Der Wüstling mit Stierkopfmaske als Katalysator

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Don Giovanni Wolfgang Amadeus Mozart Besuch am 14. März 2025 Premiere am 9. März 2025

Oper Köln Staatenhaus Deutz

Der Wüstling mit Stierkopfmaske als Katalysator

Don Juan gehört mit Faust, Hamlet und Don Quijote zu den Archetypen der europäischen Literatur, insbesondere in den lateinischen Ländern. Mit am stärksten dürfte Don Giovanni, das zweite der drei großen Gemeinschaftsprojekte von Wolfgang Amadeus Mozart und Lorenzo da Ponte, zur Verbreitung und Popularisierung des Mythos vom triebhaften Frauenverführer beigetragen haben. Nur wird es von Generation zu Generation schwieriger, das 1787 am Prager Nationaltheater uraufgeführte und vom Komponisten 1788 für das Wiener Hoftheater mit leichten Veränderungen versehene Dramma giocoso von den Interpretationen, Modifikationen und Interventionen zu unterscheiden, die Regisseure dem Werk angetan haben. Man könnte von einer wuchernden Hecke sprechen, die den Blick auf die Schönheit eines Gartens im Renaissance-Stil erschwert.

Auch die italienische Regisseurin Cecilia Ligorio sucht in ihrer Neuinszenierung an der Oper Köln einen kritischen Zugang zu Stoff und Werk. Sie entscheidet sich, wie der Pressetext verrät, für „eine heutige Art und Weise aus weiblicher Sicht“. Eine feministische Perspektive ist dem Stück schon mehrfach nicht gut bekommen. Vor Jahren in Salzburg, zuletzt auch in Dortmund, wo die Regisseurin Ilaria Lanzino Mozarts witzig-parodistisches Spiel mit Sarkasmus und Ironie auf die Ebene des plakativen Geschlechterkampfs herunter nivelliert und das auf Moral und Trost zielende Schlusssextett streicht. Für Humanität ist dann kein Raum, wenn der Wüstling der verdienten Rache anheimfällt.

So ideologisch ist Ligorio, die nach ihrer Inszenierung von La Cenerentola in der Spielzeit 2022/23 an das Kölner Haus zurückkehrt, zum Glück nicht. Gewiss, sie zeigt mit einer drastischen Personenregie die Umtriebe des unersättlichen Don Juan zu Sevilla in der Mitte des 17. Jahrhunderts, der seinen Machismo skrupellos auslebt und verdientermaßen in der Hölle landet. Darüber hinaus gilt ihre Aufmerksamkeit insbesondere den drei Frauen in seinem Umkreis, die durch die ruchlosen Taten Giovannis gefordert sind, sich neu zu definieren, sich für Empathie und Menschlichkeit zu entscheiden. Don Juan als Katalysator einer Gesellschaft, die sich anschickt, das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft neu auszuloten.

Triebsteuerung und – Jahrzehnte später – materielle Gier sind nicht die einzige Kraft im Menschen. So findet das lieto fine des zweiten Aufzugs auch wieder seinen angestammten Platz. Anders als im Libretto sorgt die Erscheinung des Komturs nicht für die Höllenfahrt des Wüstlings. Er eröffnet ihm die Option, sich selbst für den Tod zu entscheiden. Der in die Enge getriebene Erotomane nimmt diesen Ausweg an und bewahrt sich mit der Bejahung einer Verantwortung im letzten Augenblick einen Rest von Würde.

Am sinnfälligsten wird Ligorios Überzeugung von der prinzipiellen positiven Wandlungsfähigkeit des Menschen in der Aufwertung, die die Figur des Don Ottavio, des Verlobten Donna Annas, erfährt. Der von Regisseuren zumeist als spießiger Schwächling und Sachwalter keuscher, also höherer Gefühle charakterisierte Edelmann wandelt sich zum empathischen leidensfähigen Partner, der profunden Schmerz empfindet und die Aufgabe akzeptiert, Donna Anna durch ihre tiefe Lebenskrise zu begleiten. In welchen Inszenierungen von Don Giovanni hat man jemals den Verfechter der Rationalität und Aufklärung auf dem Boden gesehen, kniend oder ausgestreckt! Ein Aufstieg vom Schoßhündchen zum Menschen.

Schade nur, dass Dmitry Ivanchey nur eine der beiden Arien des Ottavio singen darf. Der Tenor, Mitglied des Ensembles der Oper Köln, gestaltet die Bitte um ewigen Seelenfrieden mit der gebotenen noblen Attitüde, wenn auch nicht zum Niederknien. Seine zweite Arie ist gestrichen, mutmaßlich der Dynamik der Inszenierung geschuldet.

Unmittelbar mit der machtvoll in d-Moll grollenden Ouvertüre offenbart Ligorio ihre Haltung, den Mythos des Don Juan in seiner Zeitlosigkeit in das Zentrum ihrer Regiearbeit zu stellen. Der Lüstling, der seine Jagd nach Frauen mit Stierkopfmaske in einem bordellartigen Ambiente mit rotem Licht ausagiert, in dem Tänzer orgiastische Bewegungen vollführen, ist die Ikone des Don Juan-Mythos, nicht dessen reale Ausgestaltung in Zeit und Raum. Dazu passt das finale Bild, in dem sich Don Giovanni, wiederum mit Stierkopfmaske aus einem Kreis von Teilnehmern einer dionysischen Feier erhebt. Das Spiel von Gier und Lust kennt kein Ende und reicht, wer weiß, womöglich bis an die Me too-Debatte unserer Zeit.

Die von Gregorio Zurla geschaffene Ausstattung unterstreicht die gewollte Abstraktion. Zu sehen ist ein labyrinthisches Ensemble von Kulissen, die sich dank der Drehbühne in eine variable Abfolge von Räumen verwandeln lassen, den Garten des Komturs, das Haus von Donna Elvira, den Palast Don Giovannis. Im Vagen bleiben auch die von Vera Pierantoni Giua kreierten Kostüme, die dem Beginn des 20. Jahrhunderts korrespondieren könnten, mit Anspielungen auf die Zeit Mozarts in Wien.

Ohnehin spielt die Ausstattung nicht die entscheidende Rolle, was auch den technischen und räumlichen Begrenzungen des Übergangsquartiers der Kölner Oper in den ehemaligen Messehallen entgegenkommt. Die Protagonisten sind ständig in Bewegung. Poetry in motion sozusagen. Giovanni, dessen sexueller Instinkt schon beim Geruch von Frauen angestachelt wird – Zitto, mi pare sentire odor di femmina – taumelt durch die Szene, arbeitet sich an den unterschiedlichen Frauenkörpern ab und lässt mit gemeiner Hinterlist Leporello in die Falle laufen.

Verlangen einzelne Arien oder Mozarts geniale Ensemble-Nummern bewusst Momente der Ruhe, gar der Kontemplation, kreiert ein zehnköpfiges Tanzensemble in der Choreographie von Daisy Ransom Phillips aktionistische Szenen und Einlagen, die mehr oder weniger gelingen. Dabei sprüht die Partitur nur so vor Esprit und Tempo, wie exemplarisch die Champagner-Arie Giovannis Fin ch’han dal vino beweist. Furor und Bravour in nicht einmal eineinhalb Minuten. Umso effektvoller die Idee Ligorios, den Sarg des Komturs aus tiefschwarzem Edelholz mäßigen Schrittes bei Kerzenschein durch die Kulissen tragen zu lassen, während Donna Anna von ihrem Abschiedsschmerz nach der Ermordung ihres Vaters kündet.

Da das Staatenhaus keinen Graben kennt, agiert das Gürzenich Orchester Köln unter der musikalischen Leitung von Tomáš Netopil vor der Bühne. Dabei gelingt es dem früheren Essener GMD weitgehend, die diffizile Balance zwischen Graben und Bühne in den machtvollen Tutti- wie den filigranen solistischen Sequenzen auszutarieren. Sein Dirigat erzeugt eine sprühende und galante Mozart-Performance, die von Luca Marcossi am Hammerflügel einfühlsam und phantasievoll akzentuiert wird. Die Rezitative geraten bisweilen zu kleinen Kunstwerken. Die Holzbläser sind in Bestform. Die Hörner erzeugen einen warmen Sound, der die Seelenpein der Tochter des Komturs subtil umspielt.

Das vorzüglich aufgelegte und disponierte Sängerensemble mit den Gästen Seth Carico als Don Giovanni, Adrian Sâmpetrean als Leporello und Valentina Mastrangelo in der komplexen Partie der Donna Elvira garantiert der Kölner Oper eine musikalisch absolut empfehlenswerte Produktion. Carico zeichnet die Figur des Frauenverführers mit stimmlicher Wucht, schön timbrierten baritonalen Farben, verführerischer Erscheinung und immer wieder aufscheinender spielerischer grandezza. Der Leporello Sâmpetreans ist ihm eine höchst effektvolle Ergänzung, die den besonderen Witz dieser Rolle, abhängig von seinem Herrn zu sein, ihn aber auch als Schurken kritisieren zu können und von Ausläufern der Liebschaften Giovannis profitieren zu können, voll zur Geltung bringt. Wie er mit seinem akkurat geführten Bariton und aufgeschlagenen Notizbuch Donna Elvira in Madamina, il catalogo è questo das Register der erotischen Eroberungen seines Herrn offenbart, ist Mozart-Kunst vom Feinsten.

Kathrin Zukowskials Donna Anna gibt die hypersensible Tochter aus höchsten Kreisen, entflammbar für die Liebe wie die Rache, mit leuchtendem Sopran, perlenden Koloraturen und berührender Innigkeit. Herausragend in ihrem Schlussrondo Non mi dir, bell’idol mio. Durchaus übertroffen wird sie von der Elvira Mastrangelos. Sie versteht es mit stimmlicher Wucht und aufbrechender Ekstase die toxische Liebe einer Frau zu einem Mann in Spiel und Stimme zu gießen, den sie nicht vergessen will, obwohl er ihr Gewalt angetan hat. Giulia Montanari überzeugt als Gegentyp, als verspieltes wie verführbares Mädchen vom Lande, das vor einer Entwicklung von der Schäferin zum Bürgermädchen steht, mit silbrig-liedhafter Intonation und inniger Lyrik. Die künftige Verbindung mit Masetto, den Wolfgang Stefan Schwaiger ansprechend singt und spielt, wird für diesen alles andere als ein Selbstläufer.

Christoph Seidlgibt dem Komtur – Mensch, Beschützer, Ordnungsinstanz – die gebotene aristokratische Würde. Er vermag allerdings nicht, die ihm von der Regie auferlegten Merkwürdigkeiten – sein Bühnenauftritt im falschen Moment, sein Einwirken auf Don Giovanni im Finale – plausibel aufzuklären. Der von Rustam Samedov einstudierte Chor besticht mit mächtiger Präsenz von der Seite in der Szene, in der Giovanni vom Komtur überwältigt wird.

Mit vier Aufführungen innerhalb von acht Tagen, die zweite in dieser Serie vom Streik im öffentlichen Dienst erreicht, hat die Oper Köln neuerdings kraftvoll ihre Ambition formuliert. Weitere Termine sind bis in den April gesetzt. Der Besuch sei empfohlen.

Dr. Ralf Siepmann

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