Konwitschny verblüfft mit sarkastischem Humor und Anleihen an Quentin Tarantino

Xl_siegfried_ohp_1020 © Copyright: Thomas Maximilian Jauk

Siegfried Richard Wagner Besuch am 20. Mai 2023 Premiere

Theater Dortmund Opernhaus

Konwitschny verblüfft mit sarkastischem Humor und Anleihen an Quentin Tarantino

Noch bevor die beiden Fagotte ihr aus lediglich zwei Terzintervallen bestehendes Motiv der Düsternis entfalten, wozu ein leiser langer Paukenwirbel ertönt, und noch vor der Öffnung des Vorhangs fällt die Nachbildung einer Baumkrone mit grünem Blattwerk krachend auf die Bühnenbretter. Peter Konwitschny, Regisseur der Neuinszenierung des Siegfried im Rahmen seiner Ring-Arbeit am Theater Dortmund, bringt mit diesem Bild programmatisch die Ursünde in Erinnerung, den Frevel an der Natur. Es ist das Momentum, aus dem der Regisseur „Wagners umfassende Geschichte unserer Zivilisation“ und seine gesamte Dortmunder Ring-Inszenierung versteht, die in der Spielzeit 2024/25 mit der Aufführung des kompletten Zyklus ihren Abschluss finden soll.

Konwitschnys Siegfried verblüfft mit einem theaterwirksamen narrativen Stil, eindrucksvollen Bildern, skurrilen und schrillen Effekten sowie mit einer Prise Humor, die uns Heutigen, wie er ausführt, die Nähe zu unserem eigenen Desaster eher ertragen lässt. Hierfür lässt er – wie in einer Szene angedeutet – Wotan alias den Wanderer den Frust ob des Machtverlusts gelegentlich im Schnaps ertränken.

In Siegfried, 1876 in Bayreuth uraufgeführt, erzählt Wagner von der Utopie des neuen Menschen, der ohne die zerstörenden Einflüsse der Zivilisation aufwächst und frei von Ideologien die Fähigkeit besitzt, aus einem elementaren Denken und Fühlen Neues zu schaffen. Der berufen scheint, den Kapitalismus zu überwinden und der Gier des Menschen eine mitfühlende Haltung gegenüberzustellen, die Liebe. Es ist ein Naiver im besten Sinne, der handelt, ohne zu verstehen, und ahnt, woraus ein neues Gemeinwesen bestehen könnte, ohne dieses selbst schon erfassen zu können.

Um die Geschichte des Wälsungen-Sohns, der das Fürchten lernen und im letzten Augenblick Wotans Macht sichern soll, zu erzählen, lässt Konwitschny den ersten Aufzug sowie die zweite und dritte Szene des dritten Aufzugs in Räumen spielen, die lediglich einen Ausschnitt der Bühne in Anspruch nehmen. Dies wiederum kann als programmatisch verstanden werden. Die Behausung und Schmiede Mimes, hineingeduckt in einen Wald, von dem nur Baumstämme auf einer billigen Tapete zu sehen sind, und Fafners Höhle lassen sich als Nussschalen deuten, die für die Menschheit an sich stehen. In jedem dieser Mikroräume treffen Menschen Entscheidungen, übernehmen oder ignorieren sie Verantwortung, tragen sie unweigerlich zum Überleben oder zum Untergang der Zivilisation bei.

Das vorherrschende Utensil im Bühnenbild von Johannes Leiacker sind Container, einzeln oder gestapelt. Offenkundig macht das Element aus der Baubranche Karriere. Auch der Don Giovanni an der Bayerischen Staatsoper 2009 in der Inszenierung von Stefan Kimmig spielt in einer Containerwelt.

Siegfried und der Wanderer rennen gegen Wände und Türen dieser Container und mithin gegen eine Welt an, die die hässliche Fassade der Industriegesellschaft zeigt und deutlich macht, wie wenig noch „Natur“ ist und zum Lebensraum des Menschen gehört. Erda taucht in einem dieser Container in einem Bassin auf, prophezeit das Ende der Götter und wird am Ende vom Wanderer wieder in ihr Reich nach unten gedrückt, was von einem Wasserglucksen begleitet wird. Auch dies eine programmatische Andeutung, die den Wert des Wassers unterstreicht, der im Zuge des Klimawandels mehr und mehr Menschen zum Begriff wird. Zum Schluss dieser Szene zieht der Wanderer den Stecker, worauf das Licht ausgeht. Eine Anspielung? Zumindest kann die Unterbrechung des Stroms Erda nicht mehr treffen. Sie ist aus dem Spiel, hat sich für immer verabschiedet.

Zweimal weitet sich im Einklang mit Wagners schwelgerischer Musik die Szene, besonders eindrucksvoll hin zum von flackerndem Feuer umgebenen Walkürenfelsen, auf dem Brünnhilde schlummert, bis sie von Siegfried erweckt wird. Für den „brennenden Zauber“, der Siegfrieds Herz erfasst, und die gleißende Sonnenhelligkeit, die Brünnhilde preist, hat Florian Franzen ein beeindruckendes Lichtdesign geschaffen.

Leiackers Kostüme sind willkürlich, mit Versatzstücken aus unserer Zeit. Siegfried erinnert mit seinen hellgrünen kurzen Hosen an einen Bauernburschen aus einem Gebirgstal. Mime ist gewandet wie jemand aus dem Prekariat, dem man auch beim Inspizieren der Mülltonnen begegnen könnte. Später bringt er es zu einer bunten Langweste. Alberich trägt einen Smoking zu schwarzen Lederstiefeln und Brünnhilde ein blutrotes Kleid, das das Leuchten des Schlussgesangs vorweg zu nehmen scheint. Warum der Wanderer in Klamotten aus einem Billigkaufhaus seiner Wege zieht, Sneakers, eine Sonnenbrille und eine Cap trägt, bleibt Konwitschnys und Leiackers Geheimnis. Es ist doch schon von Beginn an klar, dass der Gott, der noch in der Walküre die Geschicke lenkt, ausgespielt hat und, wie er eingesteht, nur noch „das Ende“ will.

Die Inszenierung mit Konwitschnys ausgeklügelter Personenregie nimmt so richtig Fahrt erst im zweiten Aufzug auf. Ziemlich derb geht es zwar auch schon zuvor in der doppelten Schmiedeszene zu, in der zunächst Mime vergeblich versucht, aus den Einzelteilen der Waffe Siegmunds das Schwert Nothung neu zu schaffen, dann Siegfried auf seine Weise das Werk vollendet. Um für die nötige Schmiedeglut zu sorgen, wird alles zu Brennholz gemacht, was nicht niet- und nagelfest ist, darunter ein Tisch, den Siegfried mit heroischer Kraft in der Mitte spaltet. Doch erst mit der Szene, in der Siegfried Fafner herausfordert, lässt Konwitschny seiner Spielfreude so richtig freien Lauf.

Endlich öffnet sich rasselnd die Containertür zur Höhle des Riesen. Fafner, vom geraubten Gold umgeben, lässt es sich gut gehen, liegt in einer Badewanne im Stil der 1930-er Jahre und genießt es, vom Waldvogel bedient zu werden, zumindest mit Champagner, wie zu sehen ist. Weiteres mag man sich denken, liegt aber nahe, weil das Vöglein bei Konwitschny zu einer Figur mit Ballettröckchen in Grün geworden ist. Alina Wunderlin gibt diesem Wesen mit ihrem glockenhellen Sopran eine federleichte Kontur. Sie ist auch spielerisch wie tänzerisch eine Begabung.

Mit dem Hinzutreten der beiden Nibelungen wandelt sich die Höhle zu einer Szenerie, als wäre Quentin Tarantino phasenweise als Berater für Regie und Ausstattung verpflichtet worden. Alberich und Mime sind scharf auf die Schätze Fafners, die von Hand zu Hand gehen, Goldbarren, Tarnkappe, Ring. Doch der Althippie Fafner hat den Ankömmling unterschätzt, wird von ihm durch Nothung getötet und landet in der Badewanne, hat aber noch Gelegenheit, seinen Respekt gegenüber Siegfried zu bekunden.

Von einem billigen Sofa beobachten Siegfried und der Waldvogel das Ringen Alberichs und Mimes um den Ring, den sich am Ende der Waldvogel krallt, um ihn für Siegfried zu sichern. Der befreit sich nun endgültig von seinem verhassten Ziehvater. Schmeck du mein Schwert, ekliger Schätzer, deklamiert Siegfried mit vehementer Entschlossenheit. Ganz Tarantino-affin hocken die Looser der Szene, Mime und Fafner, vis-à-vis in der Badewanne und stieren einander an.

Häufig wird der Ring des Nibelungen mit einer Sinfonie verglichen, in der Siegfried das Scherzo sei. Ganz im Sinne dieses Vergleichs leistet sich Konwitschny in diesem zweiten Aufzug sein Scherzo, schenkt er dem Publikum veritablen Spaß. Siegfried scheitert mit dem Versuch, auf dem herausgebrochenen Teil einer Regenrinne den Gesang der Waldvögel nachzuahmen. Als er die dazu aus dem Graben aufsteigenden Missklänge mit dem Hinweis bedenkt, diese tönten nicht recht, schlägt ihm heftiger Protest des Orchesters entgegen. Um den Laienspieler quasi zu retten, taucht Jan Golebiowski, Hornist der Philharmoniker, mit seinem Gold schimmernden Instrument auf der Bühne auf, woraus sich ein witziger Dialog zwischen Profi und Amateur, fast schon ein Sketch entwickelt. Das amüsierte Publikum quittiert ihn mit herzlichem Beifall.

Prä dieser Aufführung ist die Wagner-Kompetenz der Dortmunder Philharmoniker unter der musikalischen Leitung von Gabriel Feltz. Die Siegfried-Partitur mit ihrem umfassenden dramatischen Atem ist ein Kompendium vielfältiger Stimmungen, Naturbilder und des hier vollendeten Flechtwerks der Wagnerschen Leitthemen. Feltz hält über die Strecke der viereinhalb Stunden die Spannung hoch, gibt den lyrischen und den dialogischen Phasen den Raum, den diese „Oper der Entschleunigung“ verlangt, um erst die elementaren menschlichen Beziehungen der Sage voll entwickeln zu können. Die aus der Walküre bekannten sechs Harfen, jeweils drei links und rechts am Bühnenrand platziert und von goldigem Licht umflort, sind erneut aufgeboten. Ein eindrucksvoller Verstärker des Ausrufs Prangend strahlt mir Brünnhildes Stern!, in dem Siegfrieds Ekstase im Schlussbild gipfelt.

Daniel Frank, vormals Dortmunds Siegmund, steigert sich bei seinem Siegfried-Debüt nach einem zurückhaltenden Beginn mit weit gefächerter Tessitur und viriler Tenorstimme in eine formidable Tagesform. Ein regelrechter Heldentenor nach dem Sinne Wagners ist Frank nicht, vielleicht noch nicht. Die Facetten der Figur, die Schwankungen zwischen jugendlicher Unbekümmertheit und Adoleszenz-bedingter Unsicherheit, bringt er jedoch vorzüglich zur Geltung. Matthias Wohlbrecht gestaltet Mime mit hellem Timbre und großer Textverständlichkeit. Ihm liegen alle Raffinessen dieser Rolle, vom Beflissenen des servilen Underdogs bis hin zum Sarkastischen dessen, der glaubt, sein Ziehkind ausnutzen zu können, sich aber gehörig irrt.

Thomas Johannes Mayer bringt als Wanderer nicht allein durch die befremdliche Kostümierung wenig Wagner-Gewicht auf die Waagschale. Phasenweise hat er Mühe, sich gegenüber der Wucht aus dem Graben zu behaupten. Zudem leidet die Performance des Bass-Baritons unter dem unnatürlichen Vibrato, zu dem die Stimme neigt. Als Alberich ist Morgan Moody eine sehr passable Besetzung. Denis Velev gibt Fafner mit markantem Bass. Er profitiert von der technischen Verstärkung, die jeden Siegfried-Fafner zum Spektakel macht, ganz wie Wagner dies sich vorgestellt und dann vorgeschrieben hat. Kurios nur, dass der Effekt auch anhält, nachdem der Riese in Siegfried seinen Überwinder getroffen hat.

In der „Männer-Oper“ Siegfried hat die Figur der Brünnhilde gerade einmal 20 Minuten, um sich zu profilieren. Stéphanie Müther macht daraus mit leuchtender Stimme und dramatischem Aplomb ein Ereignis, was auch für die Wiedergabe ihrer inneren Zerrissenheit gilt. Packend verdeutlicht sie den Kampf dieser jungen Frau, bis sie in strahlender Höhe endlich verkünden kann, dass er, Siegfried mir immer sei, Erb´ und Eigen, ein und all. Last not least beeindruckt Aude Extrémo als Erda, insbesondere im streitigen Dialog mit dem Wanderer. Ihr Mezzosopran erklimmt die höchsten Höhen und fällt herunter in die tiefsten Tiefen, die nur über disruptive Sprünge zu meistern sind.

Im nicht ganz ausverkauften Haus jubelt das Publikum laut und teilweise überbordend am Ende der Phalanx aller Mitwirkenden zu, auch dem Regieteam um Konwitschny. Der Künstler des narrativen Operntheaters wird als nächste Ring-Etappen die Dortmunder Götterdämmerung und danach Das Rheingold herausbringen. Das Maß der Erwartung ist jetzt gesetzt. Es kann nur noch übertroffen werden.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright: Thomas Maximilian Jauk

 

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