Idomeneo Wolfgang Amadeus Mozart Einmalige Aufführung Besuch am 17. November 2024
Tage der Alten Musik Kulturzentrum Herne
Münchens Faschingsoper im Mannheimer Stil entzückt im Revier
Das Dramma per musica, ein Auftragswerk des bayerischen Kurfürsten Carl Theodor für den Münchner Fasching, wird am 29. Januar 1781 im Hoftheater uraufgeführt. Zwei Tage nach dem 25. Geburtstag des Komponisten. Idomeneo, Gipfelpunkt und Grenzüberschreitung des Genres der Opera seria, stellt sich für das damalige Publikum als allzu anspruchsvoll heraus. Wolfgang Amadeus Mozarts kühne Verschmelzung barocker, italienischer und französischer Einflüsse verschwindet nach nur drei Aufführungen vom Spielplan. Zum Nachteil Mozarts, dessen Namen in den Premierenberichten nicht einmal erwähnt wird.
Die 1786 für Wien überarbeitete Fassung erreicht die Popularität der folgenden Opern Mozarts nicht. Insbesondere nicht die der drei Geniestreiche von Lorenzo da Ponte. Selbst Richard Strauss und Ermanno Wolff-Ferrari mühen sich um Versionen, die auf größere Akzeptanz stoßen sollen. Sie ändern aber nichts an der marginalen Position des Werks im Repertoire. Erst 1951 gelangt Idomeneo in das Programm der Salzburger Festspiele.
Auf sehr sinnfällige Weise wird mit der konzertanten Aufführung der Münchner Originalfassung zum Abschluss der diesjährigen Tage der Alten Musik im Kulturzentrum Herne deutlich, wie wenig verständlich der mühsame Weg des Dramas um den antiken Kreter-König in den Olymp der Operngestirne ist. Die Partitur strotzt nur so von melodischen Einfällen, revolutionär neuen Ensemblenummern, Chorsätzen und Märschen auf einem zuvor nie vernommenen Territorium, das noch von barocker Dramaturgie, aber schon vom Geist der Aufklärung durchzogen ist.
Da ist es gar nicht nötig, dass vor dem Einsetzen der Sinfonia den Besuchern im zu gut zwei Drittel gefüllten Saal ein „knackiges“ Vergnügen angekündigt wird. Vieles, sehr vieles wird in der folgenden Sternstunde wie „auf goldenem Muschelhorn“ zelebriert. Su concha d’oro, so besingt der Chor, die Zürcher Sing-Akademie, gegen Ende des ersten Akts die Art und Weise, wie Neptun alias Poseidon mit „königlicher Zier“ in diesem Drama zu Werke geht.
Zu diesem goldenen Zauber trägt zur Zeit der Entstehung des Werks wesentlich das mit dem Kurfürsten von Mannheim nach München gewechselte, Stil bildende Orchester der Mannheimer Schule bei, zu seiner Zeit dank seiner Klangkultur und Artikulationspräzision das wohl beste Ensemble in Europa. Mit Christian Cannabich, dem Leiter des Orchesters, ist Mozart befreundet. Die Kunst speziell des Flötisten Wendig und des Oboisten Camm begeistert ihn, was für die Gestaltung der Oper wie für die Orchestrierung unmittelbare Auswirkungen hat.
Die Leitung des Herner Festivals subsumiert die pragmatische, allzu intensiver Ornamentik ferne Originalfassung unter Reduce – Reuse – Recycle, das Motto der Festtage, das etwas bemüht „kreative Nachhaltigkeit in der Musik vom Mittelalter bis zur Klassik“ zu stellen sucht. Dafür werden kurzfristige Änderungen und Striche des Komponisten aus den Endproben der Oper in Cannabichs Aufführungspartitur herangezogen. Deren eindeutiges Ziel sei eine weitere dramatische Verdichtung gewesen. Diese Argumentation ist durchaus nachvollziehbar, verträgt sich aber nicht unbedingt mit dem in Herne gewählten Finale, die in französischer Operntradition verfasste Idomeneo-Ballettmusik dem Schluss der Oper noch anzuhängen, da zuvor Arien gestrichen worden sind, so von Elettra und Arbace.
In der Geschichte, die der Librettist Giambattista Varesco nach einem Textbuch von Antoine Danchet erzählt, das wiederum auf der 1712 in Paris uraufgeführtem Tragédie en musique Idomenée von André Campra beruht, muss sich der nur knapp einer Katastrophe auf der Heimfahrt nach Kreta entronnene König in Folge eines fatalen Gelübdes zwischen Sohn und Macht entscheiden. Wie sich diese nachtrojanische Episode über die drei Akte mit ihren leidenschaftlichen Eruptionen und lyrischen Seelenbeschreibungen entwickelt, ist vorrangig dem Helsinki Baroque Orchestra unter der einfühlsamen Leitung seines Dirigenten Aapo Häkkinen (auch Cembalo) zu verdanken, der sich als Anhänger einer historisch informierten und frischen Spielweise präsentiert. Berührend gelingt es den Streichern und ganz besonders den phänomenalen Holzbläsern, emotionale Affekte, menschliches Leid und jauchzendes Glück in Klangbilder zu verwandeln. Nicht minder dem prachtvollen Blech, den Konflikt Neptuns mit Idomeneo und Idamante schneidend auf die Spitze zu treiben, so in der Sturmszene des zweiten Akts.
Unter der inspirierenden Formgebung Häkkinens, der sich ganz in den Dienst der Sänger stellt, speziell in den Ensemblenummern körpersprachlich mehr kuratiert als anleitet, finden die Sänger zu funkelndem Mozart-Format. Für den erkrankten Tuomas Katajala verleiht Sebastian Kohlhepp in der Titelpartie der inneren Zerrissenheit des zum Spielball der Götter gewordenen Atriden gesanglich berührenden Ausdruck, womit er an seinen Auftritt beim Kölner Idomeneo vom Februar nahtlos anknüpft. Voll dunkler Vorahnung in Vedrommi in tornoim ersten,angsterfüllt inFuor del mar im zweiten Akt.
Quellen zufolge war Mozart von den Sängerinnen der Ilia und der Elettra in der Münchner Uraufführung, den Schwestern Dorothea und Elisabeth Wendling, die er aus Mannheim kannte, besonders angetan. Vermutlich hätten ihm die in Herne agierenden Sopranistinnen Mari Eriksmoen (Ilia) und Siobhan Stagg (Elettra) auch imponiert. Eriksmoen mit ihrer geschmeidigen Eleganz, von ihrer wehmütigen Auftrittsarie Padre, germani, addio! bis zum hoffnungsvollen Se il padre, perdei. Stagg mit dem flehentlichen Estinto è Idomeneo gleich im ersten Akt, in dem sie die Falsche, nämlich die trojanische Sklavin auf dem Thron der Atriden fürchtet. Oder der beseelten Arie Sidonie sponde im zweiten Akt.
Wie beim Kölner Idomeneo ist Idamante mit der Mezzosopranistin Anna Lucia Richter besetzt. Und wie in der Domstadt erzeugt ihre Performance zwiespältige Eindrücke. Noch ganz im Stil der Barockoper sieht Mozart für diese Partie einen Kastraten vor. Fünf Jahre nach der Uraufführung schreibt er die Rolle für eine konzertante Aufführung im Passauer Hoftheater des Grafen Auersberg für einen Tenor um. Das Theater Gießen wagt 2014 mit dem koreanisch-amerikanischen Countertenor Kangmin Justin in der Rolle des Königssohnes ein Experiment und erzielt damit Erfolg. Richter bringt für die Figur des Idamante, der über die engen ethnischen Grenzen der Antike hinaus zu lieben wagt, vieles mit. Ausstrahlung, Vehemenz, Bühnenpräsenz, was sie mit der Auftrittsarie Non ho colpa schon zu Beginn eindrucksvoll unterstreicht. Doch wechselt ihre Stimme in die dramatischen Höhen des Geschehens, in denen selbst der Opfertod nicht weit zu sein scheint, changiert sie in unruhige Schärfe, in allzu druckvolle Phrasierung.
Erstaunlich nahe kommen sich die die vier Hauptprotagonisten im Quartett Andrò ramingo e solo im dritten Akt, Mozarts erstem großem Ensemble, obwohl jeder von ihnen ganz unterschiedliche Konfrontationen zu verarbeiten hat und seinem Charakter entsprechend reagiert. Wie die Sänger bei diesem in Es-dur gehaltenen Stück die melodischen Bedrängnisse immer wieder reduzieren, um sie dann beim Schlüsselbegriff soffrir (leiden) gleichsam platzen und quasi in einer Schlucht versinken lassen, könnte zu den Erinnerungsmomenten dieser Aufführung über den Abend hinaus gehören. Den positiven Eindruck runden die Solostimmen aus der Zürcher Sing-Akademie, Florian Feth als Arbace, Francesco Ortega als Gran Sacerdote und Matija Bizjan, der Neptun seine Stimme leiht.
Idomeneogilt als Mozarts einzige Choroper, für die er sich Anregungen in Paris geholt haben dürfte. Die Akteure der Zürcher Sing-Akademie untermalen, verstärken und umspielen die Handlungen und Auffassungen der Kreter in Mozarts Stimmungsschilderungen bravourös. Herausragend innig in Corriama, fuggiamo zum Ausstieg aus dem zweiten Akt, in dem sie den Sturm, dieses „schreckliche Ungeheuer“, beschwören zu fliehen.
In einem anhaltenden Jubel für alle Mitwirkenden klingt das Abschlusskonzert des Festivals aus, das ein ehrgeiziges Programm beschließt. Vier Tage stand eine Stadt im Herzen des Ruhrgebiets auf der Landkarte der Alten Musik. Schön zu wissen. Und erst recht schön, sich darauf auch auf das kommende Jahr zu freuen.
Dr. Ralf Siepmann
Copyright Foto: WDR / Thomas Kost
19. November 2024 | Drucken
Kommentare