Galanter Schein: Friedliche Koexistenz zwischen Regie und Musik am Rhein

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Franz Lehár Die lustige Witwe Besuch am 23. April 2023 Premiere

Theater Bonn Opernhaus

Galanter Schein: Friedliche Koexistenz zwischen Regie und Musik am Rhein

Bonn und Wien wissen sich in vielfältigen Gemeinsamkeiten einig. Wien ist, Bonn war Hauptstadt der jeweiligen Republik. Beide liegen an bedeutenden Strömen. Rhein und Donau prägen die Flusslandschaften Europas. Beide sind zentrale Wirkungsstätten im Leben von Ludwig van Beethoven. Nun ist der Wiener Christoph Wagner-Trenkwitz, TV-Kommentator des Wiener Opernballs, auch auf der Bühne der Bonner Oper präsent. Als Njegus in der Neuproduktion der Operette Die lustige Witwe und am 6. Mai als Moderator der Bonner Operngala zugunsten der Aids-Stiftung.

So viel Kultur Österreichs war schon lange nicht mehr am Rhein. Mit Franz Lehárs Dreiakter stellt Aron Stiehl nun nach Le nozze di Figaro, Die Fledermaus undIwein Löwenritter bereits seine vierte Inszenierung auf der Bühne des Theaters am Boeselagerhof vor. Sie bleibt, um es vorweg zu nehmen, in der galanten Spur seiner Vorlage, verzichtet auf jegliche Regieexperimente und bietet, wie auch am brausenden Jubel des Publikums für alle Mitwirkenden abzulesen ist, köstliche Unterhaltung. Die Operette, dieser Kunst gewordene Schein des Schönen, versöhnt mit vielem, vielleicht auch manche mit den Leiden, die das „Regietheater“ in der Oper dem großen Bruder der Operette regelmäßig zufügt.

Stiehl und seine Galionsfigur für eingestreute Pausen, Wagner-Trenkwitz, erweisen gleichsam im Nachhinein dem Operettenpublikum nördlich der Alpen Dankbarkeit. Lehárs Komposition ist zwar 1905, im Jahr der Uraufführung der Salome von Richard Strauss, am Theater an der Wien herausgekommen. Die spätere Anerkennung geht jedoch gerade nicht von Wien aus, sondern von Berlin und Hamburg, ehe sie in der Eile, in der Valencienne in der Bonner Aufführung ihren Fächer verschwinden lässt, zu dem Welterfolg wird, der bis heute anhält.

Nichts ist wirklich von Belang, ernsthaft ist nur der schöne Schein in dieser Komödie auf ein Libretto von Victor Léon undLeo Stein nach dem Lustspiel L’attaché d’ambassade Henri Meilhacs um die umschwärmte pontevedrinische Witwe Hanna Glawari und ihre Millionen. Baron Mirko Zeta, Gesandter Pontevedrinos in Paris, möchte sie unter allen Umständen für sein Land, diesen fiktiven Kleinstaat, erhalten. 2002 verlegt Johanna Garpe am Bonner Haus das Spektakel in die Schaltzentrale der EU in Brüssel, damals eine treffliche Anspielung auf die Osterweiterung der Europäischen Union. Stiehl lässt seine in Koproduktion mit dem Saarländischen Staatstheater entstandene Inszenierung an den vorgegebenen Schauplätzen im Paris des Jahres 1906 im Milieu einer vergnügungssüchtigen Gesellschaft spielen, die ihre immanente Frivolität auskostet und dabei die Attitüde einer zumindest moralischen Fassade zu wahren sucht.

Ich bin eine anständige Frau,beharrt die blendend aufgelegte Sopranistin Marie Heeschen in der Rolle der liebeshungrigen Valencienne auf ihren Ruf, obwohl sie mit dem jungen Galan Camille de Rosillon schon ziemlich intim ist und dabei fast von ihrem Mann, Baron Zeta, entdeckt wird. Für diese Szene hat die Bühnenbildnerin Nicola Reichert eine witzige Spielart des in der Vorlage verlangten Pavillons bauen lassen, vor dem der erzürnte Ehemann vergeblich auf Einlass drängt. Ein Momentum, welches das in der Form des Konflikts vergleichbare Motiv des Grafen im zweiten Aufzug von Mozarts Le nozze di Figaro aufnimmt.

Auch die Gestaltung der weiteren Szenerie – der Salon im pontevedrinischen Gesandtschaftspalais sowie das Schloss der Glawari – schwelgt wie die opulenten Kostüme von Franziska Jacobsen in der Adaption einer Epoche, in der Vaudeville-Weisen, Can-Can und Walzer den Ton angeben. In der Grisetten, später die petites femmes in den Clubs der Aristokraten, mit ihren erotisch konnotierten Tänzen die Klassenunterschiede zu verwischen suchen. Da geh’ ich zu Maxim, kündigt Graf Danilo in einer der vielen populären Nummern der Partitur Lehárs an. Doch der Lebemann und Lebenskünstler Danilo geht eben nicht nur in das 1893 von einem gewissen Maxime Gaillard gegründete Etablissement. Er entzieht sich auch samt obligatem Smoking, Schal und Zylinder den Zwängen des Alltäglichen. Die Galanterie des schönen Scheins erreicht ihren Höhepunkt.

Mit vielerlei Einfällen ist die Inszenierung gespickt. Wagner-Trenkwitz, auch in Stiehls Bonner Fledermaus im Frühjahr 2020 als Frosch mit von der Partie, punktet mit routiniertem Witz und allerlei Anspielungen zum Bonner Stadtgeschehen, etwa dem Bonn-Marathon vom gleichen Tag. Über den Ausgang des Geschehens, ob positiv oder negativ, glücklich oder traurig, lässt er das Publikum in der Pause per Hammelsprung abstimmen. Ein Gag, der am Ort der Bonner Republik sehr gut ankommt. Wagner-Trenkwitz nimmt seine Rolle als Kanzlist der Gesandtschaft bis auf die Unterhose ernst, in der dann am Ende er auch steht.

Beim pontevedrinischen Empfang wird der Repräsentant der Kirche im Rollstuhl von einer Nonne gefahren, bis diese den Spieß umdreht und der Bischof die Schwester unter dem Gejohle des Publikums aus der Szene rollt, um sich schlussendlich mit einem kecken Tänzchen zu verabschieden. Großes Kino ist die Schlussszene, in der Hanna und Danilo Hand in Hand in den milden Abendhimmel schreiten, wozu Jorge Delgadillo ein stimmiges Licht beisteuert.

Der schwedische Kritiker Jörn Palm spricht unter dem Eindruck einer frühen Aufführung des Werks von einer „Flutwelle sprühender, wundervoller Melodien“. Diese „Flutwelle“, auf der die von Lehár gewünschten „wirklichen Menschen“ agieren, brandet aus dem Bonner Graben mit Vehemenz und melodiösem Überschwang. Unter der musikalischen Leitung von Hermes Helfricht spielt sich das Beethoven Orchester Bonn in eine vorzügliche Tagesform. Der Chor, einstudiert von Marco Medved, steht ihm dabei nicht nach. Die tänzerische Performance der Grisetten ist famos. Hingegen ist die Slap-stick-Choreographie, die Sabine Arthold den Statisten und den Choristen zuweist, nur zeitlich begrenzt ein Spaß. Auf die Dauer nutzt sich der Effekt recht schnell ab.

Verlangt Lehár von seinen Sängern das Gegenteil von „aufgezogenen Puppen“, so werden die Akteure der neuen Bonner Lustigen Witwe dieser Anforderung mehr als gerecht. Im Prinzip ist eine vorzügliche Ensembleleistung zu erleben, bis in die zahlreichen kleineren Rollen. Nur ist der einzige Gast in einer der zentralen Partien, die Sopranistin Barbara Senator in der Titelrolle, keine Idealbesetzung. Sie schwebt auf einer Schaukel postiert aus dem Bühnenhimmel hernieder. Doch verspricht dies Lorbeeren, bevor das Eigentliche beginnt.

Gewiss, Senators Technik ist ausgereift, das Vilja-Lied adelt sie durch einen Stil vornehmer Zurückhaltung. So avanciert es zu einem Bekenntnis zur Heimat. Doch fehlt es der Sängerin an der emotionalen Ausstrahlung, tanzt bei jedem Walzerschritt, wie die Glawari bekundet, die Seele eben bei ihr nicht mit. Zudem tut ihr die Regie keinen Gefallen damit, sie in die größeren Tanzszenen voll einzubinden. So wird der Abstand zu der tänzerisch formidablen Valencienne der Heeschen mehr als deutlich, die auch gesanglich überzeugt.

Die Herrenriege beeindruckt mit spielerischer Agilität und vokalem Format, wobei Santiago Sánchez als Camille mit seinem an Strauss- und Belcanto-Partien geschliffenen Organ und seinem frischen Timbre heraussticht. Der junge aus Uruguay stammende Tenor, seit der Spielzeit 2020/21 im Bonner Ensemble, noch gut in der Titelpartie in Verdis Don Carlo in Erinnerung, ist die positive Karte im Ensembleset. Sein Duett mit Heeschen im zweiten Akt ist große Operettenkunst. Johannes Mertes gibt einen passablen Danilo, der baritonalen Wohlklang und gute Laune versprüht. Im Duett Lippen schweigen‚ ‘s flüstern Geigen: Hab mich lieb! mit Senator werden wehmütige Erinnerungen an die Bühnenstars in der Rolle des Grafen über die Jahrzehnte wach. Martin Tzonev verleiht Baron Zeta lässigen Charme. Die Figur hat das Zeug, seine Paraderolle zu werden.

Wahrscheinlich leistet die Neuinszenierung von Lehárs Meisterwerk einiges für die Festigung der ohnehin konstruktiven Beziehungen zwischen Wien und Bonn. Nur müsste sich dies auch in der Metropole Österreichs herumsprechen. Wie wäre es mit einer Einladung der Stiehl-Inszenierung nach Wien, etwa in die Volksoper?

Dr. Ralf Siepmann 

Copyright: Thilo Beu

 

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