Cosi fan tutte Wolfgang Amadeus Mozart Besuch am 21. Juni 2024 Premiere am 8. Juni 2024 Cosi fan tutte
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen
Chuzpe statt Respekt: Fragwürdige Regie kann Mozarts Juwel letztlich nichts anhaben
Per pietà, ben mio, das E-Dur Rondo der Fiordiligi, zusammen mit dem vorgeschalteten Rezitativ Ei parte, ist ein eigenes Seelendrama. Es fordert den dramatischen Koloratursopran über die gewaltige Strecke von annähernd neun Minuten. In der großen Adagio-Sequenz wird sinnlich erkennbar, wie die gefühlvollste Figur des ganzen Werks inmitten des frivolen Verführungsspiels anklingen lässt, dass sie sich schuldbewusst gegenüber dem Geliebten fühlt, den sie für ein flüchtiges Erlebnis zu hintergehen gewillt scheint. Ihn wähnt sie in der Ferne, was aber gar nicht stimmt. Die amerikanische Sopranistin Rebecca Davis gestaltet im Musiktheater im Revier das Rondo mit Inbrunst im instrumentalen Dialog mit den Holzbläsern sowie dem stimmungsvollen Horn. Die Folge ist ein anhaltender Szenenbeifall.
Mit diesem Bravourstück Mozarts ist in der Gelsenkirchener Aufführung von Wolfgang Amadeus Mozarts Cosi fan tutte schon viel gewonnen, weil die Musik den Abend prägt, letztlich rettet. Das blendend aufgelegte Sextett der Sängerdarsteller überzeugt mit musikalischem und spielerischem Können. Getragen und phasenweise verwöhnt von der Neuer Philharmonie Westfalen mit Giuliano Betta am Pult, der sich für flinke Tempi entscheidet, diese auch durchhält, nur leider den solistischen Instrumenten manche Ungenauigkeit durchgehen lässt. Über die Koproduktion mit der Straßburger Opéra national du Rhin ist hingegen wenig Erfreuliches zu sagen. Außer dass die Inszenierung von David Hermann im Verein mit dem Ausstatter Jo Schramm und dem Kostümdesign von Bettina Walter kühnen und durchaus kreativen Ideen folgt, aber überwiegend quer liegt zu Lorenzo da Pontes spritzigem Libretto und Mozarts himmlischer Partitur.
Das Sujet von Untreue und Verwechselung, sei es als Komödie, sei es als Tragödie aufgezogen, hat die Erfinder von Stoffen für die Bühne von Beaumarchais bis Hugo von Hofmannsthal wie das Kino seit jeher angezogen. Das auf dem Theaterstück von Patrick Marber beruhende Filmdrama Hautnah von Mike Nichols erzählt 2004 von der Verstrickung zweier Paare, die sich ähnlich verlieben und trennen wie in Mozarts Dramma giocoso. Als Julia Roberts in der Rolle der Anna und Jude Law, der Schriftsteller Dan, im Foyer eines Opernhauses einander näherkommen, ist von der Bühne her das Terzettino Soave sia il vento aus Cosi fan tutte zu vernehmen. Schöner lässt sich die Aktualität der Wiener Geschichte vom Partnertausch zur Zeit der Türkenkriege, in der Oper in das Neapel um 1750 verlagert, kaum inszenieren.
Die Hindernisse, die der Verbreitung des Werks in den Jahren nach der Wiener Uraufführung im Januar 1790 anfangs entgegenstehen, beruhen mutmaßlich auf einem Missverständnis. Kaiser Joseph II. soll dem Komponisten und seinem Librettisten für die in Auftrag gegebene Oper ausdrücklich vorgeschrieben haben, eine durchaus gewagte Story zum Inhalt zu machen. Die schillernde Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte des vom „alten Philosophen“ Don Alfonso angezettelten Streits um die Frage, ob die Partnerinnen der jungen Offiziere Ferrando und Guglielmo, im Textbuch albanische Edelmänner, ihnen so treu sind, wie sie glauben, durchbricht Regisseur Hermann radikal. Eigenwilligkeit trifft Authentizität, Chuzpe ersetzt Respekt vor dem Werk. Das geht in der Oper selten gut.
Mozarts und Da Pontes Lehrstück voller neapolitanischer Raffinesse verlagert Hermann in das von zwei Weltkriegen erschütterte Frankreich zwischen 1913 und 1950. Aus dem Kaffeehaus zu Neapel des ersten Aufzugs wird so die Streitszene zwischen den drei Männern, die mit der Einberufung Ferrandos und Guglielmos in den Kriegsdienst endet. Als Schwerverwundete kehren sie 1918 aus dem Krieg zurück, wobei es Guglielmo, der stark bandagiert an Krücken humpelt, ärger erwischt hat als seinen Freund. Despinas Intrige mit angeblich tödlichem Gift und medizinischer Zauberkraft spielt zehn Jahre später in einer Revue tropicale.
Wiederum zehn Jahre später - die Jahreszahlen werden mit simplen Tafeln veranschaulicht – nimmt der tatsächliche wie der bloß vorgestellte Partnertausch in einem Club der Freizügigkeit seinen Lauf. Wirklich erotisch wirkt die Szene freilich nicht, da die Statisterie des Theaters mit den ewig gleichen Verrenkungen von Armen und Beinen eine Lüsternheit suggerieren will, die – gäbe es die Musik nicht – rasch in Langeweile umschlagen würde.
Das Jahr der Vorbereitungen zur vermeintlichen Doppelhochzeit ist 1939, in dem der Zweite Weltkrieg ausbricht und beide junge Männer zum französischen Militär eingezogen werden. Während 1945 noch das Bangen um die Rückkehr der Offiziere vorherrscht, leuchtet die Schlussszene unter der Jahreszahl 1950 die nuklearen Risiken plastisch aus, unter denen die wieder vereinten Paare fortan leben müssen. Zum grellen Schein mutmaßlich eines Atomblitzes senkt sich eine tonnenschwere Bombe von oben auf die Bühne hernieder.
Wie wenig der Oktroy einer gewollten Schwere zur tatsächlichen Leichtigkeit von Stoff und Musik passt, wird auch in einzelnen Szenen deutlich. Dann etwa, wenn der schwer verwundete Guglielmo sich in seiner von Selbstbewusstsein strotzenden Arie Non siate ritrosi als „stark und gut gebaut“ preist und seine „schönen Füße“ lobt, auf denen er sich gerade noch zu einer Bank schleppen kann. Dann etwa, wenn Ferrando in seinem Solo Un‘aura amorosa von der „süßen Labung“ der Liebe schwärmt, während die Regie uns weiß machen will, dass er wie Guglielmo traumatisiert zurückgekehrt ist.
Lina Hoffmann als Dorabella bildet mit der beeindruckenden Davis als Fiordiligi ein kontrastreiches Schwesternpaar. Ihr Mezzosopran lässt auf eine positive Entwicklung seit ihren Rollen im Rossini-Otello und in Verdis Un giorno di regno schließen, was sie insbesondere in der „Eumeniden-Arie“ Smanie implacabili unter Beweis stellt, mit einem mehrfach wiederholten Crescendo auf einem einzigen Ton. Benjamin Lee bringt als Ferrando sein schönes Timbre mit schmelzender Mittellage und lyrischer Phrasierung voll zur Geltung. Simon Stricker gibt dem im Vergleich mit Ferrando selbstgefälligeren und weltläufigeren Guglielmo mit seiner markanten Baritonstimme Kontur und Farbe.
Philipp Kranjcgestaltet, obgleich für Don Alfonso eigentlich zu jung und zu athletisch, den Skeptiker und Zyniker passabel. Eine fabelhafte Figur macht Margot Genet in der Soubrettenrolle des Kammermädchens Despina. Wie viel sie vom Leben versteht, enthüllt sie in der pfiffigen Arie Una donna a quindici anni. Nicht zuletzt in der plötzlichen Unterbrechung dieses Stücks, in der die Violinen innehalten, als wolle Despina ihre Herrschaft auffordern, die vor ihnen ausgebreiteten Weisheiten zu kommentieren. Der von Alexander Eberle einstudierte Chor absolviert seine kurzen Auftritte tadellos. Sein Bella vita militar zur Verabschiedung der jungen Männer in das Militär knistert nur so vor satirischem Spaß.
Der freundliche, sich für alle Mitwirkenden steigernde Beifall des Publikums im ansprechend besetzten Haus untermauert die Quintessenz des Abends. Eine noch so eigenwillige, vielleicht auch absurde Inszenierung kann der Könnerschaft Mozarts und Da Pontes nichts anhaben. Welch ein Glück!
Dr. Ralf Siepmann
Copyright Foto: Sascha Kreklau
24. Juni 2024 | Drucken
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