Wien: Buhorkane bei Verdis Don Carlo" an der Staatsoper

Xl_don_carlo-grigorian_guerrero_tagliavini_ensemble_c_frol_podlesnyi-wien.10-24-1 © Frol Podlesnyi

Kahl, grau, ja ausgesprochen hässlich ist der Einheitsraum. Es gibt Garderobenschränke, allerlei futuristisch anmutende Gerätschaften. Und es gibt nackte, männliche und weibliche Modelle, die mit extra original nachgemachten, sündteuren, historischen Kostümen eingekleidet oder ausgezogen werden. Die eigentlichen Protagonisten, ein angespanntes Wissenschaftsteam, dürfen diese nicht tragen, sondern bewegen sich in heutiger, meist legerer Kluft, ausgenommen der König trägt einen Anzug, und mit um den Hals gehängten Ausweiskarten und singen die Modepuppen an. So gibt es eine seltsame Verdopplung der Figuren: Wir befinden uns im „Institut für Kostümforschung“, wie uns ein Schild belehrt, und so will dies Regisseur Kirill Serebrennikow (auch für die gesamte Ausstattung verantwortlich) bei seiner Konzeption von Giuseppe Verdis Neuproduktion von „Don Carlo“ , an der Wiener Staatsoper. Eine Oper, die für viele eines der größten Meisterwerke der Musikgeschichte ist, jetzt gezeigt in der vieraktigen italienischen Werkfassung, die erstmals 1884 in Mailand präsentiert wurde. Die Protagonisten sind Angestellte eines hochkomplexen Modemuseums, in dem tausende Originalkleider aus allen Epochen aufbewahrt werden. Der russische Regisseur rechnet dabei mit der Wegwerfmode-Gesellschaft ab. Posa mit seinem „Libertà“ T-Shirt kämpft nicht für Flandern, sondern gegen Billigfetzen. Das Autodafé wird als Shoppingwahn des Chores gezeigt. Und dann taucht noch die „Letzte Generation“ demonstrierend auf. Das „Schleierlied“ der Eboli wird als interaktive Führung durch das Institut angekündigt. Und trotzdem wirkt alles ziemlich langweilig und völlig unverständlich. Vor allem jemand, der die Oper zum ersten Mal sieht, wird nichts verstehen. Die Inszenierung polarisiert das Publikum derart, dass es bereits während der Aufführung immer wieder Buhrufe gibt und bei der Premiere nach Ende des dritten Aktes ein nicht enden wollender Buhorkan gegen den Regisseur einsetzt, sodass der Dirigent Philippe Jordan zu einer Geste greift, die es wohl noch nie in der Wiener Staatsoper gegeben hatte: Er nimmt ein weißes Tuch, spießt es mit seinem Taktstock auf und schwenkt es wie ein Friedensangebot Richtung Zuschauerraum. Das weiße Tuch, das Symbol für Kapitulation.

Jordan kann trotz dieses szenischen Desasters am Pult des farbenprächtig, exakt und reich nuanciert spielenden Orchester der Wiener Staatsoper die auf der Bühne fehlende Emotionen wettmachen. Er setzt auf Sensibilität atmet mit den Sängern.

Vom Ensemble selbst ist Asmik Grigorian als Elisabetta allen voran zu nennen: Sie leidet intensiv mit großer Präsenz, wunderbarem Timbre und ungefährdeter Höhe. Joshua Guerrero fehlt es an Nuanciertheit. Er neigt etwas zur Grobheit, verfügt aber als Don Carlo über eine ungefährdete, schöne Höhe. Eve-Maud Hubeaux gibt die Eboli mit edler Stimme sehr ausdrucksstark, es fehlt auch nicht an Dramatik. Étienne Dupuis ist ein guter Marquis von Posa mit feinen Tönen. Roberto Tagliavini fehlt es als König Philipp II an Volumen und Leidenschaft. Wenig bedrohlich wirkt Dmitry Ulyanov als Großinquisitor. Die kleineren Rollen sind alle gut besetzt. Der Chor der Wiener Staatsoper singt sehr homogen und klangschön.

Zum Schluss gab es viel Jubel für den Dirigenten, das Orchester und die Sänger, hingegen einen Buhorkan beim Erscheinen des Regieteams!

Dr. Helmut Christian Mayer

 

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