Amao Omi Giya Kancheli Besuch am 18. November 2023
Köln Trinitatiskirche Konzert von WDR Rundfunkchor und Raschèr-Saxophone Quartett
Die Schwere des Leichten: Vom Versagen des Menschen und von der Sehnsucht nach Frieden
Estland 2004. Erstmals in seiner über 50jährigen Geschichte hat sich der WDR Rundfunkchor mit A-capella-Werken zu Konzertauftritten in Tallinn, Tartu und Pärnu auf Reisen begeben. Das Programm mit Kompositionen nordischen Charakters, so des Norwegers Knut Nystedt und des Esten Erkki-Sven Tüür, findet in der Kulturszene des Landes mit der enormen Chortradition großen Anklang. Partner des Kölner Ensembles ist das Raschèr-Saxophonquartett.
Chefdirigent Anton Marik trug sich schon seit geraumer Zeit mit der Idee, das Verschmelzen der menschlichen Stimmen mit jenem Instrument zu erproben, das diesen in Ton und Lage am nächsten ist. Das Ensemble in der Tradition des Pioniers des klassischen Saxophons, Sigurd Raschèr, ist in der Szene zeitgenössischer Musik hochangesehen. Eine große Zahl von Komponisten von Luciano Berio bisIannis Xenakis hat den vier Virtuosen Stücke auf die kostbaren Bleche geschrieben. Das Quartett erweist sich als brilliante Ergänzung der im Regelfall 48 Chorsängerinnen und Chorsänger, die als „Stimme“ des Sinfonie- sowie des Rundfunkorchesters der Landesrundfunkanstalt zu den Stützen der Klangkörper des Senders zählen.
Jetzt also Deutschland 2023, Köln. Für den Rezensenten eine Wiederbegegnung in der Konstellation von Estland 2004. In der evangelischen Trinitatiskirche in der Altstadt, heute weniger Gemeinde- als Veranstaltungszentrum, sind die beiden Ensembles in einem Programm vereint, das sich der Perspektive des Friedens verpflichtet weiß. Ein Programm, das einen weiten Bogen im Geiste der Humanität und der Empathie spannt. Mit Konzertstücken, die aus den Klangwelten des Mittelalters schöpfen, die der Minimal Music und der deutschen Romantik zugehören. Für den WDR ein Abend, der die Vitalität des Ensembles im Zusammenspiel mit vielfältigen Akteuren in seinem Stammland NRW unter Beweis stellen soll.
Ins Zentrum des Programms und an seinen Anfang gerückt ist Giya Kanchelis Amao Omi für gemischten Chor und Saxofonquartett. Das Stück in der Sprache Georgiens, des Landes, aus dem der Komponist stammt, propagiert Friedensklänge. Es wendet sich gegen den „sinnlosen Krieg“. Amao Omi steht formal einem A-capella-Oratorium nahe, in das sich die raumtönenden Instrumente des Raschèr Saxophone Quartet, wie die vier Virtuosen nun firmieren, passgenau einfügen. Mit ihren Anleihen an Klangbildern des Mittelalters wirkt die Komposition streng, letztlich archaisch.
Kancheli wiegt das Publikum in einer scheinbaren Ruhe, die der Chor unter Leitung von Philipp Ahmann mit seiner professionellen Intonation wie aus dem Nichts erzeugt. Sie stellt sich aber von Note zu Note, von Einsatz zu Einsatz mit zunehmender Vehemenz als trügerisch heraus. Der Mensch in Kanchelis Erfahrungswelt versagt, wenn es gilt Humanität zu üben, vor allem in Kriegen, wie wir sie jetzt aktuell erleben. Raumgreifend erlebbar wird die auch in sieben Sinfonien und zahlreichen weiteren Orchesterwerken manifeste Kunst des Komponisten, das vermeintlich Leichte mit dem Schweren, mit dem Bedeutsamen anzureichern. Ein Phänomen, das Amao Omi aus einer großen Zahl zeitgenössischer Musikstücke heraushebt.
Mit Arvo Pärts De profundis, Psalm 130, adaptiert für gemischten Chor und Saxofonquartett von Andreas van Zoelen, dem Raschèr-Tenorsaxophonisten, hat der Abend sogar eine Deutsche Erstaufführung zu bieten. Die beiden Ensembles werden für dieses Stück um Schlagwerk, Trommel und Glocken, erweitert, das Johannes Wippermann, Schlagzeuger vom WDR Sinfonieorchester, beisteuert. Der Este Pärt wird auch mit De profundis seinem Ruf gerecht, einer der Protagonisten der Neuen Einfachheit zu sein. Die Psalm-Vertonung wird von einer klaren reduzierten, gleichwohl berührenden Tonsprache getragen. Der Tiefe Raum gebend, aus der die hoffende Stimme einer Seele aufsteigt, steigert sich der vokale Ausdruck nach Lautstärke und Intensität machtvoll. Die Herren des Chors überzeugen dabei mit tiefsten Registern.
Bei Three Songs, für gemischten Chor a cappella von Philip Glass, des Wegbereiters des Minimalismus, ist die Fähigkeit des Vokalensembles gefragt, akribisch kleinste musikalische Einheiten präzise auszudrücken, wobei winzige Veränderungen erst in der ständigen Wiederholung manifest werden. Diese musikalische Grammatik ergreift mit einem stakkatoartigen Ha-Ha-Ha von der Mimik der Sängerinnen und Sänger Besitz, ehe sich das Ganze in einem langgezogenen Crescendo entlädt. Die Texte, unterschiedliche Botschaften des Friedens, stammen von Leonard Cohen, Raymond Lévesque, Octavio Paz.
Wie vielfältig die Farben der Instrumente des Abends sein können, vermittelt der vierte Satz aus dem Concerto for Saxophone Quartet von Glass. Das Raschèr-Ensemble spielt es in seiner klassischen Besetzung. Mit Christine Rall (Sopran-Saxophon), Elliot Rily (Alt-Saxophon), Andres van Zoelen (Tenor-Saxophon), Oscar Trompenaars (Bariton-Saxophon).
Die Motette Warum ist das Licht gegeben op. 74/1 für gemischten Chor a cappella von Johannes Brahms und die Choralkantate Verleih uns Frieden von Felix Mendelssohn Bartholdy im Arrangement van Zoelens für gemischten Chor und Saxofonquartett zeigen die vokalen wie die instrumentalen Könner einmal mehr in ihrer bezwingenden Meisterschaft. Vor allem in der Motette finden die schwebenden Vokalisen des Chors mit den vielfältigen Farben des Saxophonquartetts subtil zueinander.
Das Publikum im gut gefüllten Auditorium, das bereits nach jedem einzelnen Konzertstück applaudiert hat, dankt allen Künstlern am Ende mit anhaltendem großem Beifall. In diesen wird auch Susanne Herzog vom WDR für ihre Konzertmoderation eingeschlossen. Amao Omi wird im Übrigen am 23. Februar 2024 im Radio auf WDR3 ausgestrahlt.
Dr. Ralf Siepmann
Copyright Foto: WDR
20. November 2023 | Drucken
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