Auf dem spannenden, unvollendeten Zieldrama „Woyzeck“ des erst 23-jährigen Georg Büchner basiert der Stoff, den der „Zwölftöner“ Alban Berg genial vertont hat. Der Klassiker der Moderne des 20. Jahrhunderts „Wozzeck“, der auch heute noch für Sänger und Musiker eine gewaltige Herausforderung darstellt, ist beim Orchester der Wiener Staatsoper unter dem Musikchef Philippe Jordan in besten Händen: Schneidend, kreischend, aufwühlend, mit eindrucksvoller Wucht, die nur selten in zu massive Fortissimi ausartet, aber auch transparent, sehr differenziert und sensibel klingt es aus dem Orchestergraben. Dynamische Schattierungen sind ebenso vorhanden, wie viele Modulationen des Klanges. Und so wird man unweigerlich vom Sog dieser auch heute noch immer unheimlich „modern“ klingenden Musik mitgerissen.
Der musikalische Direktor der Staatsoper koordiniert auch immer souverän die Sänger und gibt ihnen viele Einsätze. Auffällig bei der hochkarätigen Besetzung und trotz der immensen Schwierigkeiten der Partien, ist, die bei fast allen Protagonisten festzustellende, exemplarische Wortdeutlichkeit. Den gequälten, ausgenutzten und verspotteten Titelheld spielt Christian Gerhaher nicht nur mit vielen mitleidserregenden Fassetten und gibt eine präzise, fragile immer gefährlicher werdende Studie der Figur ab, sondern er gibt ihm auch mit seinem rundem Bariton stimmlich starkes Profil. Stimmgewaltig und expressiv hört man Anja Kampe als seine untreue Geliebte Marie. Der Stein des Anstoßes ist Sean Panikkar in der Rolle des lauten, zudringlich überheblichen Tambourmajors, in diesem Fall als Polizeioffizier ausstaffiert. Er singt ihn mit durchdringendem Tenor. Ebenso eindringlich: Jörg Schneider als Karikatur von einem Hauptmann mit hellem Charaktertenor und Dmitry Belosselskiy als imposanter Doktor ohne jegliche Empathie. Auch die Kleinrollen sind mit Josh Lovell (Andres), Thomas Ebenstein (Narr), Christian Bock (Margret) untadelig besetzt.
Eine U-Bahn Station in Simmering, wo der Titelheld auf einer Bank schläft, ein Würstelstand, ein Arbeitsamt, eine Ordination, ein Fitnessraum, wo er auf einem Heimtrainer radelt, ein Schlafzimmer und alles in Weiß: Das sind auf einer sich immer drehenden Bühne die Stationen des Wozzeck, an der Wiener Staatsoper. Ins Heute haben Simon Stone und sein Bühnenbildner Bob Cousins diese Neuproduktion dieser Oper verlegt, die jene von Adolf Dresen ablöst.
Die fünfzehn Szenen und gut neunzig Minuten des Werkes, das die menschliche Unfreiheit der Menschen, die Chancen- und Ausweglosigkeit der sozial Unterdrückten anprangert, sieht man in einer verdichteten Inszenierung. Und Stone dringt in den Kopf der Titelfigur ein und zeigt immer wieder seine ihn plagenden Fantasien: So sieht er nach der Rasur den viel quatschenden Hauptmann als Vision im Nebenraum als blutüberströmte Leiche mit durchgeschnittener Kehle. Nach seinem Erkennen der Untreue seiner Marie sieht er diese in drei aufeinanderfolgenden Bettszenen mit dem Tambourmajor auf der Drehbühne, denen er zuschauen muss. Zum Schluss findet er sich mit extrem aufgestauten Emotionen in einer wildwuchernden Schilflandschaft, wo er schließlich zum Messer greift. Speziell diese wie auch so manche andere Szene sind nicht optimal gelöst, sie gehen jedoch unter die Haut.
Dr. Helmut Christian Mayer
13. April 2022 | Drucken
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