Es ist wahrscheinlich das komplexeste Werk des kongenialen Duos Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss:„Die Frau ohne Schatten“. Diese in Wien vor hundert Jahren uraufgeführte, märchenhafte Oper war auch immer das Liebkind des großen bayrischen Komponisten. Sie stellt immer eine große Herauforderung für ein Opernhaus dar, diese aufzuführen und entsprechend zu besetzen. Denn zur entsprechenden Realisierung bedarf es eines Sängerensembles von herausragender Güte.
Die Wiener Staatsoper kann bei ihrer zweiten Serie dieser Neuproduktion aus dem Frühjahr 2019 zweifellos überwiegend mit einem solchen aufwarten: Kostbare Töne voll Innigkeit, silbrig, makellos, hell und klar gesungen, schafft Camilla Nylund als anmutige Kaiserin mit blühender Stimmkraft. Und sie kann auch den Weg von der weltfremden, ätherischen Erscheinung zum vollwertigen Menschen mit allen emotionalen Ebenen glaubhaft darstellen. Eine Klasse für sich ist auch Nina Stemme. Sie liefert ein zwischen Verzweiflung und Hysterie changierendes Frauenbild der Färberin ab und kann mit elementaren, hochdramatischen, packenden Attacken und ungemein starker Bühnenpräsenz aufwarten. Ihr zur Seite steht Tomas Koniecny, als ihr Mann Barak, die einzige Figur dieser Oper mit einem Namen. Er singt den Färber mit seinem kraftvollen Bariton mit gewöhnungsbedürftiger Farbe aber voll menschlicher Wärme, der vor allem mit „Mir anvertraut…“ und dem in subtilen Piani gesungenen „Fürchte dich nicht“ sehr rührt. Über ein herrliches tenorales, kraftvolles Material verfügt auch Andreas Schager als Kaiser. Bei Österreichs tenoralem Aushängeschild und Ausnahmekönner fließen die Registerwechsel reibungslos. Seine Höhe ist zudem ungefährdet und sattelfest. In dieser sängerischen Upperclass kann Mihoko Fujimura als Amme leider nicht mithalten. Sie singt zwar immer noch beeindruckend, hat aber ihren stimmlichen Zenit überschritten, zweitweise fehlt es ihr an Kraft und sie neigt zum Forcieren. Als Figur bleibt sie eindimensional und verbreitet kaum dämonische Aura. Clemens Unterreiner singt die kleine Rolle des Geisterboten achtbar. Großartig und sehr homogen erlebt man auch die Chöre und kleineren Partien.
Ätherische Klänge tönen aus dem Orchestergraben der Wiener Staatsoper. Kein Wunder, denn schließlich ist einmal mehr Christian Thielemann am Pult, der nicht umsonst als Klangmagier gilt. Es entstehen in der ganz ohne Striche musizierten Oper im Orchester der Wiener Staatsoper überwältigende Momente von überirdischer Schönheit und unglaublicher Klangpracht: Ganz besonders bei den Lyrismen, wenn die Kaiserin das Reich ihres Vaters Keikobad betritt und über einem subtilen Streicherteppich der Konzertmeister Rainer Honeck das wohl innigste Geigensolo, dass man je gehört hat, spielt. Aber auch die Zwischenspiele sind von zwingender dramatischer Kraft. Bereits während beider Pausen bricht das Publikum für den deutschen Dirigenten und das Orchester in Jubelstürme aus. Thielemann begeistert die Massen!
Die sehr realistische Inszenierung von Vincent Huguet mit dem Pavillon auf Stelzen zu Beginn und der strukturierten Felswand als weiteres Einheitsbühnenbild überlässt der Musik ungehindert das Feld. Sie interpretiert nicht, ist gefällig, belanglos bebildert und regt niemanden auf. Man denkt nicht mehr über die teils absurden Ideen des Franzosen nach, über die teils schwach in Szene gesetzten Protagonisten oder die aus dem zeitlichen Kontext gerissenen Geistesblitze.
Unbeschreiblicher Jubel für die musikalische Seite!
Dr. Helmut Christian Mayer
20. Oktober 2019 | Drucken
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