Die Kinder des Sultans Avner Dorman Besuch am 25. November 2022 Premiere 13. November 2022
Theater Bonn Opernhaus
Märchenland Sultanien: Beglückte Kinder dank prächtiger Ausstattung und agiler Sängerdarsteller
75 Minuten nach dem prächtigen Finale im Märchenland Sultanien machen Dutzende Kinder im Foyer, auf den Treppen und im Eingangsbereich der Oper Bonn halt. Unbedingt und sofort möchten sie mit ihren erwachsenen Begleitern Eindrücke von dem teilen, was sie gerade erlebt haben. Sie erzählen von der Feuer speienden Drachenschlange, dem schwarzen Riesenvogel, einem fliegenden Teppich und einem Kamel, das sprechen kann. Später setzt sich die kollektive Unterhaltung auch vor dem Haus am Boeselagerhof fort. Bis die Erlebnisse aus dem fernen Land, das in ihren Träumen weiter existieren wird, einigermaßen zu Ende erzählt sind, vergehen noch viele Minuten.
Acht Monate nach der Uraufführung in Dortmund ist die Familienoper Die Kinder des Sultans des in New York lebenden israelischen Komponisten Avner Dorman mit dem Libretto der Kindertheaterautorin Ingeborg von Zadow auch auf der Bonner Bühne präsent. Die Fantastische Oper in neun Szenen ist die jüngste Produktion des Projekts Junge Oper Rhein-Ruhr. Seit 2013 bringt die Kooperation der Oper Dortmund, des Theaters Bonn und der Deutschen Oper am Rhein Duisburg und Düsseldorf regelmäßig eine Familienoper heraus, die an allen beteiligten Institutionen von eigenen Besetzungen, Chören und Orchestern, allerdings in derselben Ausstattung präsentiert wird. Familienfreundliche, also vergünstigte Tickets sollen dazu beitragen, auch solchen Kindern und Eltern den Besuch einer Opernaufführung zu ermöglichen, für die die Kunst der Oper bis dahin mindestens so fern ist wie das Wüstenland Sultanien.
Hauptfiguren der Geschichte sind die Zwillingsgeschwister Fadeya und Taseh. Gemeinsam mit dem sprechenden Kamel, befinden sie sich auf der Suche nach ihrem Vater, dem Sultan. Der Onkel der Kinder, der hinterlistige Bruder des Sultans, hat nichts anderes im Sinn, als das Treffen zu verhindern. Fadeya und Taseh rangieren in der Erbfolge vor ihm. Bis zum glücklichen Ende, der Vereinigung der Kinder mit dem Vater und Sultan, müssen die mutigen Protagonisten drei Prüfungen bestehen, die stark an die Proben von Tamino und Pamina in Wolfgang Amadeus Mozarts Zauberflöte erinnern.
Sie überstehen die Konfrontation mit einer hungrigen Riesenschlange, die Bedrohung durch einen gewaltigen Strom und die Begegnung mit einer scheinbar nicht zu überwindenden Mauer. Ein von ihren Eltern einst gesungenes Wiegenlied, das der schwarze Riesenvogel beiden in Erinnerung ruft, erweist sich schlussendlich als der Schlüssel, der auch das letzte Hindernis überwinden hilft.
Die mit plakativen Sprachbildern und kuriosen Stabreimen arbeitende Librettistin lässt ihr Stück in eine Friedensbotschaft einmünden. Diese ist so schlicht wie in den Zeiten aktueller Krisen erst recht angebracht: Von jetzt an gehen wir Hand in Hand/Das ist das größte Liebespfand. Anna Drescher stellt ihre Inszenierung ganz in die Entfaltung des orientalischen Märchens.
Clou der Produktion ist die Ausstattung von Tatjana Ivschina. Bild an Bild, Schauwert reiht sich an Schauwert. Zu Beginn baut sich der von Marco Medved famos einstudierte Chor zu einem Basar wie im alten Bagdad oder Damaskus auf. Händler tragen Ballen von Tuchen, einige ein Vogelbauer auf dem Kopf. Prachtvoll ist die Drachenschlange, aus deren Schlund ein veritabler Mensch heraussteigt. Fadeya rettet ihren Bruder auf einem fliegenden Teppich. Lichteffekte in grellen Farben umspielen die große Mauer vor dem Palast des Sultans. Unter einem Halbmond mit Dutzenden Lampions endet die glückliche Reise der Zwillinge in die familiäre Wiedervereinigung.
Die Kostüme sind Reminiszenzen an orientalische Märchen. Der Sultan schafft sich in einem weiß-goldenen Gewand samt hellem Turban gebieterisch Respekt. Der Onkel mit prallem Embonpoint steckt in einem blauen Umhang. Die Maske und das schwarze Federkleid des Riesenvogels verbreiten gebührenden Schrecken. Dagegen sticht das Kamel im launischen Fatsuit und einem Höckern nachgestalteten BH mit Pelzbesatz witzig heraus. Lediglich die Kostüme von Fadeya und Taseh knüpfen an die Kleidung an, die die kleinen und großen Besucher aus dem Alltag von heute kennen. Sie tragen Allerweltshirts und Sneakers. So können sich die Kinder vielleicht besser in die Helden der Geschichte hineinversetzen.
Die Komposition des 1975 geborenen Dorman zeichnet sich durch eine durchaus konsumierbare Tonalität aus, die mit orientalischen Anklängen, einer meist pochenden Rhythmik und unter Einsatz von vielfachem Schlagwerk die neun Szenen des Werks narrativ begleitet und akzentuiert. Auch Trompeten dürfen erschallen. Zur Erleichterung des Publikums sind es nicht die von Jericho, sondern die Sultaniens, wenn die Reise der Unerschrockenen auf das ersehnte Happyend zuströmt. In manchen Sequenzen streift Dorman die Grenze zum Musical. Wie zu hören ist, offensichtlich eine Mischung, die beim jungen Publikum anzukommen scheint.
Als Zwillingsgeschwister Fadeya und Taseh sind die charismatische Sopranistin Ava Gesell und der agile Tenor Santiago Sánchez, beide in der ersten Phase ihrer Sängerlaufbahn, eine vorzügliche Besetzung. Sie sind äußerst beweglich, spielfreudig und harmonieren in ihrem Duett wunderbar. In ihrem Wechselgesang wecken sie Assoziationen an Rodolfo und Mimi in Giacomo Puccinis La Bohème. Wenn schon im Deutschen Bundestag von einem sprechenden Kaninchen die Rede ist, wieso sollte es dann nicht im Märchen ein singendes Kamel geben. In dieser Rolle ist Susanne Blattert, zugleich die Tante der Kinder, schlicht ergötzlich.
Carl Rumstadt als böser Onkel erfüllt seinen Part mit baritonalem Esprit. Pavel Kudinov überzeugt in der Vierfach-Rolle als Drachenschlange, Einfacher und Riesenvogelmann sowie Sultan. Den stärksten Eindruck hinterlässt der Bass mit der Auftrittsarie als Herrscher über Sultanien, dabei – auch in der Architektur seines Gesangs – an Sarastro in Mozarts Zauberflöte erinnernd. Mit Daniel Johannes Mayr am Pult entlockt das Beethovenorchester Bonn der Partitur vielfältige Raffinessen, verbreitet es sprühende musikalische Funken.
Nach dem prächtigen Finale voller musikalischer Power von Orchester, Solisten und Chor notabene im orientalischen Stil bricht das Publikum in großen Jubel aus. Endlich kann sich die Begeisterung vor allem der Kinder in prasselndem Beifall unter zahlreichen Rufen Bahn brechen. Nike und Clara, beide neun Jahre jung, sprechen wahrscheinlich für viele Besucherinnen in ihrem Alter, wenn sie übereinstimmend sagen, es habe ihnen sehr gut gefallen, „ganz besonders das Bühnenbild und der Drachen“. Die Musik? Nun, sie habe Spaß gemacht, auch wenn einige Lieder, womit wohl die Arien gemeint sind, einfach „zu lang“ gewesen seien.
Wie sich einmal mehr bestätigt, muss die Kunst der Oper keineswegs eine Barriere sein, wenn das Angebot kindgerecht für große und kleine Träumer ist und der Weg ins Opernhaus entsprechend vorbereitet. Eltern, Lehrer und die Bonner Theaterpädagogik sind und bleiben gefordert, das „Abenteuer Oper“ auch in die gesellschaftlichen Schichten zu tragen, die sich bislang nicht angesprochen sehen oder fühlen. Noch nicht..
Dr. Ralf Siepmann
Copyright Thilo Beu
28. November 2022 | Drucken
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