Flammender Klangrausch: Spätromantisches Künstlerdrama in einer klugen Inszenierung

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Der singende Teufel Franz Schreker Besuch am 21 Mai 2023 Premiere

Theater Bonn Opernhaus

Flammender Klangrausch: Spätromantisches Künstlerdrama in einer klugen Inszenierung

In den zehn Jahren seiner Intendanz am Theater Bonn von der Spielzeit 2003/4 an bringt der auch Regie führende Klaus Weise zwei der sieben Opern von Franz Schreker heraus. Einmal Irrelohe, 1924 in Köln uraufgeführt, mit einem Textbuch des Komponisten, das auch von Edgar Allen Poe stammen könnte. Zum Zweiten den Erstling Der ferne Klang, 1912 in Frankfurt uraufgeführt, die Geschichte eines Komponisten auf der Suche nach dem Klang, der die Vollendung seiner Kunst besiegeln soll. Nun wagt sich die Bonner Oper in der Intendanz von Bernhard Helmich erneut an die Wiederbelebung einer Schreker-Oper. Der singende Teufel in der Inszenierung von Julia Burbach, getragen von der Inspiration des Bonner GMD Dirk Kaftan, avanciert zu einem herausragenden Opernabend und zeigt die komplexen Bedingungen auf, die einer neuerlichen Karriere des Stücks in den Musiktheatern von heute im Wege stehen könnten.

In der Weimarer Republik ist Schreker, Sohn eines jüdischen Hoffotographen aus Böhmen und einer altsteirischen Adeligen, der einzige Komponist im deutschsprachigen Raum, dessen Aufführungsziffern mit denen von Richard Strauss mitzuhalten vermögen. Sein Stil eines erotisch gefärbten Symbolismus und eines spätromantischen Orchesterklangs sowie seine Fähigkeit, in den eigenen Operntexten den psychischen Innenwelten seiner Figuren bis in die letzten Winkel zu folgen, machen ihn zum Favoriten der Kritiker, die damals einen unvergleichbar großen Einfluss auf das Kulturleben haben.

Mitte der zwanziger Jahre ändert sich mit der Uraufführung von Irrelohe die Wertschätzung Schrekers in der öffentlichen Meinung. Die Nationalsozialisten initiieren Attacken gegen ihn. SA-Horden randalieren am 10. Dezember 1928 bei der von Erich Kleiber dirigierten Uraufführung des Singenden Teufels in der Berliner Staatsoper, die so ein Misserfolg wird. Von 1933 an werden Schrekers Werke aus den Spielplänen in Deutschland verbannt. Schreker legt unter dem Druck konservativer und NS-treuer Professoren sein Amt als Direktor der Berliner Akademischen Hochschule nieder und stirbt im März 1934 an den Folgen eines Herzinfarkts. Auch nach 1945 kehren seine Werke nur sehr zögerlich in das Bewusstsein der Theater der jungen deutschen Demokratie zurück.

Mit dem Vierakter Der singende Teufel setzt die Oper Bonn ihr Projekt Fokus ´33 der Neubesinnung auf Opern fort, die unter der Repression des NS-Regimes aus den Spielplänen verschwinden und nach dessen Zusammenbruch in diesen auch nicht oder nur marginal wieder auftauchen oder überhaupt erst zur Uraufführung gelangen. Schrekers Werk erscheint geradezu als Prototyp der vom gerade früh verstorbenen Operndirektor Andreas K.W. Meyer ersonnenen „Forschungsreise zu den Ursachen von Verschwinden und Verbleiben“.

Schrekers Oper ist im Kern ein Künstlerdrama, das zu den beliebtesten Sujets des Genres zählt. Man denke nur an Benvenuto Cellini von Hector Berlioz oder Palestrina von Hans Pfitzner. Wie in den meisten seiner Werke stellt er ein Klangphänomen in das Zentrum des Geschehens. Der Clou dabei: Der „singende Teufel“ ist kein diabolischer Bänkelsänger oder Meistersinger zu Nürnberg, sondern eine nicht fertig gestellte Riesenorgel, die der junge Orgelbauer Amandus Herz von seinem im Wahnsinn geendeten Vater übernommen hat und die er vollenden möchte. Für die Menschen damals ist das Werk des alten Herz etwas Unbegreifliches, ein schreckerregendes Wunderwerk.

Die Handlung ist im Mittelalter angesiedelt und thematisiert einen frühen clash of culture, hier den Konflikt des erstarkten Christentums im Widerstreit mit den Heiden, die einer Naturreligion anhängen und der Priesterin Alardis folgen. Die Mezzosopranistin Dshamilja Kaiser verleiht dieser Figur Format und Führungskraft. Ihr Gegenspieler Pater Kaleidos dringt auf Vollendung der Orgel, um sie in seinen Kampf gegen die Heiden einsetzen zu können. In das Geschehen greift Lilian ein, die vergeblich versucht, Amandus als Anführer der Heiden zu gewinnen. Die junge Heidin ist als Schönste des bevorstehenden Sonnenwendfestes dem Ritter Sinbrand von Fraß zugefallen, der sie vergewaltigt.

Traumatisiert von diesem Erlebnis warnt Lilian Amandus vor einem Angriff der Heiden auf das Kloster der Christen. Unter dem brausenden Klang der Orgel lassen die Angreifer die Waffen sinken und fallen auf die Knie. Allerdings ist es Amandus nicht gelungen, die dem Instrument eingebauten Töne der Versöhnung zu aktivieren. Kaleidos nutzt dies aus und lässt die Heiden töten. Lilian steckt das Kloster in Brand. Aus den brennenden Mauern ertönen die Pfeifen des „singenden Teufels“ noch einmal, ehe sie zu Asche zerfallen.

Die Liebe zwischen Lilian und Amandus über die antagonistischen Lager hinweg bleibt unerfüllt. Im Sterben kündet Lilian von der Erlösung ihres Geliebten, wozu der Chor den Gesang der in der Glut erstrahlenden Orgelpfeifen anstimmt, leise und träumerisch. Spätestens in dieser Sequenz erreicht der von Marco Medved einstudierte Chor eine Stimmenharmonie zum Niederknien.

Im Schlussbild sinniert der Chor sodann über das „ewige Rätselraten“. Gute oder böse Taten, Lieb´ und Haß – `s gilt alles gleich. Dabei lässt er die Oper mit „dieser ew´gen bangen Frage“ enden, der Schreker bewusst keinen Inhalt gibt. An dieser Stelle mögen die Diskussionen einsetzen, ob der Komponist und Textdichter konkret die Weimarer Republik im Niedergang im Sinn hat oder sein eigenes Schicksal oder das Geschick der Menschheit schlechthin.

Auch die völlig undogmatische Inszenierung von Julia Burbach sucht zum Glück nicht nach einer Antwort, gibt ganz im Sinne der Aufklärung der Gedanken- und Urteilsfreiheit ihren Raum. Hierfür hat sie mit dem Ausstatter Dirk Hofacker ein Szenario gewählt, das eher indirekt auf die kolportierten Milieus und Schauplätze rekurriert und vieles in der Schwebe lässt, was ja auch das Charakteristikum dieses Stoffes zwischen Moritat, Melodrama und Mysterienspiel ist.

Der Primäreindruck eines klösterlichen Innenlebens weicht einem vertikal angeordneten Ambiente von Theatersesseln, die später in ein Chorgestühl übergehen. Aus dem Schnürboden sinken Orgelpfeifen hernieder, die die Assoziation von heutigen Raketen auslösen. In der zweiten Szene, die in der Höhle der Alardis spielt, schiebt sich ein Mixtum aus Brocken von Gletschern und Elementen einer Landschaft mit Orgeln bedrohlich nach vorn. Unheimlich wie das von Max Karbe gewählte düstere Licht des Klosters, von dem sich die deutlich hellere Welt der Heiden unterscheidet.

Der Gegensatz von Hell und Dunkel kennzeichnet auch die Kostüme. Amandus und die Vertreter der Christen bewegen sich in Schwarz, die Heiden in Bunt. Alardis ist naturnah in Weiß und Blau gezeichnet. Lilian ist pures Weiß zugedacht, was aber eine Integrität vortäuscht, die diese Figur a priori nicht besitzt. Ganz im Sinne des Opernverständnisses der Ära nach Richard Wagner setzt Burbach auf das Element des Tanzes zur Darstellung der Empfindungen, die Amandus durchtosen. Entsprechend ausdrucksstark agiert ein Ensemble aus je drei Tänzerinnen und Tänzern in einer Choreographie von Cameron McMillan und Mar Rodriguez Valverde.

Mit dem Singenden Teufel verfolgt Schreker eine Weiterentwicklung im Vergleich zu seinen bisherigen Opern, für die er in der Schrift Meine musikdramatische Idee eine Reihe von Kriterien aufführt. Er suche die „höchste Kunst und Feinheit in der Behandlung des Orchesters, die Eindämmung seiner Gewaltherrschaft über die Singstimmen zugunsten der Verständlichkeit des Wortes“. Entstanden ist letztlich an der Nahtstelle von Tonalität und neuer Tonsprache eine expressive Musik, die geeignet ist, die Zuhörer in Trance zu versetzen. Rauschhaft im Klang, bombastisch in den Ausbrüchen angesichts des Schreckens des Sonnenwendfestes, rätselhaft in den Tonmalereien, die das Wesen der Riesenorgel umspielen.

Besonders publikumswirksam sind die labyrinthischen Zwischenspiele mit ihren sinfonischen Kaskaden, die eine Alleinstellung im Gesamtwerk einnehmen. Eine Parallele zu den Four Sea Interludes aus der OperPeter Grimes von Benjamin Britten zwei Jahrzehnte später, die es regelmäßig in die Programme von Konzerthäusern schaffen. Vielleicht auch ein Weg, auf sie zu setzen und so Schrekers Künstlerdrama mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Mirko Roschkowskiist der flehentlich suchende, der gequälte und sich quälende Künstler mit Haut und Haaren. Sein Amandus folgt den Schrekerschen Linien mit souveräner Technik und fließender Emotionalität.  Die Sopranistin Anne-Fleur Werner, die Stimme dieser Produktion, meistert die mörderische Partie der Lilian mit furioser Vehemenz, totalem physischen Einsatz und obendrein noch tänzerischem Können. Tobias Schabel ist Kaleidos mit der Attitüde des Fundamentalisten, dem man dank seiner Furcht einflößenden Bassstimme jederzeit zutraut, den Vater von Amandus töten zu lassen, um diesem die Option zu nehmen, sein Werk zu vernichten.

Pavel Kudinovverleiht dem üblen Ritter Sinbrand mit polterndem Bass Konturen. Der Bariton Carl Rumstadt schafft es, nach dem explosiven dritten Akt als ungläubiger maurischer Pilger noch einmal Spannung aufzubauen. Boris Beletskiy als Abt und insbesondere Tae Hwan Yun als Lenzmar sind vorzügliche Besetzungen.

Das Theater Bonn wird Fokus `33 auch in den kommenden Jahren weiterverfolgen, so in der nächsten Spielzeit mit dem Fragment Moses und Aron von Arnold Schönberg. Eine gute Nachricht. Respekt sei dem Bemühen gezollt, den Ausläufern des Bannfluches der Nationalsozialisten Wirkung zu nehmen, selbst noch in unserer Zeit.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright: Thilo Beu

 

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