Bereits viermal versuchte man erfolglos, das Orchesterstück „Der Zorn Gottes“ von Sofia Gubaidulina, 1931 im tartarischen Tschistopol geboren und seit knapp 30 Jahren bei Hamburg lebend, uraufzuführen. Der erste Versuch des Beethoven gewidmeten Werks hätte bereits im Februar 2017 in Düsseldorf von der Sächsischen Staatskapelle Dresden erfolgen sollten. Diesen Termin wie auch den angepeilten Ersatztermin im Mai konnte die Komponistin mangels rechtzeitiger Fertigstellung jedoch nicht einhalten. Dann war die Uraufführung des Stücks 2019 bei den Salzburger Osterfestspielen geplant. Weil die Fertigstellung jedoch zu knapp erfolgte, verschob Christian Thielemann die Uraufführung des Stücks auf das Festival von 2020, wo es schließlich dem Lockdown Nr. 1 zum Opfer fiel. Dem Festival der Neuen Musik „Wien Modern“, gegründet von Claudio Abbado, gelang jetzt tatsächlich die Uraufführung. Allerdings fand diese wegen des zweiten Covid 19 Lockdown, im fast leeren Wiener Musikvereinssaal statt und einem breiten Publikum mittels Stream das Kennenlernen des Werkes ermöglicht.
„Der Zorn Gottes“ entlädt sich somit im Stream und ist schlichtweg gewaltig: Gleich zu Beginn scheinen in den tiefen Bläsern in langgezogenen Tönen die Posaunen von Jericho zu erschallen. Und immer wieder türmen sich Blechbläserwellen auf, werden dann von langsamen Streicherpassagen unterbrochen, die sich jedoch nie in den Vordergrund spielen. Bläser und Schlagwerk sind die Wortführer dieser Zornesrede, bei der man immer wieder langgezogene Steigerungen und Entladungen findet. Von Beethoven selbst findet man jedoch nur Ahnungen und keine direkten Zitate, dafür wehen immer wieder Elemente von Schostakowitsch und anderen Komponisten herein, welche die mittlerweile schon 89-jährige, russische Komponistin da anklingen lässt. Das überwiegend monumentale, beeindruckende, knapp 20-minütige Stück wird vom ORF - Radio Symphonieorchester Wien,präsentiert bei dem erstmalig die aus der Ukraine stammende Oksana Lyniv am Pult steht &ndash. Sie war zuvor einige Jahre Chefdirigentin am Opernhaus Graz und soll als erste Frau demnächst in Bayreuth dirigieren. Es wird ungemein konzentriert, präzise, packend, mit subtilen Zwischentönen und großen dramatischen Wirkungen musiziert. Beklemmung und Schmerz werden da zu Tönen. Ihr außergewöhnlicher Zugriff auf Farben, Emotionen, Ausdruck und Dramatik bei ihren Werken hat Gubaidulina nebenbei sogar höhere Hollywood-Weihen eingetragen – sie ist das älteste Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. 1989 war sie als allererste Komponistin bei „Wien Modern“ zu Gast.
Praktisch als völliges Gegenteil erweist sich das bereits 1996 uraufgeführte Violakonzert von Gubaidulina: Ein sensibles Stück, das einen vorsichtigen Dialog zwischen dem Soloinstrument und dem empfindsamen Orchesterklang setzt, das sich nur vorsichtig an den Violaklang herantastet. Bei diesen filigranen Tönen glänzt der Bratschist Antoine Tamestit mit toller Virtuosität.
Dr. Helmut Christian Mayer
11. November 2020 | Drucken
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