Umjubelte Wiederentdeckung ungeachtet der Ambivalenz von Werk und Komponist

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Columbus Werner Egk Besuch am 16. Juni 2024 Premiere

Theater Bonn Opernhaus

Bruch mit einem Narrativ: Umjubelte Wiederentdeckung ungeachtet der Ambivalenz von Werk und Komponist

Über Jahrhunderte hält sich das Narrativ von Christoph Kolumbus als dem Entdecker der „neuen Welt“, der den Heiden Hispaniolas das Christentum bringt und der „alten Welt“ ein neues Zeitalter der Prosperität sichert. Noch 1992 feiert Ridley Scott in 1492 – Die Eroberung des Paradieses, einem Rausch der Bilder und der Filmmusik, den Genueser Cristoforo Columbo in kastilischen Diensten als Heroen an der Linie zum historischen Kitsch. Columbus, die 1932 von Werner Egk als Auftrag für den Rundfunk verfasste Oper, weicht von diesem Deutungsstandard durch einen Bruch mit dem Narrativ ab, radikal.

Die Neuinszenierung am Theater Bonn holt die vertonte Anklage gegen Kolonialismus, Völkermord und Ausbeutung aus dem Vergessen. Columbus in den Spielplan aufzunehmen, ist ein sehr ambivalentes Unterfangen. Mit Egk, der seinen Namen Quellen zufolge aus dem Akronym „Ein guter Komponist“ ableitet, setzt sich ein Künstler mit Schuld und Verantwortung auseinander, der sich selbst dieser Auseinandersetzung entzieht. Ob es plausibel ist, die Wiederentdeckung dem Bonner Rechercheprojekt Fokus’33 zuzuordnen, das dem Verschwinden und Vergessen von Werken des Musiktheaters durch das NS-Regime nachspürt, mag mit Blick auf den Komponisten eine offene Frage bleiben.

Egks Laufbahn erreicht ihren Zenit in der NS-Zeit mit Kompositionen etwa für die Olympischen Spiele 1936 und einem hohen Amt in der Reichsmusikkammer. In der Nachkriegszeit geriert er sich als Antifaschist und bringt den Entnazifizierungsprozess in der kurzen Zeit von zwei Jahren hinter sich. Ein schillernder Charakter, dem es mit deutschsprachigen Opern wie der Verlobung in Santo Domingo nach Heinrich von Kleist gelingt, den Ruf eines „Komponisten des Wiederaufbaus“ zu erlangen. Verdikte wie das des Musikkritikers Konrad Boehmer, der Egk, nunmehr Präsident des Deutschen Musikrats, 1969 im SPIEGEL als „eine der übelsten Figuren nationalsozialistischer Musikpolitik“ apostrophiert, bleiben ohne substantielle Wirkung.

Egks Schilderung der ersten Reise des Kolumbus in das unbekannte Amerika, von ihm zur Unterstreichung des dokumentarischen Charakters Bericht und Bildnis in drei Teilen benannt, wird im Juli 1933 im Bayerischen Rundfunk gesendet. 1942 wird sie an den Städtischen Bühnen Frankfurt szenisch gegeben. Wie Egks 1938 während seiner Zeit als Kapellmeister an der Berliner Staatsoper aufgeführte Oper Peer Gynt ist auchColumbus mit der Ideologie des Regimes kaum vereinbar, wird aber akzeptiert. Für die von Goebbels kontrollierte NS-Kulturpolitik ist Egks Sicht auf Kolumbus eigentlich ein Affront. Sie kann heute durchaus als Ausdruck einer künstlerischen Courage gesehen werden.

Nicht die Ambivalenz des Erforschers interessiert Egk primär. Es ist vielmehr die strukturelle Gewalt, die er als Begleiterscheinung von Eroberungen sieht. Die Gier nach Gold und Macht, nach einem paradiesischen Diesseits verwandelt in seinen Augen jeglichen Fortschritt in ihr Gegenteil, in eine Hölle, in der Kriminalität und Korruption vorherrschend sind. Keiner der Protagonisten in Columbus erfährt die Erfüllung seiner Sehnsüchte, gar Glück.

Jakob Peters-Messer, in Bonn mit seiner Inszenierung von Giacomo Meyerbeers Ein Feldlager in Schlesien noch in bester Erinnerung, orientiert sich in seiner Umsetzung von Egks oratorischer Komposition an Formen von Brechts epischem Theater. In seinen Berliner Jahren unterhält der Komponist Beziehungen zur Künstlergruppe um Bert Brecht und Kurt Weill, was Egk ebenso wie seine kompositorische Nähe zu Igor Strawinsky geflissentlich unterstreicht, wenn er auf seine Verstrickungen mit der NS-Kulturpolitik angesprochen wird. Wie im epischen Theater lässt Peters-Messer die Protagonisten immer mal wieder aus ihrer Rolle aussteigen und aus der Distanz auf sich blicken.

Zwei Sprecher, von Bernd Braun undChristoph Gummert mit engagiertem Einsatz zu regelrechten Rollen gesteigert, ordnen die Handlung kommentierend ein, wobei der eine als Visionär, der andere als Skeptiker die Mission des Kolumbus begleiten. Der Regisseur will sie auf einer Metaebene auch als innere Stimmen des Seefahrers und Entdeckers verstanden wissen. Sie versetzen so das Publikum in die Lage, die inneren Konflikte eines Menschen zu verstehen, der am klerikalen Absolutismus der Herrschaft Kastiliens, der Überschätzung seiner selbst und seinem eigenen Mythos zerbricht.

Für die Bühnenrealisierung der früheren Funkoper, eines Originals mithin ohne Bildvorlagen – die Berliner Columbus-Aufführung zu Egks 70. Geburtstag findet 1971 aus guten Gründen nicht im Opernhaus, sondern im Konzertsaal statt – setzt der Regisseur im Tandem mit Sebastian Hannak (Bühne) und Sven Bindseil (Kostüme) auf einen neoklassizistischen Einheitsraum, ein Geviert in der Art einer Tempelanlage, mit einer davor gelagerten Spielfläche. Diese ist, umgeben von Gold, mit indigener Raumkunst ausgestattet, als hätte sich das Theater in das Depot eines Museums verirrt. Die beiden Sprecher bewegen sich entweder vorn am Bühnenrand oder sind über eine ganze Phalanx von Bildschirmen zu verfolgen., wofür sie – sichtbar für die Besucher – vor digitalen Kameras agieren.

Die von Max Karbe (Licht) und Robi Voigt (Video-Design) besorgte visuelle Verdichtung sorgt für zusätzliche packende Effekte, insbesondere unter Zitierung von Bildern des Krieges, die bis in das 20. Jahrhundert reichen. Das von Hermes Helfricht präzise geführte Beethoven Orchester Bonn ist erhöht auf der Bühne platziert, was den alsbald entstehenden Eindruck eines Kinosounds noch steigert.

Die in neun Bilder unterteilte Szenenfolge spielt sich auf einem Zeitstrang von gerade einmal 95 Minuten in äußerster Komprimierung ab. Das Geschehen der Jahre 1484 bis 1506 reicht von der Audienz des Kolumbus bei König Ferdinand, der ihn zurückweist, über die Unterredung mit der Königin Isabella, die ihm vertraut, das Konzil der Räte, die sich der „starken Anmaßung“ des Seefahrers widersetzen, die Überfahrt mit gedungenen Sträflingen und die vermeintliche Okkupation Indiens, geheiligt durch Kirche und Papst, bis zum bitteren Ende des Kolumbus. Verschwörung der enttäuschten spanischen Goldsucher gegen den „Admiral Indiens“ und dessen Heimbringung in Ketten. Ich höre nichts mehr, antwortet der Eroberer mit ersterbender Stimme auf die Frage Isabellas, ob er nicht höre „einen Laut der Freude in deinem Paradies, Columbus“.

Egks ursprünglich als „weltliches Oratorium“ entstandenes Werk hat einen eklektizistischen Charakter. Auf der Suche nach dokumentarischem Zeitkolorit verwendet der Komponist spanische Volksweisen, Indio-Musik und einen traditionellen spanischen Choral. Anleihen bei seinem Lehrer Carl Orff – unverkennbar bereits im Eingangschor Die hochgelehrten Erdkundigen haben die Welt geteilt in drei Teile –, bei Strawinsky und Arthur Honegger sind unüberhörbar. Komprimiert so zu einem Orchestersatz der straffen Formen und rauen Tonlandschaften, der lediglich von Sequenzen sinfonischer Zwischenmusik unterbrochen wird. Einerseits packt diese Tonalität, wenn zum Beispiel die Streicher vor der Landung in der Fremde rhythmisch die Wellen ausmalen, die gegen die Bordwand der Schiffe schlagen. Andererseits vermag sie die Distanz zur Tragödie des Scheiterns nicht aufzuheben. Der verführerische Verismo eines Giacomo Puccini bleibt eben ausgeblendet.

Zur stilistischen Kühle trägt der von Egk verfasste Text nach Originaldokumenten wie dem historischen Bordbuch sowie Literatur der damaligen Zeit bei, der in seiner missionarischen Rhetorik den ursprünglichen Charakter eines Radiostücks nicht verdecken kann. Der ein Aufkommen vokaler wirklicher Emotionalität nicht zulässt, da auf jede gesungene Passage ein gesprochener Dialog folgt.

Schönes Singen um seiner selbst willen ist dieser Partitur fremd. Die einzige Arie des Kolumbus entfaltet wie seine spätere Passage Ich höre das Heulen nur begrenzt Affekte. Giorgos Kanaris verkörpert die Titelpartie mit baritonaler Eindringlichkeit, vermag aber die strukturellen Schwächen des Werks nicht aufzuheben. Dies gilt ähnlich für Santiago Sánchez, dessen feiner lyrischer Tenor in der Figur des Königs von Spanien kaum zur Geltung kommt. Eine schiere Enttäuschung ist Anna Princeva als Isabella. Ihr in Intonation und Phrasierung unruhiger, phasenweise blasser Sopran ist von einem durchgängigen unnatürlichen Vibrato geprägt, das im Übrigen quer zur Madrider Königin liegt. Weiß doch diese genau, was sie will – in der inszenierten Schlussszene die Nähe zum verlorenen Kolumbus. In weiteren Rollen ragen Carl Rumstadt als Erster Rat/Herold sowie Martin Tzonev als Mönch heraus, der seine Botschaft hinter einem aufgepflanzten Kreuz mit mächtigem Bass vom Rang verkündet.

Wie zumeist in Oratorien ist der Chor des Theaters Bonn, einstudiert von Marco Medved, eine Säule der Aufführung. Dramaturgisch ein Träger der Handlung, musikalisch ein mächtiger Klangkörper, der den diversen historischen Gruppen – Volk, Räten, Geistlichen, Auswanderern und Indios – Farbe und Kontur verleiht.

Im Finale distanziert sich Kolumbus gegenüber der Erscheinung der Isabella von seiner ursprünglichen Vision. Wohl dem Menschen, der Weisheit findet, und dem Menschen, der Verstand bekommt. Denn es ist besser, sie zu besitzen, als Silber, und ihr Ertrag ist besser als Gold. Womöglich klingt im anhaltenden großen Beifall des Publikums für alle Mitwirkenden, auch das Regieteam, diese Essenz noch nach. Sie wäre eine Erkenntnis, die über einen Opernabend hinaus Wirkung zeigen könnte. Vielleicht sogar sollte.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright Foto: Bettina Stöß

 

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