Man glaubt es kaum, aber es gibt doch tatsächlich immer noch unaufgeführte Kompositionen von Franz Liszt und sogar solche, die er selbst nie gehört hat. Es ist dem leidenschaftlichen, akribischen Forscherdrang des Dirigenten, Komponisten und Organisten Martin Haselböck zu verdanken, immer wieder verschollene Manuskripte dieses Komponisten aufzuspüren.
So wurde jetzt die in Weimar aufgefundene, symphonische Dichtung „Der Titan“, dessen metaphysischer Text vom Schubert Freund Franz Schober stammt, worin das übermenschliche, riesenhafte Dasein beschrieben wird, beim Liszt Festival in Raiding uraufgeführt. Martialisch, radikal und ziemlich plakativ, eben, so wie komponiert, wurde sie vom Orchester Wiener Akademie unter Haselböck musiziert. Der Gesangspartie lieh Tomasz Konieczny seinen prachtvollen, mächtigen Bassbariton, den er auch bei dem hymnusartigen, sehr erhabenen Lobgesang dem „Sonnen-Hymnus des heiligen Franziskus“ mit Bravour erklingen ließ. Bei beiden Stücken wirkte auch der homogen singende Männerchor Chorus Viennensis mit. Stephanie Houtzeel sang sehr wortdeutlich die „Loreley“ nach dem bekannten, mehrfach vertonten Gedicht von Heinrich Heine und die wunderbare „Heilige Cäcilia“, mit fein dosiertem Alt, sehr berührend, mit toller Legatokultur und wurde vom Orchester ungemein farbig und fein schillernd begleitet. Es waren bei diesem Konzert lauter Stücke von Liszt zu hören, die zum Teil zu heiligen Legenden gehören und aus verschiedenen Oratorien stammen.
Bei „Salve Polonia“ hatte Liszt die polnische Nationalhymne variierend als Basis genommen und eine farbenreiche Orchesterbegleitung geschaffen. Variantenreiches Vogelgezwitscher und auch sonst raffinierte Klänge erlebte man bei der „Vogelpredigt des heiligen Franziskus“. Alle Stücke wurden in jener originalen, bis zu 50 Musikern umfassenden Besetzung, für die Liszt seine Stücke komponiert hat, stilecht und spielfreudig aufgeführt.
Nach diesem Konzert wurde die erste CD aus der geplanten, neuen fünfteiligen Serie mit der Einspielung sämtlicher Orchesterlieder von Liszt mit „Heiligen Legenden“ präsentiert.
Viel Applaus!
Dr. Helmut Christian Mayer
27. Oktober 2022 | Drucken
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