Ein bezaubernder Hauch von Haymarket an der Opern-Rheinschiene

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Orlando Georg Friedrich Händel Besuch am 20. November 2024 Premiere am 17. November 2024

Oper Köln Staatenhaus Deutz

Ein bezaubernder Hauch von Haymarket an der Opern-Rheinschiene

Die Städte Köln und Bonn teilen die Lage an einem von Geschichten und Mythen umwitterten Fluss, dem Rhein. Georg Friedrich Händels Opern Orlando undAlcina teilen einen gemeinsamen Ursprung, Ludovico Ariosts Orlando furioso aus dem Jahre 1516. Innerhalb von acht Tagen sind nun beide Stücke aus Händels Ära am Londoner Haymarket Theatre als Neuproduktionen in Bonn und Köln herausgekommen. Alcina von 1735 am Theater der Bundesstadt, Orlando von 1733 in der Domstadt. Das ist aber auch die einzige Gemeinsamkeit.

Während das Dramma per musica Alcina mit sieben Gesangssolisten, einem Chor und einem Ballett große Oper ist und eine entsprechende Ausstattung verlangt, stellt die Opera seria Orlando mit fünf Protagonisten ohne Chor und Tanzeinlagen eher ein Kammerstück dar. Allenfalls ließe sich noch über den Anteil der Zauberei spekulieren, der beiden Opern zugrunde liegt. Aber auch hier überwiegen die Unterschiede. Die Zauberin Alcina setzt die perfidesten Ideen ein, um an ihr Ziel zu gelangen und alles zu zerstören. Der Zauberer Zoroastro erlöst Orlando aus seinem Wahn und geleitet ihn zurück auf den Pfad ritterlicher Tugenden. Alcina ist ein Koloratursopran, Zoroastro ein Bass, in der Barockoper eine recht seltene Erscheinung.

Das von einem Unbekannten bearbeitete Libretto von Carlo Capece erzählt die Episode aus Ariosts Epos, in der Orlando, volkstümlich als „der rasende Roland“ populär, wie besessen Angelica, die Königin von Catei (China) begehrt und alles daransetzt, sie für sich zu gewinnen. Dies ruft Zoroastro auf den Plan, da er sich sorgt, dass Orlando seine Pflicht als Krieger vernachlässigen könnte. Angelica liebt indes statt Orlando den Maurenfürsten Medoro. Als Orlando dessen gewahr wird, rastet er wahnsinnig vor Eifersucht aus, halluziniert einen Abstieg in die Unterwelt und beschließt, alles und jeden zu zerstören. Bis zum lieto fine durchwandern die Protagonisten – sehr zum Vergnügen des Komponisten Händel – tiefe Täler seelischer Leidenschaften und emotionaler Eruptionen.

In der Inszenierung des Katalanen Rafael R. Villalobos, die vom Festival in Perelada in der Provinz Girona im Nordosten Spaniens nun auf die weiträumige Bühne des Kölner Staatenhauses übertragen worden ist, wählt der Regisseur plakative Kostümfarben zur Illustration der Grundgefühle, die Ariosts Personal bewegen und antreiben. Gelb für die Eifersucht, die Orlando innerlich zerreißt. Rot für die Liebe, zu der Angelica fähig ist, Grün für die Hoffnung, an die sich Medoro klammert, und Blau für die Hingebung, die die Schäferin Dorinda ebenfalls gegenüber Medoro empfindet.

So einfach und verständlich, vielleicht auch banal dieses Spiel mit Farben und Gefühlen, so problematisch und diffus die Genderebene, die Villalobos der Orlando-Episode zusätzlich einzieht, es ließe sich auch sagen: oktroyiert. Angezogen und verführt von Virginia Woolfs feministischem, Roman Orlando – Eine Biografie, unterfüttert er seine Inszenierung mit dem Rekurs auf das Beziehungsdreieck zwischen der Autorin Woolf, ihrer Freundin Vita Sackville-West und deren Liebhaberin Violet Trefusis. Diese Volte ist doppelt schwierig. Einmal hat der Roman von 1928, in dem sich im 16. Jahrhundert ein junger englischer Adeliger in eine Frau verwandelt und 350 Jahre alt wird, herzlich wenig mit dem Orlando der Opernbühne zu tun. Zum anderen entzieht sich diese Regieidee den Besuchern, die die Figur der Literatur nicht mit der Figur der Oper assoziieren oder – ganz schlicht – das Programmheft nicht vor der Aufführung gelesen haben.

Wirklich plausibel ist die Verknüpfung der beiden literarischen Ikonen von Villalobos auch im Bühnengeschehen nicht. Die Besetzung der Titelfigur mit dem Countertenor Xavier Sabata, der die weibliche Seite des Orlando durch seine nicht gerade von Virilität geprägte, in der Höhe allerdings ausdrucksstarke Stimme zum Ausdruck bringt, und die Darstellung des Medoro alias Sackville-West durch die am Rande zum Alt perlende Mezzosopranistin Adriana Bastidas-Gamboa sind per se Variationen des Spiels mit Geschlechterrollen. Standards der Barockoper allemal und somit nicht wirklich originell.

Originalität darf schon eher die Konstruktion des Bühnenraums beanspruchen, den Emanuele Sinisi als Spiegelreflexkammer angelegt hat. Über dem nüchternen Boden ist ein wuchtiger ungleichseitiger dreieckiger Spiegel angebracht, der alles verkleinert und leicht verzerrt wiedergibt, was sich unter ihm abspielt. Die dürftigen Requisiten, ein Schreibtisch samt Lampe, eine Schreibmaschine, die auch genutzt wird, allerlei Bücher. Später ein aus der Tiefe hochgefahrenes Doppelbett. Wichtiger dann die Akteure, in ihren zumeist den Arien folgenden standardisierten Bewegungen, in ihren Selbstzerfleischungen, für die sie sich spektakulär am Boden wälzen. Wenn sich Orlando wie im grandiosen Wahnsinnsauftritt im zweiten Akt Ah! Stigie larve, ah! scelerati pettri in dramatischer Pose seiner Psychose hingibt, erscheint er in seinem Spiegelbild verkleinert. Wie die Miniaturausgabe einer Person, die sich aufgegeben hat. Ein starkes Bild.

Die musikalische Dimension versöhnt mit einer Produktion, die nicht nur Händel-Fans ansprechen sollte. Das in der Besetzung reduzierte Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Rubén Dubrovsky findet, auch inspiriert durch Sören Leupold und Andreas Nachtsheim an den Theorben, zu einer fließenden Linie, die sowohl die hitzigen Affekte wie die lyrischen Effekte prachtvoll ausmalt. Naturschilderungen, die Händel auch bei Alcina in berührende Musik kleidet, schaffen wie die Anrufung der Nachtigall Atmosphäre und Verdichtung.

Obgleich Sabina Puértolas als Angelica, Interpretin der Partie bereits 2021 bei der einzigen Aufführung beim Festival Perelada, und Maria Koroleva als Dorinda mit ihrem hellen Timbre nicht weit auseinander liegen, akzentuieren sie ihre jeweiligen Rollencharaktere mit konturenreichen Klangfarben. Im fein gewirkten Terzetto Consolati o bella zusammen mit Sabata entwickeln sie eine der seltenen Ensemble-Nummern, die sich Händel in den drei Opern nach Ariost erlaubt. Als Zoroastro verschafft sich Gianluca Buratto mit mächtigem Bass Respekt.

Das Publikum, das schon auf der Reise der Sängerdarsteller durch das Labyrinth der Gefühle nicht mit Szenenapplaus geizt, verwöhnt die Akteure im Graben wie auf der Bühne mit anhaltendem Beifall. Die Opern-Rheinschiene Bonn-Köln erlebt für Wochen einen Hauch von Haymarket. Wie angenehm.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright Foto: Matthias Jung

 

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