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La forza del destino Giuseppe Verdi Besuch am 2. Februar 2025 Premiere
Theater Bonn Opernhaus
Parforce der Gefühle in einem sinnlichen Tableau musikalischer Farben
Nach Un ballo di maschera undI vespri siciliani inszeniert David Pountney erneut eine Oper von Giuseppe Verdi am Theater der Bundesstadt. La forza del destino, ein Auftragswerk für den Zarenhof, 1862 unter Verdis Leitung in St. Petersburg uraufgeführt, ist bestens geeignet, Regisseure an die Grenze ihres künstlerischen Handwerks zu bringen, sofern sie sich gefordert sehen, die verworrene Handlung zur Zeit der Spanischen und Österreichischen Erbfolgekriege um die Mitte des 18. Jahrhunderts nachvollziehbar zu vermitteln. Der Regisseur Pountney, bis 2014 zehn Jahre Intendant der Bregenzer Festspiele, entscheidet sich gegen eine ambitionierte Deutung dessen, was Verdi und sein Librettist Francesco Maria Piave unter der Instanz des Schicksals verstehen. Und für ein beeindruckendes Tableau aneinander gereihter Bilder, die die Sinnlichkeit der Partitur mit der von Farben und Formen verknüpfen, ohne sich in Opulenz zu erschöpfen. So dürften für diese Inszenierung, entwickelt in Koproduktion mit der Welsh National Opera, mildernde Umstände gelten.
Hass, Rache, Krieg und die Ambivalenz des Religiösen sind die beherrschenden Themen der fünftletzten Oper Verdis, die den Komponisten nach vierjähriger Resignation unter dem Druck der Zensur und einem Intermezzo als Parlamentsabgeordneten neu motiviert, aber auch wieder der Unrast unterwirft. Kaum setzt das Werk nach einem Drama des spanischen Dichters Angel de Saaveda dazu an, sich an den europäischen Bühnen durchzusetzen, beschäftigt Verdi sich mit einer Überarbeitung, zu der er den Librettisten Antonio Ghislanzoni hinzuzieht. Diese zweite Fassung des Melodramas wird 1869 im Teatro alla Scala in Mailand zumindest bei den Kritikern ein Erfolg. Sie liegt auch der Bonner Produktion zugrunde.
Die wesentlichen Protagonisten sind Leonora di Vargas, Tochter des Marchese von Calatrava, und der Mestize Alvaro, Abkömmling eines Königsgeschlechts der Inka. Der Vater untersagt die Verbindung der Liebenden. Nach einer abenteuerlichen Reise, bei der sich Leonora in ein Dasein als Eremit zurückzieht und Alvaro Karriere als Offizier im spanischen Heer macht, endet die Flucht der beiden tödlich. Leonora durch die Tat ihres Bruders Don Carlo di Vargas, eines Fanatikers des Hasses und der Rache.
Der destruktiven Spur der Macht des Schicksals setzt Pountney vor der Ouvertüre die programmatische Leuchtschrift FRIEDEN entgegen. Zu Beginn des zweiten Teils erscheint eine neuerliche Leuchtschrift, diesmal mit den Buchstaben KRIEG, was unmittelbar mit der Handlung im dritten Akt zu tun hat. Eine das Fatale symbolisierende Figur, die sich später als Zauberin Preziosilla entpuppt, treibt das Geschehen an, wozu im Bühnenhintergrund ein Schicksalsrad rotiert. Für die einzelnen Schauplätze – Dorf, Wald, Kloster – hat Raimund Bauer ein simples, aber gut funktionierendes Bühnenbild gebaut. Raum erweiternde oder limitierende Vorhänge in unterschiedlichen Farben sowie Lichtprojektionen, die Fabrice Debour verantwortet, erlauben die Illusion der historischen Orte. Dominierendes Symbol ist das christliche Kreuz in ikonischen Stilisierungen, die Form und Farbe wechseln. Es manifestiert die historische Strahlkraft wie den Herrschaftsanspruch der Institution der Kirche.
Die überwiegend historisierenden Kostüme von Marie-Jeanne Lecca erlauben sich bei den Hauptpersonen eine vielsagende Ausnahme. Der Marchese tritt in der ersten Szene im Smoking am Stock auf. Die Bedrohung, die er verkörpert, ist zeitlos. Großen phantasievollen Aufwand verraten die Kostüme des Chors. Sie sind Uniformen von Soldaten durch die letzten Jahrhunderte nachempfunden, um die Grausamkeit des Krieges zu veranschaulichen.
Die Protagonisten bewegen sich ohne erkennbare schlüssige Personenregie durch die von Brüchen strotzende Schauergeschichte. Diese düstere Wanderung ist zudem nicht frei von Irritationen. Als Alvaro sich in rastloser Suche nach Leonora verzehrt, macht sich diese wenige Schritte von ihm entfernt an der Wand des Palastes zu Sevilla zu schaffen, an der noch das Blut ihres Vaters nach dem Pistolenschuss klebt, der sich unabsichtlich aus Alvaros Waffe löst.
Der teils groteske, teil subtile Aufwand der Forza rechtfertigt sich wohl ausschließlich durch die Macht von Verdis Musik. Sie changiert zwischen den Stilen, bietet eine Fülle an Melodien, wechselnden Stimmungen, meisterhaften Ensembleszenen und eine ganz eigene Arienkultur sowie einem virtuos instrumentierten Umgang mit Leitmotiven. Das wohl bekannteste, das Schicksalsmotiv der Leonora, bringt die Ouvertüre als Solostück in Konzertsäle und in Wunschprogramme von Radio und TV.
Der Verdi-Spezialist Will Humburg am Pult des Beethoven Orchesters Bonn bringt mit energischem Dirigat und stetigem Einfluss nehmenden Kontakt zu den Akteuren auf der Bühne das Klanggemälde der Partitur prachtvoll zum Erblühen. Dieses weitgespannte Panorama an musikalischen Farben, die martialischen Takte, die Tarantella- und weiteren Tanz-Rhythmen, die lyrisch verinnerlichten Sequenzen. Der Opernchor, akkurat einstudiert von André Kellinghaus, agiert vorbildlich, sei es in der anspruchsvollen Dimension der Gesänge, sei es darstellerisch als Soldaten, Mönche, Bettler. Auch sie repräsentieren eine Macht, die der kollektiven menschlichen Stimme.
Verdis an neuen vokalen Ambitionen wohl reichste Oper zum Ende seiner mittleren Schaffensperiode verlangt im Idealfall eine Sängerbesetzung, die über die Fähigkeit zu intensivster melodischer und dramatischer Artikulation verfügt. Die Bonner Aufführung touchiert diesen Anspruch mit zwei herausragenden Stimmen und einem ansonsten guten Ensemble. In der Partie der gegen das Schicksal rebellierenden, letztlich scheiternden Leonora beeindruckt Yannick-Muriel Noah mit hochdramatischem Sopran und einer Gestaltungsvehemenz, die zwischen seelischer Größe und klagender Verzweiflung pendelt. Mit der Romanze Me, pellegrina ed orfana im ersten Akt gibt sie eine Parforce der Gefühle vor, die sie bis zum Monolog im letzten Akt Pace, pace mio Dio! durchhält, den Verdi nicht Arie nennt, sondern Melodia.
Im Quartett der hervorstechenden Männerstimmen bestätigt Franco Vassallo als Carlo seinen Ruf als einer der führenden Interpreten von Bariton-Rollen in Verdi-Opern. Seine wuchtige, zugleich angenehm timbrierte Stimme ist bestens disponiert, die herrischen wie die hinterhältigen Facetten der Partie zum Ausdruck zu bringen. Sie repräsentiert einen auch vokalen Kontrapunkt zur leidenschaftlichen wie tragischen Figur des im Kerker geborenen, in der Fremde erzogenen Außenseiters Alvaro, den George Oniani mit kräftiger, auch in der Höhe brillierender Tenorstimme gestaltet, die er leider allzu häufig forciert. Gleichwohl entwickeln sich Carlos und Alvaros Duettino Solenne in quest’ora am Krankenbett des verwundeten Alvaro sowie ihre beiden weiteren Duette im dritten und vierten Aufzug im Stil eines Fortissimo des Hasses zu sängerischen Glanzlichtern der Aufführung.
Pavel Kudinovmacht aus der Gestalt des Padre Guardiano, Prior des Klosters Madonna degli Angeli, deutlich mehr als aus seiner zweiten, der des Marchese, was schlicht rollenbedingt ist. Doch schafft es die Tessitura seiner Bassstimme nicht, den hohen ethischen Maßstab auszuformen, den Verdi mit all seinen geistlichen Figuren verbindet, vom Zaccaria in Nabucco bis zum Großinquisitor in Don Carlo. Enrico Marabelli singt und spielt Fra Melitone mit prächtigem Witz und vokaler Leichtigkeit. Es wird mehr als verständlich, warum Verdi dessen Rang mit primo baritone brillant umschreibt. Auf seinen Part in Gaetano Donizettis Buffa L’elisir d’amore, die am 16. März ihre Premiere erleben soll, darf sich das Publikum schon jetzt freuen. Die Partie des Mastro Trabuco zeichnet der Tenor Tae Hwan Yun mit komödiantischem Witz. Er spielt den Maultiertreiber, der eine geheime Mission verfolgt und Leonoras Flucht vorbereitet, verschmitzt und den Markthändler im Lager von Velletri mit humoristischer Ironie.
Die Figur der Marketenderin Preziosilla atmet den Genretypus der Wahrsagerin oder Gitane aus der französischen Opéra comique. Dshamilja Kaiser erfüllt sie mit robustem Mezzo-Format und komödiantischer Raffinesse. Im schwarzen Kostüm einer Zirkusprinzessin agiert sie als einpeitschender Prototyp einer Werbekommissarin für das Militär. Sie profitiert vom Krieg und verherrlicht ihn als Geschäftsmodell. So wird ihr keck vorgetragenes Rataplan, rataplan della gloria erst plausibel, wobei der Chor der Soldaten die Funktion der instrumentalen Begleitung übernimmt. In der bipolaren Welt Piaves verkörpert sie zugleich das Gegenbild zu Leonora.
Das Publikum im voll besetzten Theater feiert das Sängerensemble, insbesondere Noah und Vassallo, Orchestermusiker und Chor sowie das Regieteam mit anhaltendem Beifall und partiellem Jubel, der intensiv über Humburg hereinbricht. Gleichwohl ist nicht nur für den Liebhaber feiner Nuancen eine gewisse Zurückhaltung zu spüren, auch als der Applaus relativ abrupt abbricht. Verdis Musik vermag letztlich nicht, die Schwächen der Schauergeschichte zu überspielen. All dies, keine Sorge, wird das Stück auch die nächsten 150 Jahre überstehen.
Dr. Ralf Siepmann
Copyright Foto: Bettina Stöß
05. Februar 2025 | Drucken
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