben, auf der die sitzenden Choristen kollektive Armbewegungen machen müssen. Besonders darin stellt sich dann doch eine gewisse Langatmigkeit ein.

Für große Glaubhaftigkeit sorgt einmal mehr die großartige Singschauspielerin Asmik Grigorian als Lisa. Es erstaunt immer wieder, mit welcher Differenziertheit sie ihre Rollen szenisch wie auch stimmlich gestalten kann. Von feinsten Piani bis hin zu immer präsenten, kraftvollen Ausbrüchen reicht ihre Palette, wobei sie immer klangschön singt. Sie ist auch bei den szenischen Umbauten als übergroße Projektion am Vorhang immer wieder präsent und zündet dabei symbolhaft die Pik Dame Karte mit einem Feuerzeug an. Violeta Urmana ist eine bühnenpräsente, würdevolle Gräfin, die bei ihrer letzten Todesszene mit Glatze fünffach gedoubelt wird. Boris Pinkhasovich singt den Fürst Jeletzki sehr edel und kann mit seiner eingängigen Arie „Ich liebe sie ohne Maß“ besonders punkten. Victoria Karkacheva ist eine schöngefärbte Polina, Roman Burdenko ein kraftvoller Tomski. Die kleineren Partien sind auch makellos zu hören.

Bei jedem Ton merkt man, dass der usbekische Dirigent Aziz Shokhakimov bei seinem Debüt am Haus eine besondere Affinität zu dieser Musik hat, die mit einigen Strichen, etwa ohne Ballett aufgeführt wird: Geheimnisvoll, seelenvoll, mit wunderbaren Farben und Piani, aber auch spannungsgeladen lässt er das Bayrische Staatsorchester packend nur manchmal etwas zu laut aufrauschen.

Viel Applaus sowie Bravi für die Musik und einige Buhs für die Inszenierung!

Dr. Helmut Christian Mayer

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