Im nüchternen Seelenlabor der Gefühle
Wien: „Euryanthe“– Vergessene Opernrarität von Carl Maria von Weber in einer musikalisch stringenten, szenisch sehr reduzierten Darstellung
Ab und zu verirrt sich noch die Ouvertüre in einem Konzertprogramm. Die gesamte Oper Euryanthe von Carl Maria von Weber fristet aber im heutigen Opernbetrieb ein Schattendasein. An der Musik kann es nicht liegen, denn diese ist durch und durch meisterhaft und hat alles, inklusive Ohrwürmer, was man sich so wünscht. Also muss es am Libretto liegen und dieses ist sowohl was den Inhalt, wie auch was die Sprache betrifft, wirklich schwer verdaulich und nur auf vier Personen fokussiert. Dieses hat der Komponist der im Theaterfach völlig unerfahrenen Helmina von Chézy, mit der er sich bald überworfen hat, anvertraut, als das Publikum des Wiener Kärntnertortheaters nach seinem so erfolgreichen „Freischütz“ gespannt einen Nachfolger erwartete. Diesmal wollte Weber erstmalig ein großes Bühnenwerk ohne Dialoge, im Stil der Großen Oper komponieren. Die Bedeutung der Komposition zur Einleitung einer neuen dramatischen Epoche des Musikdramas wurde zwar erkannt, eine Breitenwirkung wurde dem Werk, das 1823 in eben diesem Theater erfolgreich aufgeführt und in vielen weiteren deutsche Städten ebenso erfolgreich nachgespielt wurde, jedoch bis heute nicht zuteil. Der gefürchtete Kritiker Eduard Hanslick stellte später eine Verwandtschaft von „Euryanthe“und Richard Wagners „Lohengrin“ her, und konstatierte, dass Wagner nur mehr an die von Weber vorgegebene Richtung der romantischen Oper anzuknüpfen brauchte. Ende 2018 wurde das Werk dankenswerter Weise am Theater an der Wien aufgeführt. Jetzt erschien eine exzellent gemachte und ansehens- und hörenswerte Blu-ray Disc bei Naxos (Videoregie: Paul Landsmann) NBD0107V.
Und bei der Musik macht Constantin Trinks am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien alles richtig: Er braust mit Verve durch die Ouvertüre, lässt aber die herrliche, kunstvolle Musik, inklusive der vielen exzellent musizierten Soli, aber immer ausschwingen und den Klang von filigraner Lyrik bis zu bombastisch auftrumpfenden Tönen in hochklassiger Lesart hören.
Die schwere Partie der Titelheldin ist bei Jacquelyn Wagner in substanzvollen Händen, wobei sie mit ihrem hellen, blühenden Sopran besser singt als darstellt. Norman Reinhardt singt die Partie des Adolars mit angenehmem, höhensicherem Tenor, bleibt wie Euryanthe in der Rolle eher bewegungsarm und wirkt dadurch etwas blass. Im Gegensatz zu Theresa Kronthaler, einem furiosen Racheengel, die die Partie der intrigantischen Eglantine mit tobendem Temperament aber auch lügnerischen Schmeicheleinheiten spielt und mit ihrem durchschlagkräftigen, biegsamen Mezzosopran voll ausfüllen kann. Ihr kongenialer Bösewicht-Partner Graf Lysiart wird von Andrew Foster-Williams mit schönem Bariton gesungen und dämonisch gespielt. Bewundernswert, dass er sich darauf einlässt, eine gefühlte Viertelstunde auf der Bühne splitternackt herumzuirren. Eigentlich eine Zumutung der Regie ohne Mehrwert! Stefan Cerny gibt einen stimmgewaltigen König Ludwig VI. ohne Tadel! Spielfreudig wie immer und makellos singend hört man auch den exzellenten Arnold-Schoenberg Chor (Chorleitung: Erwin Ortner).
Regisseur Christof Loy, der Meister der Tiefenpsychologie, verzichtet in seiner Inszenierung auf jegliches Rittertum, auf mystische Naturstimmung und Butzenscheibenromantik. Er konzentriert wie fast immer auf die seelischen Vorgänge der Protagonisten, ihre innere Zerrissenheit mit sparsamer Bewegung aber kleinen Gesten und bedeutsamen Blicken, die alles offenlegen. Das alles wird in dem bei ihm schon bekannten, länglichen, weißen, fast leeren, mit nur einem Bett und einem Klavier als symbolträchtigen Versatzstücke ausgestatteten Trichterraum, den Johannes Leiacker schuf, in heutigen eleganten Kostümen von Judith Weihrauch zum Seelenlabor der Gefühle.
Fazit: Ein fein geschliffenes Kammerspiel von beachtlicher Intensität.
Dr. Helmut Christian Mayer
11. April 2020 | Drucken
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