Gli arabi nelle Gallie Giovanni Pacini Besuch am 22. Juli 2023 Einmalige Aufführung
Rossini in Wildbad Trinkhalle
Kampf um Land und Herz: Mitreißende Trouvaille, aber kein Kandidat für das heutige Repertoire
Ove alberga amor di gloria.Gut 20 Minuten währt die konzertante Aufführung von Gli arabi nelle Gallie ossia Il trionfo della fede von Giovanni Pacini, als die Mezzosopranistin Diana Haller in der Rolle des Leodato mit dieser Kavatine lebendigen Szenenapplaus erntet. Der Fürst der Provinz Auvergne, General von Karl Martell, durchlebt ein Wechselbad der Gefühle. Kehrt er doch aus einer verlorenen Schlacht in der vergeblichen Hoffnung zurück, der Fürstin Ezilda, die er begehrt, einen Sieg zu schenken. Für das Publikum der Modernen Erstaufführung des Melodramma serio beim Belcanto Opera Festival Rossini in Wildbad bedeutet das Bravourstück so etwas wie den Bruch eines Bannes. Bewegt sich doch die künstlerische Leitung des Festivals mit der Neubelebung des 1827 an der Scala in Mailand uraufgeführten Stücks auf absoluter terra nova.
Zur Wildbader DNA gehört die Tradition, regelmäßig kaum oder gar nicht bekannte Werke aus dem Umfeld Gioachino Rossinis auf die Bühne der Trinkhalle oder des Kurtheaters an der Enz zu bringen, 2019 etwa Romilda e Costanza von Giacomo Meyerbeer. Diesem Profil entspricht der aus Catania stammende Komponist Pacini, ein persönlicher Freund des Meisters aus Pesaro sowie einer seiner talentiertesten Mitarbeiter, perfekt. Seine Beiträge zu den in Wildbad aufgeführten Rossini-Werken Adina undMatilde di Shabran sind dort ein Begriff. Domenico Barbaja, der wohl einflussreichste Impresario seiner Zeit, befördert ihn zum Leiter des königlichen Theaters in Neapel, eine Position, die Rossini zuvor innehat.
Pacinis Seria in zwei Akten auf ein Textbuch von Luigi Romanelli, Librettist zahlreicher Opern vor allem für das Teatro alla Scala, darunter La pietra del paragone für Rossini, ist eines der Hauptwerke des Komponisten und einer seiner größten Erfolge. Allein in den 1830-er Jahren sind an die 60 Inszenierungen seiner Araber in Gallien nachgewiesen. Der Stoff des Melodrams speist sich aus dem Roman Le renégat von Charles-Victor Prévost, 1822 in Paris erschienen und zwei Jahre später ins Italienische übersetzt. Schlüsselfigur der im achten Jahrhundert zur Zeit Karl Martells spielenden Geschichte ist Agobar, Anführer der gegen Gallien ziehenden Araber, in Wirklichkeit Clodomiro, dessen Vater Karl um den Thron im Frankenreich gebracht hat.
Die Erstürmung eines Zentrums der Franken ist Ausgangspunkt einer im Melodram unverzichtbaren Liebesgeschichte. Agobar alias der für tot gehaltene Clodomiro begegnet Ezilda, der Fürstin der Cevennen, die dem Zehnjährigen als Braut versprochen worden ist und die er immer noch liebt. Er verschont Ezilda und ihr Volk, was ihm die arabischen Militärs verübeln. Nachdem er sich der Fürstin zu erkennen gibt, weist diese ihn schroff als Verräter zurück. Am Ende wird Agobar im Gefecht gegen die Truppen Karls von den Arabern getötet. In einem furiosen Finale stirbt er, bereut seine Taten und bekennt sich zu seinem einstigen Glauben, woraus der vollständige Titel des Werks resultiert.
Ob man Pacini in seiner semi-exotischen Komposition eine eigene Musiksprache zuerkennen möchte, ist Ansichtssache. Das Philharmonische Orchester Krakau mit dem umsichtigen Marco Alibrando am Pult entwickelt ein großes Gespür für die offensive Dynamik und die teils versteckten Feinheiten der Partitur. Vorherrschend sind Blechbläser, die im Verein mit der Banda auf der Bühne - in der Wildbader Produktion vom Band eingespielt – für einen recht martialischen Sound sorgen. Quasi als Gegenpol wirken die Orgel zur Begleitung des Gebets der Ezilda sowie eine lyrische Introduktion für Englischhorn und Cello, die zum Duett zwischen Ezilda und Agoba hinführt. Ungewöhnlich intensiv ist Pacinis Verwendung des Chores mit Auftritten in fast allen Nummern des Stücks und einer dominanten Rolle in der Introduktion wie im Finale. Der von Piotr Piwko einstudiertePhilharmonische Chor Krakau nutzt seine Chance vortrefflich und hinterlässt einen hervorragenden Eindruck.
In den vokalen Partien lassen sich allerlei Anklänge an Kompositionstechniken von Giuseppe Verdi undVincenco Bellini heraushören. Rossinis Formsprache findet insbesondere in den Nummern zu Beginn mit ihrem deklamatorischen Stil und ihrem virtuosen Dekor eine Reprise. Die Partie des Leodato gestaltet in der Uraufführung die Contraltistin Brigida Lorenzani. Gleichsam auf ihren Spuren begeistert Diana Haller. Ihr liegen die tiefen Farben, die vehementen Koloraturen wie die affetti teneri der Rolle gleichermaßen. Nahtlos knüpft sie an ihren Wildbader Tancredi 2019 in Rossinis gleichnamiger Oper an.
Serena Farnocchiageht die Partie der Ezilda mit dramatischem Aplomb an. Wie weit sie damit der Figur der christlichen Jungfrau gerecht wird, die – ähnlich der Giovanna d’Arco – sich vom Himmel inspiriert wähnt und die Sarazenen in den Kampf führt, mag offenbleiben. Ihr Duett Se mal s’esprime il labbro mit Haller zeitigt große Wirkung wie übrigens alle Duette, Pacinis offenkundiges Lieblingsformat bei den Ensemblenummern.
Der Tenor Michele Angelini präsentiert sich im ersten Teil als Agobar in blendender Verfassung. Die Eingangsarie Non è ver, che sia diletto zu dieser enorm anspruchsvollen Rolle, die Pacini Giovanni David, dem Tenor der Uraufführung, auf die Kehle schreibt, bezeugt einmal mehr die hohe Belcanto-Kompetenz des Sängers. In den letzten Jahren hat er an die 20 Tenorpartien in Rossini-Werken einstudiert, zuletzt in Wildbad als Corradino in Matilde di Shabran für Furore gesorgt. Im zweiten Akt dagegen büßt Angelini peu à peu an vokaler Souveränität ein, verliert die Strahlkraft in der Höhe und an Geläufigkeit im disruptiven Stimmengelände. Ein prima vista nicht zu erklärender Einbruch, der mit zu den bleibenden Momenten dieser Produktion zählt. Leider.
In der Partie des Gondaïr überzeugt der Bassbariton Roberto Lorenzi mit sonorer Loyalität zur Fürstin und unerschütterlichem Gottvertrauen. In den weiteren Rollen lassen die Sopranistin Camilla Carol Farias als Äbtissin Zarele und der Bass Francesco Bossi als Mohamud, Gegenspieler Agobars, Zukunftspotential erkennen.
Nach mehr als drei Stunden mündet die Aufführung in einen großen Jubelstrom, der das Gemurmel der benachbarten Enz bei weitem übertrifft. Er gilt erkennbar allen Mitwirkenden gleichermaßen, dies ohne Zweifel zu Recht. Das Publikum verlässt den Ort der Veranstaltung durch die diversen Türen in lebhaften Gesprächen, wohl auch in der Erkenntnis, einem einmaligen Ereignis gefolgt zu sein. Pacinis Oper ist manches, aber kein Kandidat für die Spielpläne der Bühnen heutzutage.
Dr. Ralf Siepmann
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25. Juli 2023 | Drucken
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