
L’elisir d’amore Gaetano Donizetti Besuch am 30. März 2025 Premiere am 16. März 2025
Theater Bonn Opernhaus
Comic-Oper mit viel Technik und noch mehr Herz begeistert szenisch und musikalisch
Viva il grande Dulcamara, possa presto a noi torna. Dorfleute und Soldaten feiern den Quacksalber, der die Idee eines Liebe erschaffenden Elixiers in Wirklichkeit verwandelt hat. Nemorino und Adina umarmen sich. Ihr Glück hat sich gegen alle Widerstände durchgesetzt. Zum lieto fine von L’elisir d’amore schließen sich wahrhafte Menschen in die Arme. Die Figuren in Gaetano Donizettis Melodramma giocoso auf ein Libretto von Felice Romani wurzeln zwar in der Opera buffa und zum Teil wie Dulcamara in der Commedia dell’arte. Aber die galante Musik hebt sie aus den platten Bezügen eines Schwanks vom Lande heraus und adelt sie durch menschliche Charakterisierung.
Kein Wunder, dass es Regisseure seit der Mailänder Uraufführung 1832 reizt, den Liebestrank, das mutmaßlich perfektestes Buffo-Werk des Belcanto-Meisters aus Bergamo, in immer erfinderischen Formaten auf die Bühne der Musiktheater weltweit zu bringen. So phantasievoll und originell wie jetzt im Theater Bonn hat man freilich wohl selten die Geschichte um eine beinahe verfehlte Liebe erlebt, die im Mythos von Tristan und Isolde ihren Urgrund hat.
Zwar führte schon 2015 David Bösch an der Bayerischen Staatsoper München mit einer comicartigen Betitelung auf dem Bühnenvorhang während der Ouvertüre in das Spektakel ein. Doch dass wie jetzt im Opernhaus Bonn die ganze Produktion komplett als Comic-Oper inszeniert wird, in der Cartoons das Bühnenbild weitgehend ersetzen und Tuschezeichnungen das Bühnengeschehen ergänzen und kommentieren, ist großartig und an manchen Stellen geradezu umwerfend. Der Oper, summa arte seit mehr als vier Jahrhunderten, wird eine Facette hinzugefügt. Das Bonner Haus dokumentiert seine Bereitschaft, Innovationen seine Tore zu öffnen.
Zu verdanken ist das Experiment der deutschen Regisseurin Maren Schäfer, dem italienischen Comiczeichner und Karikaturisten Joshua Held, ferner Sebastian Ellrich, der für eine minimalistische Bühne und circensisch inspirierte Kostüme verantwortlich zeichnet, und der Videokunst von Clemens Malinowski. Schäfer bringt praktische sängerische Kompetenz, Erfahrung aus Regieassistenz und der Teilhabe an der Entwicklung von Stücken in die Produktion ein.
Schon vor den ersten Takten Musik wird deutlich, dass es keinen konventionellen Opernabend geben wird. Die Inszenierung ist in eine Rahmenhandlung eingebettet, in der der Liebesgott Armor Reflexionen über das schönste aller Gefühle zitiert und sich via Telefonverbindung in die Handlung einspielen lässt. Verblüffend ist der Effekt, den Schauspieler Alois Reinhardt als Amor in einem die gesamte Bühne füllenden Filmformat auf dem Hintergrund einer tiefschwarzen Bühnenwand zu erleben, wie er spricht, dafür auch ein rotes Telefon bemüht und sich zum Zwecke des Zeichnens eine Feder aus seinen Flügeln greift. Diese Introduktion geht über in die Ouvertüre und die sich anschließende Szene Giannettas mit Bel conforto, al mietitore, dem Chor der Schnitter.
Die Geschichte um die Entwicklung eines Bauernburschen vom naiven Tolpatsch zum Mann, der zu seinen Gefühlen steht, spielt sich auf einer einfachen Bühne ohne Mobiliar mit einem leeren Zeichenblatt in Weiß ab, auf dem Versatzstücke des Geschehens dargestellt werden. Fertig produzierte oder gerade entstehende Zeichnungen stellen Szenen, Implikationen, Ingredienzien der Handlung dar. Manchmal kommentieren sie die Figuren, meist an ihren persönlichen schwächsten Stellen. Wird Nemorino wie in einem Casting als ängstlicher Jüngling, als „Häuflein Elend“ charakterisiert, ist dieses „Häuflein“ auch in der begleitenden Tuschzeichnung zu sehen. Wird der im Dorf einquartierte Sergeant Belcore als Soldat der Luftwaffe vorgestellt, schwebt er dank der Videoanimation mit seinen Kameraden vom Fliegerregiment via Fallschirm aus der Luft ein.
Erzählt Adina in ihrer Kavatine Della crudele Isotta von Tristan und Isolde, taucht das Buch in Gestalt einer Graphic Novel auf dem weißen Zeichenblatt auf. Dynamisch animiert, indem Kapitel I auf Kapitel II folgt, Deckblatt für Deckblatt. Die Krankheiten, Unpässlichkeiten und all das Malheur, gegen das angeblich Dulcamaras Zaubertrank hilft, werden detailliert und genüsslich in Sprechblasen aufgefächert. Es macht Spaß, hier der zeichnenden Hand mit ihrem professionellen Tempo zuzuschauen. Immer wieder ist die Weinflasche in wechselnden grafischen Anmutungen zu bestaunen, die Ikone dieser Produktion. Witzig ist ihre zweidimensionale Darstellung in menschlicher Größe als Symbol des Elixiers. Die Protagonisten betreten und verlassen durch sie den Raum, wobei sich zumeist ihr geistig-körperlicher Zustand ändert, je nach Menge des konsumierten Bordeaux.
Die Regisseurin folgt der Handlung in einigen Szenen auf das Libretto. So werden Nemorino während der Aufnahme in Belcores Regiment die Maße für seine Armeekleidung genommen. Aus der befreit er sich nach der glücklichen Wende bis auf die Unterwäsche unter den Hochrufen der Dorfmädchen, symbolisch für die tatsächliche Befreiung als Mann und Mensch. Der Vertrag, durch den sich Nemorino bei Belcores Regiment verpflichtet, ist ein ellenlanges Papier. Der Unglückliche muss sich für die Unterschrift tief bücken und somit jenes Bild des Unterlegenen abliefern, das sein Widersacher um Adina in ihm sieht. In anderen Szenen geht Schäfer auch großzügig über das Textbuch hinaus. Der Fight, den sich Nemorino und Belcore mit Boxhandschuhen, natürlich rot gefärbt, liefern, wird durch Adinas letzte Gerade gekrönt. Dazu proklamiert die hingezauberte Schrift Fight like a girl, was im Publikum mit ähnlichem Szenenapplaus quittiert wird wie die aus der Promotionwelt bekannte Aufforderung Hier könnte Ihre Werbung stehen.
Running gagist das blutrote Herz in den verschiedensten Formen und Anmutungen. Gescribbelt, gezeichnet, als Blume gefasst, zum Luftballon in verschiedenen Größen aufgepumpt, als Anstecker auf Kleidung genäht, auf Batterien von Weinflaschen gepappt. In der schönsten Szene des zweiten Akts, in der Adina und Nemorino sich in ihrem finalen Dialog Prendi, per me sei libero endlich als Liebende entdecken, umspült von hinreißenden Koloraturen, ist das Herz ein überlebensgroßes Requisit aus Pappmaché, das Adina zum Beweis ihrer Gefühle in die Bühnenmitte schiebt. Diese Szene besticht auch deswegen, weil für die Dauer ihrer Erkenntnisreise in das Innere die beiden vor einer grau-weißen Bühnenwand agieren und der tobende Kulissenwirbel auf Zeit verschwunden ist. Zeit für die menschlichen Affekte, wie im Barock zu seiner Glanzzeit.
Mit L'elisir d'amore tritt eine subtile Weiterentwicklung des Buffo-Genres in das Werk Donizettis ein. Die Abstufungen von buffo bis seria werden differenzierter. Die Orchestrierung, sei sie lebhaft, leidenschaftlich oder lyrisch leuchtend, begleitet und fördert die Gesangslinie quasi partnerschaftlich, was in beiden Finali großartig gelingt, die auch in der Bonner Aufführung zu den Highlights des Abends aufsteigen. Das Beethoven Orchester Bonn unter der musikalischen Leitung von Hermes Helfricht präsentiert sich in bester Belcanto-Manier und auf der Höhe der Feinabstimmung zwischen Kunst und Technik. Ihm steht der Opernchor, einstudiert von André Kellinghaus, in nichts nach. Zu einem Glanzstück entwickelt sich sein Saria possibile?, in dem die Kunde von Nemorinos Erbschaft öffentlich wird. Giannetta vermag die Klatschsucht der Dorfmädchen kaum zu zügeln. Gesungen wird die Partie von Carolyn Holt, leider mit völlig überzogenem Vibrato.
In der Paraderolle des Nemorino ist Santiago Sánchez eine Besetzung, die allein schon den Besuch lohnt.Bereits in seiner Auftrittskavatine Quanto è bella mit ihrer für Donizetti neuen Färbung von Verzweiflung und Melancholie besticht er durch ausdrucksvolle Melodik und lyrisches Charisma. Dies steigert sich noch in seiner Romanze Una furtiva lagrima mit betörendem Legato in jenem mystischen Dunkel, das allein von Harfe und Fagott geschaffen wird. Ein Clou ist eine kunstvoll gesetzte Mini-Pause vor dem Schluss, wobei Sekunden sich hier zu kleinen Ewigkeiten auswachsen.
Die schillernde, teils kokette, teils launische Figur der Adina gestaltet Juliana Zara mit ihrem perlenden Sopran, quirligen Koloraturen und charmanter Spielfreude vorzüglich. Ihr nimmt man den Aufstieg von der kultivierten Extravaganz – Che capriciosa io son – hin zur gereiften Frau mit Herz gern ab. Eine Bank ist sie in den diversen Ensemblenummern. Das Glück mit Adina ist Belcore zwar nicht vergönnt. Dafür aber darf Giorgos Kanaris den von sich eingenommenen Macho mit vokaler Intensität und flüssigen Koloraturen voll ausleben. Seine Auftrittskavatine Come Paride vezzoso ist ebenso wie Dulcamara Kavatine Udite, udite, o rustici reines Belcanto-Vergnügen, mit dem sich der ambulante dottore mit der Aura des Seriösen umgibt. Enrico Marabelli inszeniert den gefälligen Schwätzer mit baritonaler Raffinesse. Tritt er auf, ist ihm volle Bühnenpräsenz sicher.
Im zum Bersten gefüllten Haus, in dem ganze Schulklassen die Opernbesucher von morgen und übermorgen repräsentierten, baden Sänger, Chor und Orchester geradezu in Jubel, nachdem auch zuvor lebhafter Szenenapplaus die Regel war. Immer dann erreicht die Zustimmung höhere Pegelausschläge, wenn Zara, Sanchez und Helfricht in Erscheinung treten. So mag es also sein, das Elixier, das die Oper ausmacht und ihr Publikum findet.
Dr. Ralf Siepmann
Copyright Foto: Bettina Stöß
01. April 2025 | Drucken
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