Allein mit 39 (!) solistischen Rollen, einem großen Chor und einem riesigen Orchester ist das Werk zu besetzen. Außerdem gilt es für manche als sperrig. Das sind sicher Gründe, warum Hans Pfitzners „Palestrina“, dessen Uraufführung 1917 in München stattfand, sich doch so selten auf den Spielplänen der Opernhäuser findet. Ein weiterer Grund dürfte sein, dass die Oper sehr handlungsarm ist. Sie wirkt auf den ersten Blick wie ein Oratorium. Es geht in den gut vier Stunden (inklusive Pausen) über den Sinn der Kunst und um die Ohnmacht des schöpferischen Menschen, um das Mysterium der künstlerischen Inspiration. Die Oper ist eines der großen Künstlerdramen, die den romantisch stilisierten, geniehaften Schöpfungsakt in den Mittelpunkt stellt. Vor dem Hintergrund des Trientiner Konzils wird die Legende des Renaissance-Komponisten Giovanni Pierluigi da Palestrina, der in einer schöpferischen Ekstase innerhalb einer Nacht jenes Meisterwerk schafft, mit dem er eine ganze Musiktradition vor dem Untergang bewahrt, erzählt. Jetzt erfolgte an der Wiener Staatsoper eine Neueinstudierung einer Inszenierung von Herbert Wernicke (auch sein eigener Bühnenbildner) aus 1999, die nur bis 2001 am Haus am Ring gezeigt wurde.
Man sieht einen großen Konzertsaal mit Notenpulten und Instrumenten, worin sich die gold-beigen Farben der Wiener Staatsoper spiegelt. Dahinter ein riesiger Orgelprospekt, der himmeltürartig aufklappbar ist, für die Erscheinung der Engelchöre. In diesem Raum ohne Renaissance-Gepränge komponiert der Titelheld an einem kleinen Tischchen. Im zweiten Akt wird der Raum zum Sitzungssaal für das Konzil mit den hohen geistlichen Würdenträgern. Geprägt sind die Bilder von oratorienhafter, ja fast semikonzertanter Statik.
Da die Wiener Staatsoper über ein großes Ensemble verfügt, stellt die notwendige Riesenbesetzung, gepaart mit einigen Gästen, kein Problem dar. Dieses ist überwiegend exzellent besetzt: Michael Spyres ist ein optisch zu jung dargestellter, kein alter Palestrina. Er singt ihn ungemein wortdeutlich mit leuchtenden Tönen von großer Kraft und Linienklarheit. Erfreulich auch die frischen, jubelnden Stimmen von Patrizia Nolz (Silla) und Kathrin Zukowski (Ighino). Etwas mehr stimmlich Präsenz hätte man sich von Wolfgang Koch als Kardinal Borromeo gewünscht. Kernig und rund hört man Michael Nagy als Morone, charakterscharf und recht intrigantisch Michael Laurenz als Novagerio. Für den wirkungsvollen Kurzauftritt aus der Seitenloge ist Günther Groissböck als Papst Pius IV eine Luxusbesetzung. Ideal singen aus der großen Riege auch Wolfgang Bankl als Madruscht, Hausherr des Konzils, Adrian Eröd als Graf Luna sowie Clemens Unterreiner als Zeremonienmeister Ercole Severolus, viele davon sind in mehreren Rollen zu erleben.
Die Diskrepanz zwischen dem intimen Rahmen des ersten und dritten Aktes einerseits und dem weitläufigen, weltlichen Gepränge des Konzilaktes wird wunderbar von Christian Thielemann am Pult des Wiener Staatsopernorchesters gestaltet. Die Verwendung von Kirchentonarten und die Anleihen der frühen Polyphonie, die teils keusche, trotz teilweiser Sprödigkeit hymnische Musik, die den Schöpfungsakt der Messe durch schwelgerische Züge verklärt, wird mit höchster Ausdruckskraft und Sensibilität musiziert.
Großer Jubel!
Dr. Helmut Christian Mayer
06. Dezember 2024 | Drucken
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