Belcanto-Glücksfall Sarah Blanch im Fokus einer Neuentdeckung voller Rätsel und Verstrickungen

Xl_adina_ppp_7216 © Patrick Pfeiffer

Gioachino Rossini Adina Besuch am 17. Juli 2022 (Premiere am 24. Juni 2022 in Krakau)

Rossini in Wildbad Kurtheater in Bad Wildbad

Belcanto-Glücksfall Sarah Blanch im Fokus einer Neuentdeckung voller Rätsel und Verstrickungen

Unter einer farsa ist eine spezielle italienische Variante der Komödie zu verstehen. Sie bereitet ihrem Publikum einen zauberhaften Spaß, ohne ihre Protagonisten vorzuführen. In der Oper vor und nach 1800 hilft die Variante der Opera buffa ohne Chor jungen Komponisten, Impresarios ihr Talent zu beweisen. Der an seinem Durchbruch arbeitende Gioachino Rossini ist von dieser Option so angetan, dass er allein fünf davon schreibt, ehe er mit Tancredi, seiner ersten Opera seria, 1813 in Venedig seinen wirklichen Durchbruch schafft.

Adina, die Farsa semiseria, die Rossini 1818 komponiert, hat mit ihrem Zwillingsformat wenig zu tun. Sie ist eh ein Sonderfall, nicht allein, da sie einen Chor und ein großes Orchester vorsieht. Der Einakter, in Auftrag gegeben mutmaßlich von einem Mäzen, der seiner Geliebten, einer Sopranistin am Teatro São Carlos in Lissabon, imponieren und unerkannt bleiben will, erlebt erst 1826 seine Uraufführung in der Metropole Portugals. Der Komödie mit dem Libretto von Marchese Gherardo Bevilacqua-Aldobrandini, der sich an Felice Romanis Textbuch Il califo e la schieva für den Komponisten Francesco Basili orientiert, bei Rossini in Wildbad eine neuerliche Chance zu geben, ist ein Anerkennung erheischendes Verdienst von Festival-Berater Reto Müller und Intendant Jochen Schönleber. Letzterer verantwortet auch die Regie.

Adina, eine von drei Opern, mit denen bei Wildbad ´22 exponierte Frauen in das Zentrum des Geschehens gerückt werden, variiert ein Sujet, das insbesondere aus Wolfgang Amadeus Mozarts Die Entführung aus dem Serail bekannt ist. Entfernt erinnert es an die Komische Oper Der Barbier von Bagdad von Peter Cornelius aus dem Jahr 1858. Fünfzehn Jahre nach dem Verlust seiner Geliebten Zora lernt der Kalif von Bagdad die junge schöne Sklavin Adina kennen und lieben. Sie erinnert ihn an Zora. Obwohl Adina bereits in den jungen Araber Selimo verliebt ist, vermag er sie zur Heirat zu überreden, Selimo, der sich als Gehilfe des Gärtners Mustafà ausgibt, will sich damit nicht abfinden. Er überredet sie zur Flucht mit einem Boot. Das Gestade, von dem die beiden aufbrechen wollen, ist voller Soldaten. Sie nehmen das Liebespaar und ihren Unterstützer fest. Adina bittet den Kalifen um Gnade für Selimo. Dabei entdeckt dieser ein Halsband mit einer Abbildung, das sie als seine eigene Tochter ausweist. Die von allerlei Schrecken überwölbte Handlung - eben semiseria - mündet in ein Lieto fine, das Rossini in einem Finale mit der glücklichen Adina im Zentrum feiert.

Schönlebers Inszenierung, die rund drei Wochen zuvor ihre Premiere beim Royal Opera Festival in Krakau erlebt, ist räumlich auf die Verhältnisse im reizvollen, aber beengten Wildbader Kurtheater zugeschnitten, was bei begrenzter Dekoration ein durchaus respektables Ergebnis hervorbringt. Die Grundidee der Umsetzung des Serail-Ambiente in Schönlebers Regiekonzept besteht in der Verlagerung der Szenerie in ein Land Südamerikas. So soll, wie es in einem Interview im Programmheft heißt, den Orientklischees entronnen werden. Erster Protagonist ist nun in der Rolle des Califo ein uniformierter Herrscher oder auch General mit Sonnenbrille, der an den maximo lider Fidel Castro erinnert.

Schönleber zeichnet ihn als „einem ziemlich von sich selbst eingenommenen älteren Macho“, was Emmanuel Franco überhaupt nicht daran hindert, dieses Rollengeschenk mit polterndem Spielwitz, gelegentlich drastischer Mimik und seinem robusten Bariton voll anzunehmen. Die Erdbeeren, die Adina laut Textbuch für den geliebten Kalifen gepflückt hat, wachsen natürlich auch in Südamerika. Sie eignen sich zudem in Gestalt von Leuchten als Deckenschmuck, was dem gewollten unprätentiösen Erscheinungsbild noch einmal Aufwind verleiht. Soweit dies aus einem seitlichen Platz auf dem Balkon mit eingeschränkter Sichtmöglichkeit erkennbar ist, begnügt sich die Ausstattung mit bescheidenem Mobiliar. Einige Stuhlreihen, ein Bett und einige Accessoires lassen darauf schließen, ob es sich um das Innere der Staatsmacht oder das Zimmer Adinas handelt.

Hierhin verschafft sich auch eine Pressemeute auf der Jagd nach intimen Hochzeitsfotos Zugang. Der Philharmonische Chor Krakau, von Marcin Wrobel bestens vorbereitet, hat in dieser Szene wie in der Introduktion und dem Finale darstellerisch wie musikalisch prächtige Auftritte.

Links und rechts an den Seitenwänden des Bühnenraums prangt ein Foto des Herrschers alias Kalifen. Es dient auch als Projektionsfläche für die Gefühle der jungen Frau, die je nach Stimmungslage den Porträtierten mit dem Lippenstift traktiert oder umschmeichelt. Cennet Aydogan, für die Kostüme verantwortlich, lässt Adina anfänglich in einen weißbeigen Morgenrock unterwegs sein, den sie gegen Schluss hin in ein rot-weiß gepunktetes Kleid tauscht. Dieses Momentum greift indirekt wieder das irgendwie kindliche Stilmittel der Erdbeeren auf, dem sich am Ende auch der Kalif nicht entziehen kann, als er in Adina seine Tochter erkennen und auf sie als potentieller Ehemann verzichten muss. Selimo agiert im Anzug, die Reisetasche in der Hand wie jemand auf der Flucht, die er ja auch am liebsten antreten würde. Zusammen mit Adina, die zum Aufbruch zu nötigen er keinerlei Skrupel hat.

Rossini ist 1818, als ihn der Auftrag des unbekannten Mäzens erreicht, mit verschiedenen Projekten ausgelastet, so der Komposition und Organisation einer neuen Oper für seine Heimatstadt Pesaro. Eine Ouvertüre fehlt, da sie angeblich vertraglich nicht vereinbart ist. Reto Müller weist in einem Beitrag für das Programmheft zu Adina nach, Rossini habe für die farsa lediglich die Schlüsselszenen, so das prachtvolle Quartett Nel lasciarti, o caro albergo und das perlende Finale mit dem Schlussrondo, komponiert. Die weiteren Nummern stammten aus Anleihen an eigene Kompositionen, quasi Plagiate in eigener Sache, sowie aus Beiträgen eines unbekannten Mitarbeiters. Der fließenden Abfolge der neun Nummern, die das Philharmonische Orchester Krakau unter dem Dirigenten Luciano Acocella mit hohem Gespür für Rossinis Crescendi und Pirouetten großartig meistert, tut dies allerdings keinerlei Abbruch.

Wenn die Krakauer und Wildbader Adina irgendwann Operngeschichte schreiben sollte, dann nicht primär wegen ihrer Errettung aus einem tiefen Bühnenschlaf. Vielmehr wegen einer kompositorischen heutigen Ergänzung, die ihr den selbst gewählten Status einer Modernen Erstaufführung einbringt. Causa speciale ist ein ursprünglich vorgesehenes Terzett, das das Wiedersehen Adinas mit dem verschollen geglaubten Selimo durch Vermittlung Mustafas thematisiert. Es fehlt allerdings in der Partitur, die an den Mäzen übergeben wird.

In der Armida 2022 wird die Lücke durch Rückgriff auf ein Terzett von Giovanni Pacini geschlossen, einem persönlichen Mitarbeiter Rossinis bei der Komposition von Mathilde di Shabran. E tu me chiedi - Tu sospiri? Incerta stai?, vorgetragen von Adina, Selimo und Mustafa, erklingt nun als Nummer 3a in der ergänzten Partitur. Melodisch verführerisch und atmosphärisch passend, als wäre es für diesen Einsatz von Anfang an bestimmt gewesen. Die Urheberschaft an dieser Ergänzung teilen sich im Übrigen Fabio Tranchida, Maria Chiara Bertieri und Acocella.

Die beiden anspruchsvollen, von stupenden Sprüngen und Koloraturen geprägten Hauptrollen sind mit Sara Blanch und Franco herausragend besetzt. Blanch, zuletzt 2019 Titelfigur in Wildbads Mathilde di Shabran, setzt gleich mit ihrer Auftrittskavatine Fragolette fortunate ein prägnantes akustisches Zeichen. Blendend präsent ist sie auch im einfühlsamen Duett Se non m’odi, o mio tesoro mit dem Kalifen. Dass sie sich am Ende noch zu steigern versteht, mag man in diesem Augenblick kaum glauben.

César Arrieta nutzt vor allem mit der Selimo-Arie Giusto cielo che i dubbi miei, die mit dem trefflichen Englischhorn unterlegt ist, die vokale Gunst der Stunde. Als Ali, Vertrauter Califos, überzeugt Aaron Godfrey Mayes in der einzigen echten Nebenrolle mit der Arie Pur troppo la donna. Shi Zong ist mit kernigem Bass ein Mustafà, der die Furcht des Gärtners glaubhaft spüren lässt. Ihn trifft zum Leidwesen des Auditoriums gleich doppeltes Pech. Ist ihm doch keine Arie vergönnt, wird er zudem noch das Opfer Alis.   

Das Publikum honoriert die Leistung aller Mitwirkenden, auch die des Regieteams, mit Bravi!-Rufen und anhaltendem herzlichem Applaus. Danach zieht es die Besucher auf der Flucht vor den Sommertemperaturen in die schattigen Plätze und Wege rund um das Kurtheater. Das vorherrschende Thema sind aber nicht die Rekordwerte oberhalb der 30-Grad-Marke. Vielmehr wird all das diskutiert, was sich mit Rossinis Werk an Episoden um empathische Frauen, verhinderte und echte Liebhaber sowie mäzenatische Dukaten verbindet. Was will man mehr in diesem Festivalsommer 2022!

Dr. Ralf Siepmann

Copyright: Patrick Pfeiffer

 

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