
Es geht um ein ständiges Verkleiden und Verstellen, um ständiges Tarnen und Täuschen, was ja auch die wichtigsten Stilmittel im traditionellen Lustspiel sind. In Sergej Prokofjews Opernrarität „Die Verlobung im Kloster“ wird dieses Prinzip auf die Spitze getrieben. Und so passte „Obrutschenije w monastyre“, so der Originaltitel, eigentlich so gar nicht zu den staatlichen Vorgaben von proletarischer Kunst und vaterländischer Propaganda in der Udssr. Und was besonders kurios ist: „Die Verlobung im Kloster“ ist eine lyrisch-komische Oper, die in Spanien spielt, auf einer englischen Komödie und deren Libretto „The Duenna“ von Richard Brinsley Sheridan aus dem 18. Jahrhundert basiert, und wird von einem russischen Komponisten im Jahr 1940 mitten im zweiten Weltkrieg in der damaligen Sowjetunion im italienischen Stil geschrieben.
Aber noch kurioser ist die ziemlich verwirrende Handlung dieser außerhalb Russlands kaum je gezeigten Rarität, die jetzt am Musiktheater an der Wien als Neuproduktion aufgeführt wird: Die hübsche Luisa sollte den reichen, älteren, unattraktiven Fischhändler Mendoza heiraten, liebt jedoch den jungen, feschen aber mittellosen Antonio. Ihre alte Amme und jetzt Anstandsdame, die Duenna, hat dagegen schon längst ein Auge auf den Fischhändler geworfen und tauscht nur zu gern Kleider und auch Rolle mit der jungen Luisa. Luisas Bruder Ferdinand wiederum liebt die reiche Clara, die nach einem Streit mit ihm zuerst im Zorn und dann aus Verzweiflung beschlossen hat, ins Kloster zu gehen. Nach etlichen weiteren Verwirrungen gibt es bei diesem turbulenten Verwechslungs- und Verkleidungsspiel mit Elementen der Commedia dell’Arte doch ein Happyend, jedes Paar findet richtig zusammen und ausgerechnet im Kloster findet dann eine Dreierhochzeit statt.
Dafür hat Bühnenbildner Paolo Fantin eine mit Lichtschranken eingerahmte Bühne mit einem System von kleinen und größeren Räumen erfunden, die sich von oben senken oder heben und einen schnellen Szenenwechsel ermöglichen. Die eher abgetragenen Kostüme besitzen den Charme der 1950er Jahre und stammen von Klaus Bruns. In einem nüchternen Ambiente mit kaum Versatzstücken aber vielen, reichlich genützten Türen lässt Damiano Michieletto, Großkaliber des europäischen Opernregie-Geschäfts, der schon mehrfach hier am Haus inszenierte, diese turbulente, teils verdoppelte Verwechslungskomödie um Fischhandel und fleischliche Gelüste ablaufen: Ungeniert frech, provokant, teils recht grob, temporeich und mit viel Witz und mit etlichen choreographischen Tanzeinlagen einer famosen achtköpfigen Tanztruppe. Und er überzieht und provoziert gnadenlos, wenn etwa die Mönche des Klosters mit Bierkrügen beschwipst und geldgierig gezeigt werden, die unter ihren Kutten Strapse und Dessous tragen ebenso wie einige Nonnen und völlig betrunken zu tanzen und sich zu entblößen beginnen. Und er spart auch nicht mit Surrealismus, denn die Szenerie wird fallweise von einem riesigen, spektakulären, schwebenden Fisch dominiert, der seine Flossen und sein Maul mit spitzen Zähnen bewegen kann und einmal Don Jerome zu verschlingen droht. Letzteres geschieht in seinem Albtraum, wo auch Köche mit blutigen Gewändern ihre Messer wetzen und Frauen mit Totenmasken herumschwirren. Zum Schluss will Don Jerome eigentlich nur ein gutes Abendessen genießen, doch es erscheint der Riesenfisch nochmals, allerdings nur noch als Skelett und lässt alle Gäste vor großer Angst flüchten.
Prickelnd, kichernd und rhythmusorientiert aber auch wunderbar lyrisch ist Prokofjews Musik teils im Deklamationsstil, die fallweise an Mozart und Rossini erinnert, ohne sie zu kopieren. Aber auch Verdis „Falstaff“ und Puccinis „Gianni Schicchi“ stehen Pate. Prokofjew mischt Arioses mit Parlando wie auch Formen der Alten Musik mit Leitmotivtechnik. Die Musik wird vom ORF Radio - Symphonieorchester Wien unter dem jüngeren, aus Minks in Belarus stammenden Dirigenten und Hausdebütanten Dmitrey Matvienko sehr exakt, nuancen- und farbenreich wiedergegeben. Darin glaubte der sowjetische Apparatschiks dann doch wieder nur den Feind des Formalismus zu erkennen.
Beim sehr spielfreudigen Gesangsensemble erspürt man aber nicht nur Komik, sondern auch tiefe Gefühle. Allen voran warten beim teils recht laut und etwas wenig subtil singenden Sängerensemble Evgeny Akimov als Don Jerome mit exzellenten, aber ziemlich scharf gellenden Charaktertenor und der stimmgewaltige, hochkomödiantische Valery Gilmanov als Fischhändler Mendoza, der von der Persönlichkeit her stark an Falstaff erinnert, mit enormer Präsenz und Resonanz auf. Mit glasklarem, schönem Sopran singt Stacey Alleaume eine entzückende, charmante Luisa. Als ihr Geliebter singt Vladimir Dmitruk den Don Antonio, der mit seiner sehnsüchtigen Liebesarie durch die ganze Oper mit höhensicherem Tenor begleitet. Obwohl indisponiert angesagt, kann Elena Maximova als schönstimmige Duenna auch mit viel Lust am Spiel und Komik punkten. Anna Goryachova fasziniert als Clara auch mit ihrem verzweifelten Gesang wegen Don Ferdinand, den Petr Sokolov mit kernigem Bariton schön singt.
Von den vielen kleineren Rollen gefallen Zoltán Nagy als Don Carlos und die vier Solisten aus den Reihen der Mönche. Sie sind mit Sorin Coliban, Iurie Ciobanu, Davit Babayants und Mischa Schelomianski vorzüglich besetzt. Spielfreudig, tadellos und ausgewogen wie immer erlebt man den Arnold Schoenberg Chor.
Großer Jubel eines restlos begeisterten Publikums!
Dr. Helmut Christian Mayer
29. März 2025 | Drucken
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