L’incoronazione di Poppea Claudio Monteverdi Besuch am 5. Mai 2024 Premiere
Oper Köln Staatenhaus Deutz
Roma aeterna: Klassiker des Frühbarocks fesselt durch eine politische Regie und fulminante musikalische Qualität
Più non peno, più non moro … Io son tua, tuo son io …Vis à vis, an eine Wand gelehnt, etliche Schritte auseinander, bekennen Poppea und Nerone ihre absolute Liebe. Zu zarten Klängen der Theorbe, die aus einer anderen Welt zu stammen scheinen. An der hinteren Bühnenbegrenzung schauen die übrigen Protagonisten des Geschehens den beiden zu. Diese liederlichen wie korrupten, diese verwerflichen wie menschlichen Gestalten zu Rom um 62 nach Christus. Dann rücken der Imperator und seine Geliebte, die vormalige Kurtisane, gerade von ihm auf den kaiserlichen Thron erhoben, aufeinander zu. In die Mitte, wo Wein und Gläser auf die Besiegelung ihres Glücks warten, die in einer innigen Umarmung wirklich wird.
Mit einem fulminanten Finale wartet die Neuproduktion von Claudio Monteverdis Oper L’incoronazione di Poppea an der Oper Köln auf, die das Zeug hat, zum Highlight der gesamten Spielzeit zu avancieren. Gegeben wird die venezianische Fassung von 1642, in der sich die Klassiker der zeitlosen Unterhaltung, Sex, Crime und Komik, zur Erbauung eines breiten Publikums verbinden. Unter der Leitung des Barock-Spezialisten George Petrou, Dirigent und als Cembalist I Teil der Continuo-Gruppe, spielt das Gürzenich-Orchester Köln mit einer fabelhaften Affinität zur Musiksprache des Meisters aus Cremona.
14 Jahre nach der Poppea-Inszenierung von Dietrich Hilsdorf, damals in der imposanten Architektur des Gerling-Quartiers, ist der amerikanische Regisseur Ted Huffman beauftragt, Monteverdis letzte und einzig vollständig erhaltene Oper unter den spezifischen Bedingungen des Ausweichquartiers in Köln-Deutz auf die Bühne des Staatenhauses zu bringen. Die Inszenierung Huffmans, der mit Georg Friedrich Händels Rinaldo an der Oper Frankfurt einst sein Deutschland-Debüt gibt, ist bereits 2022 beim Festival Aix-en-Provence herausgekommen. Sie unternimmt den Versuch, Monteverdis Opera musicale von der Dekadenz Roms unter Kaiser Nero in den Kontext der Zügellosigkeit von heute zu übersetzen, was das Publikum im fast voll besetzten Saal begeistert, obwohl es eigentlich entsetzt reagieren müsste. Roma aeterna, Metapher zeitloser Grausamkeit.
Schon die Ausstattung zeigt die Intention der Regie, die Besucher nicht mit einer Projektion des alten Roms in eine einseitige, historisierende Richtung zu lenken. Huffman lässt den Dreiakter mit Prolog, in dem Fortuna und Virtù im Streit über die Bestimmung des Laufs der Welt liegen, ehe sie Amor zum Schweigen bringt, in einem weitgehend leeren Raum spielen. Dieser ist von Anna Wörl analog der ursprünglichen Bühne von Johannes Schütz adaptiert worden. Astrid Klein zeigt die Handelnden in Kostümen, die zu jeder Gesellschaftskomödie der letzten 50 Jahre passen würden. Es sind Büro-Anzüge, Dinner-Jackets, Krawatten, Bademoden und Negligés zu sehen, in denen Poppea Nerone zu verführen sucht. Einmal recht drastisch mit einer angedeuteten Kopulation, im Übrigen erfolgreich. Der skrupellose Kaiser, der freimütig bekennt, ihn kümmerten nicht senato e populo, rühmt die Parvenue als seinen „Augenstern, Göttin meines Herzens“.
Über der Bühne schwebt eine in Hell und Dunkel geteilte, drehbare Röhre, die an die Wankelmütigkeit des Geschicks erinnern mag. Links und rechts sind Stühle aufgebaut. Im Hintergrund ein langes Sitzmöbel, das wie die Einwechselbank im Fußball funktioniert. Aufs Stichwort erheben sich die einzelnen Akteure, übernehmen ihren Part und kehren in die Warteposition zurück. Sind sie Beobachter? Voyeure, die die Gerüchte des Tages, die Klatschpresse bedienen? Oder gar Geheimdienstler im Sold fremder Mächte?
Im zweiten Akt füllt sich die leere Bühne mit einer langen weiß gedeckten Tafel, später links an der Seite mit einem Gestell voller Kleidung zum Wechseln. Der bis dahin unscheinbare Hintergrund weitet sich zur Aue der Natur, in der Poppea Schlaf findet. Hier unter weißem betörendem Licht, das Bertrand Couderc zur Ausmalung eines emotionalen Panoramas gekonnt einzusetzen versteht.
Das bekannte Narrativ um Nero, den Narzissten und egoistischen Herrscher, der die Christen brutal verfolgt und angeblich Rom in Flammen aufgehen lässt, wird bei Monteverdi und seinem Librettisten Francesco Busenello durch das Bild eines Mannes ersetzt, der allein der Triebkraft der Erotik folgt. Ottavia, Gattin und Kaiserin, wird skrupellos aus dem Weg geräumt und aus der Stadt verbannt, um Platz für Poppea zu schaffen, auf dem Thron wie im Bett. „Unsere Kaiserin“, berichtet der Zweite Soldat (Armando Elizondo), „verzehrt sich in Tränen, und Nero verachtet sie wegen Poppea. In Armenien ist Aufstand, ihn kümmert‘s nicht.“
Mit Huffmans Maxime, seine Poppea-Inszenierung aus dem historischen Konstrukt der antiken Hierarchien und mythischen Beziehungen herauszunehmen, wandelt sich auch das Personal auf der Bühne. Die Akteure verbleiben zwar formal in ihren Rollen, sind indes auf privater Glückssuche oder geheimnisvollen Lebenspfaden, deren Ziele im Zweifel nur sie selbst kennen. Hat doch Amor im Prolog die Devise ausgegeben, dass es allein der Mensch ist, der sein Schicksal bestimmt. Camille Poul gestaltet ihn wie Valetto, den Pagen, mit vokaler Vitalität.
Profan, bisweilen schlüpfrig geht es zu, so dass fast logisch zwischendurch ein Staubsauger zum Einsatz kommt. Der Hofpoet Lucano, dem Laurence Kilsby mit süffiger Stimme Konturen schenkt, wird unversehens von Nerone in eine erotische Szene à trois einbezogen, die er stimmlich besser übersteht als physisch. Minuten lang verweilt Drusilla im Badeanzug mit Ottone im Finale im Hintergrund, was nicht gerade ein Glücksgriff der Regie ist. Maria Koroleva, auch Fortuna im Prolog, ficht dies nicht groß an, weil sie mit ihrem subtilen Sopran längst gewonnen hat.
Als Ottone ist der Countertenor Paul-Antoine Bénos-Djian eine fabelhafte Besetzung. Berührend in der Zerrissenheit seines Herzens, ob er es wagen soll, Poppea auf Druck Ottavias zu töten und dafür Drusilla, seine Ex-Geliebte, einzuspannen. Ihm steht mit Jake Arditti als Nerone der zweite Countertenor dieser Aufführung mitnichten nach. Er erreicht mit seiner Kraft und Vehemenz mühelos jene stimmlichen Höhen, die diese Partie in seinem Fach begehrenswert machen. Als Darsteller kann man ihm den rücksichtslosen Imperator vollends abnehmen, wodurch er sich von der einzigen aristokratischen Figur, Ottavia, unterscheidet. Adriana Bastidas-Gamboa gibt der Verstoßenen mit dunkel gefärbtem Mezzo in Trauer-Schwarz einen Rest von Würde. Elsa Benoit ist mit sinnlicher Ausstrahlung und ihrem farbenreichen Sopran eine Poppea, die über Leichen geht, so keinerlei Skrupel hat, Nerone den Tod von Seneca einzuflüstern. Die Liquidierung dieses „listigen Philosophen“, wie Poppea zündelt, „der das Volk überzeugen will, dass eigentlich er das Zepter in der Hand hält“.
Mit dem Philosophen ist eine Person im Aufgebot, die die Machtspiele und Intrigen durchschaut. Er macht aus seinen Erkenntnissen keine Mördergrube, wenn er den königlichen und kaiserlichen Purpur als mit „spitzen Dornen und Stacheln verwoben“ beschreibt. Nerone, dem die Kritik Senecas an seiner Herrschaft buchstäblich auf die Nerven geht, befielt seinen Suizid. Damit bedient die Oper ein zweites Mal ein gern kolportiertes Narrativ. Zumindest ist nicht ausgeschlossen, erinnert man sich an Poppeas Worte, dass Seneca auf Grund eigener Machtinteressen bei Nerone auf Ungnade stößt. Huffman lässt Seneca ungeachtet seines Todes auch im dritten Akt auftreten. Es scheint, dass dem Regisseur die kritische Stimme des Philosophen, der die Öffentlichkeit sucht, gerade heute unverzichtbar ist. Bedauerlicherweise ist Christoph Seidl als Seneca die Stimme, die im insgesamt bravourös agierenden Ensemble der Sängerdarsteller deutlich abfällt.
Als gelte es, dieses Manko auszugleichen, begeistert John Heuzenroeder durch die Verschmelzung beider Ammenrollen als Arnalta, Amme Poppeas, und Nutrice, Amme Ottavias, das Publikum mit Haut, Haar und Stimme. In der Hauptstadt des rheinischen Karnevals, durchaus eine Parallele zu Venedig zur Zeit Monteverdis, imponiert der Tenor mit dem breiten Rollenspektrum durch wirbelnden Spielwitz und komödiantisches Naturtalent. Er kann auf die Sympathie des Saales bauen, als er in seinem Schlusswort seinen Aufstieg in die besseren Kreise Roms feiert und sich Reichtum im nächsten Leben verspricht.
„Kein Verehrer der Tugend“, proklamiert die Glücksbotin im Prolog, „kann auf großen Reichtum oder Ruhm hoffen ohne den Schutz Fortunas.“ Ob das Publikum diese Sentenz noch in Erinnerung hat, als es mit anhaltendem Jubel alle Mitwirkenden inklusive Regieteam feiert, insbesondere Heuzenroeder, bleibt unbeantwortet. Vielleicht ist es auch angenehmer, diese Erkenntnis wie die Maxime der Regie zu verdrängen. Zu bedrückend ist die Wahrheit, die sich mit dem Meisterwerk des Barocks verbindet, bis in unsere Gegenwart.
Dr. Ralf Siepmann
Copyright Foto: Matthias Jung
08. Mai 2024 | Drucken
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