Richard Wagner Siegfried Besuch am 9. April 2023 Premiere am 7. April 2018
Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf
Hilsdorfs Nonchalance: Liebesglühen im verrotteten Helikopter
Zerborsten das Wrack, die seitlichen Türen herausgerissen, die Propeller verschwunden. Auch im Siegfried, in seiner Inszenierung des dritten Abends von Richard Wagners Der Ring des Nibelungen, taucht Dietrich Hilsdorfs Helikopter-Ruine auf der Bühne der Düsseldorfer Oper auf. Zitierte sie der Regisseur - durchaus annehmbar - in seiner Walküre zu Beginn des dritten Aufzugs mit dem Walkürenritt zur Beschwörung von Francis Ford Coppolas Antikriegsfilm Apocalypse Now, dient sie nun Brünnhilde als Ort des tiefen Schlafs hinter einem Feuerring, in den Wotan seine Tochter versetzt hat.
Kriegsruine statt grüner Aue - das ernüchternde Symbol einer Welt der Destruktion tritt an die Stelle der „seligen Öde auf sonniger Höh‘“, in der Wagner die Apotheose Brünnhildes nach der Erweckung durch Siegfried Heil dir Welt! Heil dir, prangende Erde! lokalisiert wissen wollte. Für viele, die Hilsdorfs narratives Erzählhandwerk bei seiner ersten Annäherung an Wagners Welttheater der Menschheit zu schätzen gelernt haben, dürfte die Helikopter-Metapher einen Rückschlag in der Künstlerbiographie des gebürtigen Darmstädters bedeuten, die seit seinen ersten Arbeiten vor 40 Jahren am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier packende Inszenierung von Werken vor allem von Händel, Mozart, Verdi aufweist. Sie ist extrem sinnfrei, nimmt der Entdeckung der Liebe von zwei jungen Menschen jeglichen Reiz und kündet von einer ungewohnten Nonchalance des Regisseurs im Umgang mit dem Gebot der Werktreue, die für diesen nicht gerade typisch ist. Den Totalabsturz des Ganzen verhindert letztlich nur die berauschende Musik.
Im 1876 in Bayreuth uraufgeführten Siegfried erzählt Wagner von der Utopie des neuen Menschen, der ohne die zerstörenden Einflüsse der Zivilisation aufwächst und die Fähigkeit besitzt, unberührt von Ideologien aus einem elementaren Denken und Fühlen Neues zu schaffen. Der berufen scheint, den Kapitalismus zu überwinden und der Gier des Menschen eine mitfühlende Haltung gegenüberzustellen, die Liebe. Ein Naiver im besten Sinne, der handelt, ohne zu verstehen, und ahnt, woraus ein neuer contrat social bestehen könnte, ohne dies selbst voll zu erfassen.
Hilsdorfs Sicht auf das Machtspiel der Götter, Wälsungen und Nibelungen nimmt ihren Lauf in Dieter Richters Bühnenbild in Mimes Schmiede, die mit Werkbank, Amboss und einem alten Herd sowie allerlei Gerümpel ausgestattet ist. Am Boden verlaufen in Richtung Orchestergraben Schienen, die eine industrielle Vorgeschichte des Ortes andeuten und bis in das Schlussbild hinein zu sehen sind. Eine kuriose Ingredienz ist ein höhenverstellbarer alter Coiffeursessel, den Mime nutzt, um sich aus seiner Zwergengröße nach oben zu pumpen.
Wotan, der mit einem Fahrrad die Höhle Mimes aufgesucht hat, macht sich ein Vergnügen daraus, ihn wieder in die niederste Position herunter zu fahren. Es ist indes nicht die einzige Demütigung, die Mime erfährt. Videos zeigen immer wieder die Gewalt Alberichs, der seinen Bruder schlägt und an den Ohren zieht.
Der zweite Aufzug, Fafners Welt, pure Natur mit dem Waldweben und dem klugen Waldvogel, denaturiert zu einem Bild aus dem Industriemuseum. Die Gestalt „eines ungeheuren eidechsenartigen Schlangenwurms“ bei Wagner wird durch eine Dampflokomotive ersetzt, die sich schnaufend aus der Höhle des Riesen nach vorn bewegt. Unter Dampf gehalten wird sie von Fafner in der Rolle des Lokführers, den Siegfried mit dem Schwert Nothung tötet. Die Dampfmaschine ist das Symbol des frühen Industriezeitalters. So mag man in der Szene die Überwindung der unterdrückerischen Methoden Alberichs und der Kapitalisten sehen, wirklich plausibel ist das Ganze aber nicht. Wie eben der Helikopter im dritten Aufzug, wo nichts die Sinne packt und schwer vorstellbar ist, dass „brennender Zauber“ Siegfrieds Herz ergreift, nachdem er Brünnhilde befreit und beiden den „sonnenhell erleuchteten Tag“ geschenkt hat.
Schwarz bis dunkelgrün sind die Kostüme, die Renate Schmitzer, das Faible Hilsdorfs für alles Dunkle teilend, ersonnen hat. Siegfried könnte mit wehendem Mantel gerade seine Zeit als Jägersbursch absolviert haben. Der Wanderer steigt im Militärmantel vom Rad. Mime ist mit seiner wilden strähnigen Montur eine Figur, die auch aus einem Kafka-Roman stammen könnte. Fragen wirft das dunkle Rot auf, das Erda im dritten Aufzug trägt, ehe sie von Wotan alias dem Wanderer auf ein grünes Sofa gezwungen wird, wo sie hinter einer Decke verschwindet. Dieses Rot wird am Ende von Brünnhildes Kleid wieder aufgenommen, ein Hinweis wohl auf die Nähe von Wotans Lieblingswalküre zur Natur und ihre Ausnahmestellung im Ring.
Hilsdorfs Personenregie bestätigt seinen Ruf, auf dem Theater ein guter Geschichtenerzähler zu sein. Ständig wird gerastet, mit Brot und Wein. Auf dem Uraltherd Mimes scheint ein verführerischer Sud zu brutzeln. Siegfried probiert ihn mit dem Kochlöffel wie den Fingern. Bisweilen sorgen drastische Mittel für zusätzliche Spannung. Wotan reicht Mime Toilettenpapier, damit dieser sich die Tränen trocknen kann. Siegfried versenkt den Bärenkopf im Herd, mit dem er seinen Ziehvater zu Tode erschreckt hat. Den erschlagenen Mime befördert der junge Held per Flaschenzug in die Höhe, wo der „Stümper“ eine ganze Zeitlang zu hängen hat.
Der jüngste Ring des Nibelungen in der langen erfolgreichen Wagner-Tradition der Rheinoper erstreckt sich über mehrere Spielzeiten. In der dritten und letzten Siegfried-Aufführung in der aktuellen Wiederaufnahme des Rings bleibt das Düsseldorfer Haus etwa zur Hälfte unbesetzt. Der guten Atmosphäre und dem Engagement der Mitwirkenden tut dies freilich keinen Abbruch. Unter dem Wagner-Spezialisten Axel Kober spielen die Düsseldorfer Symphoniker ihre Ring-Kompetenz voll aus, vom dunklen Vorspiel mit dem Fagott-Motiv des Grübelns bis hin zum jubelnden Finale mit dem hymnischen „Lebensbundmotiv“ von Siegfried und Brünnhilde Leuchtende Liebe, lachender Tod! Schmelzend tritt das Hornsolo (Uwe Schrumpf) aus der kammermusikalischen Grundstruktur hervor, die die wechselnden Dialoge von zwei Figuren zu einer Serie von Preziosen erhöht.
Bis zur letzten Szene ist Siegfried reines Männertheater. Unter den männlichen Partien ersingt sich der Tenor Cornel Frey als Mime den stärksten Eindruck und am Ende auch den wärmsten Applaus des Publikums. Die Rolle ist gegenüber dem Rheingold aufgewertet. Frey belohnt sich dafür indirekt durch nuancenreiche Charakterisierungskunst und hohe Textverständlichkeit. Wie er die verbrecherischen Züge wie auch die verletzlichen Seiten dieser anspruchsvollen Rolle zur Geltung bringt, ist großartig. Schließlich plant er ja nicht nur den Tod Siegfrieds, sondern weiß auch um den großen Undank, den er ungeachtet der Erziehung des „zullenden Kinds“ erfährt.
In der Titelrolle ist Michael Weinius mit robuster Stimme und zugleich lyrischen Farben der junge Held, auf den Wotan baut. Wagners Anspruch des schweren Heldentenors hält er allerdings nicht über die volle Distanz dieser mörderischen Partie durch. Mit schönem Timbre und listigem Spiel ist Simon Neal ein souveräner Wanderer. In der Rätselszene versprüht er mit dem Monolog Auf wolkigen Höhen baritonale Opulenz. Stefan Heidemann ist als Alberich eine gute Besetzung, erreicht aber qua Rolle nicht den Appeal des Nibelungen im Rheingold. Lukasz Konieczny verleiht Fafner mit volltönendem Bass die schaurige Kontur dieses schillernden Fabelwesens. Sein technisch verstärktes Ich lieg und besitz - lasst mich schlafen geht unter die Haut.
Daniela Köhler lässt in der Partie der Brünnhilde die frühere Standardbesetzung Linda Watson nicht vermissen. Sie profiliert mit ihrem dramatischen Sopran in der ihr gegebenen Kürze des Auftritts die Energie, die Schönheit und die Hingabefähigkeit dieses von Wagner so eindringlich gezeichneten Charakters. Sie ist mit grellem Aufschrei und lyrischer Innerlichkeit, mit disruptiver Atemlosigkeit und verhaltenem Schmelz die wirklich menschliche Gestalt, die sich vor nichts verstecken will. Sonnenhell leuchtet der Tag! Sieh meine Angst! Sollte sie sich in ihrem etwas überzogenen Vibrato ein Stück zurücknehmen, könnte sie noch überzeugender agieren, wäre ihr Weg in weiteren Wagner-Partien vorgezeichnet.
Die Mezzosopranistin Susan Maclean erobert sich als Erda bei Wotan Respekt. Ihre Stimme ist aber nicht so dunkel, um wirklich begreiflich zu machen, dass ihr „wild und kraus kreist die Welt“. Die Einlage des Waldvogels ist zwar eine kurze, aber urschöne Partie. Marie-Dominique Ryckmanns singt sie kaum verständlich, von Kober vielleicht auch zu sehr forciert und mit schorfigem Timbre.
Das Publikum zeigt mit andauerndem herzhaftem Beifall, umspült von etlichen Bravo!-Rufen, wie sehr es von den Sängerdarstellern, insbesondere Frey, Neal und Köhler, sowie Kober mitsamt den Symphonikern begeistert ist. In Düsseldorf ringt man derzeit um Konzept, Erscheinungsbild und Standort für ein neues Opernhaus. Ein schönes Thema nicht zuletzt für eine Stadtgesellschaft, die weiß, was sie an ihrer Oper hat.
Dr. Ralf Siepmann
Copyright: Hans Jörg Michel
12. April 2023 | Drucken
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