Prima la Mamma! Gaetano Donizetti Besuch am 8. Dezember 2024 Premiere am 16. November 2024
Deutsche Oper am Rhein Theater Duisburg
Komödiantische Parodie des Opernbetriebs zur Zeit des Belcanto versandet in Albernheit
Gaetano Donizetti ist in den 1830er-Jahren nach dem frühen Tod von Vincenzo Bellini und dem Rückzug Gioacchino Rossinis aus Italien nach Paris der meistgespielte Opernkomponist Italiens. Seine Glanzzeit empfindet der aus Bergamo stammende Schüler von Simon Mayr keineswegs als Rausch. Eher als Galeerenjahre im restriktiven Opernbetrieb seiner Zeit. Dieser lässt Komponisten und Librettisten nur geringen Einfluss auf die Wahl der Stoffe. Bis zu fünf Opern hat Donizetti pro Jahr abzuliefern, was ein Stück weit die Anzahl von annähernd 70 Werken erklärt, die der Fließbandkomponist in knapp drei Jahrzehnten verfasst.
1831 bringt Donizetti zwischen Anna Bolena, 1830 in Mailand uraufgeführt, und L’elisir d’amore, 1832 ebenfalls in Mailand herausgekommen, seine Abrechnung mit dem Opernbetrieb auf die Bühne. Nicht als bitterernste Tirade gegen Impresari, Sänger und Instrumentalisten aller Couleur. Vielmehr mit den ureigenen Mitteln des Künstlers und Humanisten als komödiantische Opernparodie, gepaart mit Humor, Witz und pointenreichen Anspielungen auf eine Zeit, die in dieser Perspektive uns gar nicht so fern ist. Unter dem Titel Prima la Mamma! ist die Komische Oper in zwei Akten nun im Duisburger Haus der Deutschen Oper am Rhein gelandet. Nach der Originalfassung des Mailänder Verlages Ricordi in einer deutschen Fassung von Stefan A. Troßbach unter Einschub von italienisch gesungenen Arien aus Donizetti-Opern sowie der Ouvertüre zu seinem Frühwerk Alahor in Granata.
Der für die Duisburger Produktion gewählte Name der Oper ist selbst schon eine Inszenierung, eine juristische. Unter dem Titel Le convenienze ed inconvenienze teatrali bringt Donizetti, der auch das Libretto nach den gleichnamigen Einaktern Le convenienze teatrali undLe inconvenienze teatrali von Antonio Simone Sografi verfasst, am Teatro della Canobbiana in Mailand heraus. Nach 1900 wird sie an einigen Häusern als Viva la Mamma! aufgeführt. Die Titelrechte hierfür nimmt aber der Verlag in Anspruch, der Exklusivität für seine Version verlangt.
Für das, was sich als Theater im Theater auf der Duisburger Bühne abspielt, ist die urheberrechtliche Kontroverse ohne Belang. Der Plot ist einfach, aber durchaus gefällig. Auf der Bühne eines italienischen Provinztheaters probt eine reisende Operntruppe das Antikendrama Romulus ed Ersilia. Doch Regisseur Bertolt, gespielt von Günes Gürle, kommt nicht voran, weil ständig Querelen und Unstimmigkeiten den Betrieb aufhalten und den Zeitplan torpedieren. Daria, die Primadonna, gegeben von der Sopranistin Slávka Zámečníková, vermisst die ihr gebührende Anerkennung, was ihren Ehemann und Agenten Procolo (Benjamin Pop) herausfordert. Sie nervt die ganze Truppe. Mit Dorothea, die die Hosenrolle des Romulus verkörpert, kommt es zu einem heftigen Streit, in dem die Mezzosopranistin Maria Polańska prächtig dagegenhält. Derweil sucht der venezolanische Tenor auf der Besetzungsliste, Andrés Sulbarán als Jesus, noch nach der richtigen Aussprache.
Das ohnehin schon turbulente Treiben eskaliert mit dem Auftritt der Mamma Agata. Wie bei Donizetti ist die Rolle mit einem Mann besetzt, hier mit dem Bariton Scott Hendricks. Agata, die sich wie eine Löwin für ihre Tochter Luigia (Heidi Elisabeth Meier), die zweite Sopranistin im Stück, einsetzt, stößt mit ihrer Exaltiertheit und Respektlosigkeit Torben Jürgens in der Rolle des Maestros, Valentin Ruckebier, den Dichter, und Torsten Grümbel, den Intendanten, vor den Kopf. Die Parodie entwickelt sich zur Farce, als Agata und der ihr beispringende Procolo mit ihren Soloauftritten den ohnehin schon katastrophalen Probeneindruck noch steigern. Schlussendlich bricht der Intendant die Probe ab, annulliert die Aufführung des antiken Dramas, verkündet die Streichung aller Gelder und die Schließung des Theaters. Das Ensemble, das nie ein solches war, bleibt ohne Gage und Zukunft ratlos zurück.
Ist zu Donizettis Zeit die Komödie um „Sitte und Unsitte auf dem Theater“ ein parodistisches Spiel mit Stereotypen des Musiktheaters, also eine Spielart von Kunst im Dienst der Kunst, inszeniert Daniel Kramer bald 200 Jahre später die Mamma bunt, schräg, sexistisch und grell. Der amerikanische Regisseur, der sich als queerer Mensch beschreibt, setzt auf die Mittel von Drag und Travestie, was vom Duisburger Publikum durchaus als unterhaltsam quittiert wird, gleichwohl Fragen provoziert, die darüber hinausgehen.
Die von Justin Nardella entworfene Bühne offenbart Originalität. Der zum Saal führende Saal ist zugleich Theater wie Schule. Vermutlich eine Grundschule, wie die bunten Bühnenbilder mit allerlei aufgemaltem Getier vom Drachen bis zum Krokodil erkennen lassen. Äußerst phantasievoll sind die Kostüme von Shalva Nikvashvili. Sie nehmen einmal die Ausstattungsmerkmale des geplanten antiken Dramas auf, Ritterrüstungen und farbigen Federkopfschmuck, zum anderen Merkmale einer in Teilen queeren Theatertruppe. Grelle Perücken, Drag-Kostüme, pinkfarbene Morgenmäntel und manches mehr. Agata präsentiert einen künstlichen bombastischen Busen, der die schrille Anlage dieser Figur noch grotesker macht. Der Herrenchor, einstudiert von Patrick Francis Chestnut, tritt im zweiten Aufzug als muskelbepackte Krieger nach römischen Vorbildern auf. Von seiner guten Performance lenkt bedauerlicherweise der überproportionale erigierte Penis ab, den jeder dieser Pseudokämpfer ausstellt und bei Tanzeinlagen zum Schwingen bringt.
Spätestens dieser Moment in Verbindung mit einer ständig überdrehten Personenführung voller Albernheiten und Plattitüden bringt eine vielleicht noch diskutable Regieidee zum Kippen. Dabei geht es nicht um Geschmacksfragen. Wenn eine witzige, mit perlender Musik begleitete Kritik am Opernbetrieb der Belcanto-Ära heute lediglich eine Fortsetzung oder Adaption mit queeren Gestaltungsmitteln auslöst, anstatt Donizettis Idee mit der Fragwürdigkeit der Verhältnisse des gegenwärtigen Musiktheaters in Verbindung zu bringen, so ist mehr als eine Chance vertan. Geriert sich das Ergebnis dieser fatalen Neuauflage nicht anders als billig und, nun ja, dekadent. Auf der Strecke bleibt das Format eines Regisseurs, der mit seiner Inszenierung von Erich Wolfgang Korngolds Die tote Stadt für die Rhein-Oper Eindruck hinterlassen hat.
Musikalisch ist Prima la Mamma! ein Gewinn. Benjamin Reiners am Pult der Duisburger Philharmoniker inspiriert das Orchester zu sprühender Buffa-Vitalität. Die in einigen Passagen überzogene Lautstärke trägt immerhin dazu bei, die häufig plumpen deutschsprachigen Rezitative der Sängerdarsteller zu verdecken. Diese ertrotzen sich gegen das Regiekonzept eine insgesamt famose Leistung, sowohl in den einzelnen Partien wie auch als Ensemble.
Die Besucher im gut zur Hälfte gefüllten Saal danken allen Mitwirkenden mit freundlichem, aber nicht übertriebenem Beifall für die Aufführung des Sonntagnachmittags. Donizetti wollte damals sein Publikum mit der Ernsthaftigkeit hinter der Parodie konfrontieren. So weit reicht der Anspruch der Duisburger Produktion nicht. Immerhin unterhält die queere Mamma, was nicht das Schlechteste ist.
Dr. Ralf Siepmann
Copyrigt Foto: Sandra Then
13. Dezember 2024 | Drucken
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