Wagners "Tristan und Isolde": Wenn die Nacht der Liebe nur musikalisch herniedersinkt

Xl_tristan_-schager-stemme-wien-2-23 © Michael Pöhn

Andreas Schager ist ein Phänomen. Der österreichische Heldentenor schont sich bei der Wiederaufnahme von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ an der Wiener Staatsoper als Tristan von Anfang an nie und kann trotzdem auch noch seine Fieberträume im letzten Akt dieser im wahrsten Sinne mörderische Partie nach kraftvoll und mit scheints unerschöpflicher Energie und Kondition hörbar machen. Nur im zweiten Akt schwächelt er ganz minimal. Aber alle Spitzentöne sind da und werden wohlklingend mit strahlender Leuchtkraft gesungen. Ihm ganz ebenbürtig gestaltet auch Nina Stemme ganz wunderbar die schwierige Partie der Isolde: Mit reichen, emotionalen Fassetten, berührenden Phrasen von feinster Lyrik bis zur dramatischen Wucht. „O sink hernieder, Nacht der Liebe“: Das Liebesduett im zweiten Akt gerät zur edlen Liedkultur und zum Ereignis der beiden Titelfiguren. Schagers Wortdeutlichkeit ist exemplarisch ebenso wie jene von Christof Fischesser, der einen edlen und immer berührenden König Marke singt. Christa Mayer singt bei ihrem Rollendebüt an der Wiener Staatsoper die Brangäne exzellent lyrisch, ihr „Nachtgesang“ gelingt ihr ätherisch schön. Iain Paterson ist ein Kurnewal mit etwas zu wenig stimmlicher Substanz. Attila Mokus singt den Melot kernig, Daniel Jenz den Hirten sehr schönstimmig, Jusung Gabriel Park ebenso den Steuermann. Hiroshi Amako hört man ideal als die Stimme eines jungen Seemanns. Der Chor der Wiener Staatsoper (die Einstudierung besorgte Martin Schebesta) ist immer aus dem Off klanggewaltig und sehr homogen zu erleben.

Entfesselnden Klangzauber und narkotisierenden Klangrausch von betörender Schönheit hört man aus dem Graben, den das Orchester der Wiener Staatsoper unter dem Musikdirektor Philippe Jordan entfacht. Mit feinen Nuancen und Farbenreichtum, mit packend aufgebauten Spannungstürmen bis zu eruptiven Ausbrüchen wird mit vollem Einsatz wie auch mit großer Spielfreude allerdings manchmal mit zu hohem Phonpegel, was zwar den beiden Titelhelden nichts anhaben kann, musiziert.

Mit unzähligen Symbolen angereichert, zudem ziemlich verrätselt, sehr eigenwillig und schwer nachvollziehbar ist die viele Fragen offenlassende Inszenierung von Calixto Bieito aus 2022: Es gibt kein Schiff und kein Meer, es gibt keinen Liebestrank. Da schaukeln Kinder mit verbundenen Augen, da wälzt sich der Titelheld in Wasserpfützen, da schweben zwei Kuben beim Liebesduett, wobei sich die beiden Liebenden nie nahekommen können aber dafür die Einrichtung derselben völlig demolieren und die Papierwände herunterzureißen, während Brangäne vorne zwei große Fische mit einem Messer schuppt.  Da gibt es im letzten Akt viel Gerümpel und viele Nackte im Hintergrund, die den gesamten Akt meist mit dem Rücken zum Publikum stehen oder sitzen und sich einmal rollend und in verschiedensten Posen nach vorne bewegen. Deren sinnhafte Funktion erschließt sich überhaupt nicht. Die wenigen dramatischen Szenen der ohnedies handlungsarmen Geschichte werden alle verschenkt: So gibt es keinen Kampf zwischen Tristan und Melot und keinen zum Finale zwischen Kurwenal und Melot. Gestorben wird vom Liebespaar schließlich am Küchentisch.

Mit riesigem Jubel und Ovationen bedankt sich das Publikum für die mitreißenden musikalischen Leistungen.

Dr. Helmut Christian Mayer

 

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