Eigensinnige Regie tauscht dörfliches Milieu gegen Strandbad-Klischees quer zur Intention der Musik

Xl_liebestrank_khp_0009_matthias_jung-min © Copyright: Matthias Jung

L’Elisir d’amore Gaetano Donizetti Besuch am 5. November 2023 Premiere

Oper Köln Staatenhaus Deutz

Eigensinnige Regie tauscht dörfliches Milieu gegen Strandbad-Klischees quer zur Intention der Musik

Prima la musica e poi le parole.Auf wenige Opern trifft der Titel des Divertimento teatrale von Antonio Salieri so treffsicher zu wie auf Gaetano Donizettis Melodramma giocoso von 1832. Der spezifische Stil des jungen Komponisten im Übergang von der Opera buffa zur Opéra comique, sein Witz für Szenen und Figuren sowie die melodiebetonte Eleganz seiner Partitur sind Garanten des weltweiten Erfolgs Jede Inszenierung des Spiels um den richtigen und falschen Liebestrank mit dem Libretto von Felice Romani nach einem Textbuch von Eugène Scribe muss es daher mit der Musik aufnehmen und zu ihr im Idealfall aufschließen.  

Regiekonzepte drehen sich folglich um eine elementare Frage. Soll das Milieu in einem italienischen Dorf zu Beginn des 19. Jahrhunderts realistisch genommen werden, wofür exemplarisch die viele Jahre gespielte Version von Otto Schenk an der Wiener Staatsoper steht? Oder sollen die immanenten Albernheiten des Stücks um etliche Windungen weitergetrieben werden? Der Regisseur David Bösch dreht 2015 an der Bayerischen Staatsoper in München an dieser Schraube. Er lässt die Geschichte um eine beinahe verfehlte Liebe, die in der Reminiszenz von Tristan und Isolde ihren Urgrund hat, in einer Arena der Phantasie spielen. Einfache Bilder, die aus Fellinis La Strada stammen könnten, wechseln mit Motiven vom Zirkus oder von einem beliebigen Rummelplatz.

Einen eigenwilligen, vielleicht auch eigensinnigen Weg geht die Inszenierung Damiano Michieletto in einer Produktion von Palau de les Arts Reina Sofía Valencia und Teatro Real Madrid, die eine knappe Woche vor dem Auftakt der Karnevalssession im Deutzer Staatenhaus, dem Ausweichquartier der Oper Köln, ihre Premiere erlebt. Er verlegt die Szene an den Badestrand einer fiktiven italienischen Küste. Dies unterscheidet sich sehr wohl von dem Wurf aus der Klamottenkiste 2014 für die Oper Köln, mit dem der Name des Regisseurs Bernd Mottl verbunden ist. Freilich nicht uneingeschränkt.

Im neuen kooperativen Kölner Elisir in der szenischen Einstudierung von Marcin Łakomicki wird aus der Dorfidylle eine Strandlandschaft mit den typischen Requisiten vom Liegestuhl über das Badehandtuch bis zum Wachtturmgerüst Soccorista, von dem aus das Geschehen am Strand und im Meer beobachtet wird. Michieletto verfolgt mit dieser Verlagerung der Location die Absicht, den Stoff aus dem ländlichen Raum herauszuholen. Verleitet doch der Typus des Dorfs dazu, die Protagonisten als provinzielle Hinterwäldler einzustufen, die schon dadurch Bildung erfahren, dass ihnen Adina die traurige Geschichte von dem Liebespaar vorliest, das auf der Tragödie des Gottfried von Straßburg beruht.

Auf der dem Staatenhaus angepassten Einheitsbühne von Paolo Fantin dürfen sich die Elemente eines Strandpanoramas, das an Bilder aus Luchino Viscontis Verfilmung von Thomas Manns Tod in Venedig erinnert, geradezu austoben. Strandliege reiht sich an Strandliege. Es gibt Sonnenschirme und eine Dusche, die auch funktioniert. Für die bambini sind allerlei aufblasbare Gummitiere verfügbar. Links am Bühnenrand ist ein Bistrokiosk aufgebaut, der unter der Leuchtschrift Bar Adina um Gäste wirbt, rechts prankt eine Palme. Auf einem Prospekt im Hintergrund schaut ein Pärchen sehnsüchtig auf das Meer. Das Klischee per se aus den Traumversprechen der Tourismusindustrie.

In den Badekostümen Silvia Aymoninos tummeln sich die Strandurlauber alias Choristen, phasenweise auch Adina und Giannetta. Die weidlich präsentierten Statisten in ihren Bikinis und knappen Badehosen sollen offenkundig den voyeuristischen Teil des Publikums abholen, eine letztlich durchsichtige Anmache. Ein hübscher Einfall ist es, dass dem Plastikbrautpaar über einem dem Trevi-Vorbild ähnelnden Brunnen die Luft ausgeht, nachdem die Heirat von Belcore und Adina geplatzt ist. Ansonsten wird telefoniert, gern mit Wasser gespritzt und heftig im Brunnen Schaum aufgewirbelt. Adina ist mit einer Vespa unterwegs, noch ein Klischee.

Damit nicht genug. Michieletto greift massiv in Art und Charakter der handelnden Personen ein, um sie aus ihrer vermeintlichen Provinzialität zu befreien. Insbesondere bei Nemorino, der gemeinhin mit dem Makel zu kämpfen hat, ein dummer Bauernbursche zu sein. Er agiert jetzt als Bademeister, der sich um seine Gäste zu kümmern und die Luftmatratzen für die Kleinsten aufzublasen hat. Adina, bei Romani eine launische und wohlhabende Pächterin, betreibt ihren point of sale, in dem Giannetta, das Bauernmädchen, als Servicekraft tätig ist. Belcore ist nicht mehr der im Dorf einquartierte Sergeant, sondern ein Matrose auf Landgang, der seinen Aufenthalt nutzt, möglichst viel Vergnügen zu haben, mit Wein und vor allem mit den Mädchen in der Badeanstalt.

Das Abgründige in der Figur des Quacksalbers Dulcamara, dieses infamen Schmeichlers und Rattenfängers, wird dadurch gesteigert, dass er als Vermarkter nicht nur von Energydrinks fungiert. Michieletto lässt ihn auch mit Rauschmitteln handeln, was eine Seite seines Wesens andeutet, die es im Original nicht gibt. Sein Hang zum Illegalen wird allerdings nicht ihm, sondern Belcore zum Verhängnis. Dieser wird von der Polizei festgenommen und abgeführt, nachdem sie in seinen Taschen ein Päckchen Drogen gefunden hat, die Dulcamara zuvor dorthin lanciert hat.

Wie bei Inszenierungen, deren innovativer Impetus auf einer einzigen Idee beruht, läuft auch hier das Strandambiente mit Handtuch schwingenden und sich in Tanzposen bewegenden jungen Leuten nach einer gewissen Zeit ins Leere. Da es übertrieben und ständig wiederholt wird, liegt das Getue quer zur Intention der Musik, der es vorbehalten bleibt, verborgene Gefühle der Hauptpersonen zu beschreiben, die in dem Gehampel untergehen. Es wird spätestens dann albern bis lächerlich, wenn die Schlüsselszenen der Geschichte erzählt werden, zumeist in Donizettis brillianten Duetten.

Es gibt nur zwei Szenen, in denen dem Primat der Musik der ihr anstehende Raum gelassen wird, worauf prompt für Minuten Belcanto-Glück entsteht. So im Duett Adina und Nemorino im zweiten Akt Prendi, per me sei libero, in dem einfach zugelassen wird, was das Geheimnis der Oper ausmacht, die beglückende Verbindung von Musik und Sprache, von musica e parole. Zum anderen in Nemorinos Romanze Una furtiva lagrima, wofür der Tenor Adinas Bar auf das Dach steigt. Dort steht er anfänglich völlig allein für sich in einem mystischen Dunkel, getragen von lyrischer Instrumentation, von Harfe und Fagott.

Ungeachtet der problematischen Konstellation der Orchesteraufstellung links von der Bühne, deren anfängliche leichte Unstimmigkeiten sich noch in den kommenden Aufführungen geben könnten, kommt insgesamt gesehen und gehört ein respektables Opernvergnügen zustande. Matteo Beltrami leitet das Gürzenich-Orchester Köln mit federndem Elan, der auch in seiner Körpersprache manifest wird, und einer hohen Affinität zur Italianatà von Stoff und Partitur. Luca Marcossi, der die wenigen Rezitative am Flügel begleitet, ist ihm ein zuverlässiger Partner.

Im Ensemble der fünf Hauptpersonen sind drei Rollendebüts vermerkt, die Adina von Kathrin Zukowski, die Giannetta von Maya Gour und der Belcore von Insik Choi. Mit Charme, Spielfreude und geschliffenen Koloraturen vermag Zukowski zu überzeugen und ihrem sozialen Aufstieg von der Extravaganz – Che capriciosa io son – hin zur reifen Persönlichkeit Geltung zu verschaffen. Ihrer Stimme fehlt allerdings ein Stück weit das Kokette, das Gour mit ihrem fabelhaften Mezzo fast schon im Überfluss mitbringt, inklusive der perlenden Anleihen im Soubrettenfach.

In der Paraderolle aller lyrischen Tenöre ist Dmitry Ivanchey ein Gewinn. In seinen beiden großen Auftritten – die Kavatine Quanto è bella und die Romanze – generiert er famose Höhe und respektable Tiefe. In der Mittellage gelangt sein durchaus schönes Timbre an seine Grenzen, auch weil sich ein Hang zu einem unnatürlichen Vibrato einschleicht, vor allem in den Duetten. Der Belcore Chois gibt dem ruppigen Macho auch stimmlich Geltung und vokale Kraft. Omar Montanari ist mit seinem an Faben reichen Bariton ein Dulcamara von großer Bühnenpräsenz. Er gefällt sich in der burlesken Note, die er mit Wonne ausspielt und -singt, so im Duett Quanto amore mit Adina. Belcanto-Format hat das Zusammentreffen der vier Hauptpersonen in beiden Finali.

Für jeden Opernchor muss es ein Vergnügen sein, die Passagen zu singen, mit denen Donizetti ihn dekoriert hat. Dicht am Sujet macht sich Chorleiter Rustam Samedov einen Spaß daraus, den Schlussbeifall in einem Kostüm entgegenzunehmen, das zum Ambiente passt.

Das Publikum im weitgehend ausverkauften Saal quittiert die Leistungen aller Mitwirkenden mit anhaltendem Jubel und vereinzelten Bravi!-Rufen. Sie gelten mit erkennbarer Nuancierung insbesondere den Interpreten des Paares, das sich gefunden hat, und Beltrami. Auch das Regieteam schwimmt mit auf der Woge des Applauses. Nun ja, wir befinden uns ja auch am Strand.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright: Matthias Jung

 

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