Unfair Ladies: Fragwürdige Regie rückt die Protagonistinnen in das Zentrum der Tragödie

Xl_macbeth_11_christoph_heinrich__mitte__und_chor__extrachor_foto_j_rg_landsberg © Copryright Foto: Jörg Landsberg

Macbeth Giuseppe Verdi Besuch am 10. Dezember 2023 Premiere

Theater Bremen

Unfair Ladies: Fragwürdige Regie rückt die Protagonistinnen in das Zentrum der Tragödie

Die auffällige Vorliebe von Opernregisseuren für Macbeth, die erste von drei Vertonungen eines Stoffs von William Shakespeare durch Giuseppe Verdi, steht in einem eigentümlichen Verhältnis zu der Reserviertheit, mit der das Publikum auf die Fassung der Florentiner Uraufführung 1846 reagiert. Ebenso das in Paris 1865 auf Verdis Überarbeitung. Die Vorbehalte entzünden sich am Fehlen eines primo tenore und an der Aussparung sämtlicher Liebesarien und -duette. Wahrscheinlich ist den Belcanto-verwöhnten Opern-Afficionados der damaligen Zeit die Modernität nicht bewusst, die der Partitur innewohnt. Die sie über die bisherigen neun Werke des Komponisten hinaushebt. Die das Tor zu noch bedeutenderen in der Zukunft weit öffnet.

Das Faible von Regisseuren für das Melodramma entzündet sich zumeist an der Chance, die symbiotische wie toxische Beziehung von Lord und Lady Macbeth dramaturgisch zu erfassen und in packende Bildwelten umzusetzen. Der freie Wille des modernen Menschen, sich für oder gegen die Macht zu entscheiden, das Risiko der physischen Vernichtung für den Fall des Scheiterns einzugehen oder zu verwerfen, macht jede Inszenierung des Macbeth zu einem Exkurs über die Natur des Menschen.

In der jüngsten Annäherung an das Epos aus dem Schottland des elften Jahrhunderts um Macht, Schuld und Sühne für das Theater Bremen rückt Elisabeth Stöppler die Protagonistinnen des Dramas in das Zentrum. Diese Wendung kommt nicht überraschend. Die langjährige Hausregisseurin am Staatstheater Mainz hat einerseits durch eine Reihe von beachteten Inszenierungen Aufmerksamkeit erregt, andererseits durch ideologisch geprägte Sichtweisen irritiert. So zuletzt mit einem queer angelegten Mefistofele von Arrigo Boito in Hannover.

Während die Lady im Shakespeare-Stück zur Kinderlosigkeit verurteilt scheint und hieraus ihren Machtanspruch als Kompensation entwickelt, während sie im Libretto von Francesco Maria Piave aus der Destruktivität ihres Charakters handelt und zur Mordanstifterin wird, stattet die Regisseurin sie in ihrem Bremer Konzept mit einer konsequent feministischen, einer eigenen Agenda aus.

Sie wolle zeigen, erläutert sie ihren Ansatz in einem im Programmheft abgedruckten Interview, „dass sie aus Benachteiligung, immer als Frau übersehen und nicht gefördert worden zu sein, handelt“. Aus dieser Motivation sei ihr Bedürfnis entstanden, „die männliche Oberschicht zu vernichten“. Die Logik der Gewaltspirale, der zufolge die kriminelle Aneignung der Macht unweigerlich ihre Zerstörung durch eine neue verbrecherische Macht auslöst, wird hier durch die Logik eines Geschlechterkriegs überhöht.

Nicht allein dies. Durch Aufwertung der Nebenrolle der Dama, der Kammerfrau der Lady Macbeth, zur Lady Macduff, die in der Tragödie Shakespeares vorkommt, nicht aber bei Verdi, stellt Stöppler ihr eine Kombattantin zur Seite, die offen das soldatische System der Männer anprangert. Sie zeichnet sich obendrein durch etwas aus, was der Lady Macbeth versagt ist: Mutterschaft. Ihre drei Kinder, die Töchter Macduffs, eilen am Saum des Rocks der Mutter durch die Szene.

So prononciert die Ambition, so uneingelöst die Umsetzung. Stöpplers Regie fehlt ein überzeugendes Gesamtkonzept, das in der Lage wäre, die zahlreichen szenischen Einzelideen sowie die Brechungen in der Personenregie zusammenzuführen. Sie verzettelt sich in singulären Aktionen und situativen Gags, bisweilen auf Kosten der musikalischen Darstellung und gegen die Handlungslinie. So im Finale. Lady Macbeth, ob ihrer Taten in den Wahnsinn getrieben, stirbt zwar, vermag aber die Bühne selbständig zu verlassen. Aufrecht enden starke Frauen!

Macbeth stirbt ebenfalls, jedoch nicht im Kampf von Macduff bezwungen, sondern von Lady Macduff mittels Pistole erschossen. Erstaunlich diese Tatkraft, kommt sie doch bis dahin kaum über die Anmutung eines besseren Kindermädchens hinaus. Vittoria! Vittoria!, huldigen die Höflinge und das Volk dem neuen König Malcolm. Doch ein mögliches lieto fine in der Männergesellschaft kommt für Stöppler nicht in Betracht. Ein weiterer Schuss fällt und streckt Duncans Sohn nieder.

Die Bühne von Raimund Orfeo Voigt und Thilo Ullrich könnte aus einer Inszenierung der Bremer Shakespeare-Company stammen. Lord und Lady bewegen sich in einem tiefschwarzen Raum, der durch einen Kubus zentriert wird, teils aus Holz, teils aus Glas. Die Burg von König Duncan. Schon bald der erste Tatort. Zunächst umkreisen die, die ganz nach oben wollen, das Haus wie Belagerer, um nach dem Königsmord von ihm Besitz zu ergreifen. Aus Außenseitern werden Machthaber, die keinerlei Skrupel kennen, ihre Ansprüche mit Gewalt durchzusetzen. Warum aber die geschlossene Bankettgesellschaft von den neuen Herrschern mit Giftgas aus dem Weg geräumt werden musss, bleibt eine offene Frage dieser Regie. Es ist allerdings ein bestürzendes Bild, das die Gedankenkette des Betrachters in eine falsche Richtung lenkt.

Die Kostüme von Nicole Pleuler tun ein Übriges, die Vorstellung einer aristokratischen Gesellschaft des Mittelalters im Keim zu ersticken. Grau-schwarze Alltagskleidung unserer Zeit dominiert. Die Höflinge bilden in schwarzen Anzügen mit dunkler Einheitssonnenbrille eine Drohkulisse, um im Schlussbild zum Untergang der Lordschaft Spalier zu stehen, weitgehend in Unterwäsche. Lediglich der Lady Macbeth ist helle Garderobe gestattet. Doch unter ihrem weißen Mantel trägt auch sie Schwarz.

Ständig hängt jemand am Glimmstängel. Zigaretten, hier Fakes, werden zu den passenden wie den unpassendsten Momenten gereicht. Ein Momentum, das Stöppler auch gegen die Musik behauptet. Nach ihrer Wahnsinnsarie im vierten Akt wird Lady Macbeth übergangslos eine angezündete Zigarette angedient. So kräfteraubend, wird womöglich suggeriert, kann dieser Auftritt folglich nicht gewesen sein.

Zum Eindruck des Verzettelns trägt auch die Eröffnung von Nebenschauplätzen bei. Situationen, die in Text und Partitur deutlich beschrieben sind, werden noch einmal erzählt. Pistolen wandern von Hand zu Hand. Dabei ist doch alles gesagt, wenn Macbeth sich des Dolches entledigen will, gegen den er sich schon zu Beginn gesträubt hat. Irritierend, weil sehr präsent ist Christoph Heinrich in der Rolle des Dieners, hier Servo genannt, als Bote des Todes wie des Lebens. Er zieht Aufmerksamkeit auf sich, die ihm schlicht nicht gebührt.

Die Inszenierung mag sich noch so sehr in Ideologismen steigern, Verdis Musik mit ihren revolutionären Abweichungen vom damaligen Kanon der klassischen italienischen Oper, ihren gespenstischen Wirkungen, dem rhythmischen Furor, den Wahnsinnsausbrüchen der Hauptfiguren findet auch im Theater am Goetheplatz ihr Publikum. Unter der musikalischen Leitung Stefan Klingeles spielen sich die Bremer Philharmoniker vor allem in den Tutti-Passagen in prächtiges Verdi-Format. Der von Noori Cho einstudierte Opernchor füllt die „dritte Hauptrolle“, in der ihn Verdi sah, einfühlsam aus. Als flirrende Spukgestalten zu Beginn mit ihren Weissagungen. Patriotisch berührend als Geflüchtete mit Patria oppressa! Il dolce nome.

Dass die Macbeth-Premiere überhaupt über die Bühne geht, ist dem Bariton Hrólfur Sæmundsson zu danken, der 48 Stunden vor der Aufführung für den erkrankten Elias Gyungseog Han einspringt. Der Isländer, in der Titelpartie jüngst auch eine Stütze der Serie von Macbeth-Vorstellungen an der Deutschen Oper am Rhein, zeichnet die Figur des beseelten, verletzlichen, letztlich erbarmungswürdigen Feldherrn mit einer Selbstverständlichkeit, als sei er von Anfang an Teil der Produktion gewesen. Mit packendem Spiel und warmem Melos in der Mittellage durchwandert er die psychotischen Seelentäler eines Mannes, der seiner selbst niemals sicher ist.

Als Lady Macbeth ist Sarah-Jane Brandon eine passable, wenn auch nicht überbordende Besetzung. Ihr dramatischer Sopran stemmt zwar die von Verdi verlangten flackernden Spitzentöne, verfehlt aber in der Mittellage und im tiefen Register die dämonische Schwärze, die den Charakter dieser Handlangerin der Macht ausmacht. Elisa Birkenheier in der Rolle ihrer Komplizin Lady Macduff agiert unauffällig, wie es ihrer eigentlichen Rolle als Dama entspricht. Dem Banquo von Hidenori Inoue ermangelt es an Prägnanz und Melos. Zudem verwässert ein unnatürliches Vibrato den Eindruck, der sich aus der martialischen Figur gewinnen ließe.

Luis Olivares Sandoval gibt Macduff mit Verve. Seinen einzigen Soloauftritt, die Arie Ah, la paterna mano, baut er zu einem kleinen Bravourstück aus. Zusammen mit Ian Spinetti in der Partie des Malcolm brilliert er in dem furiosen Duett Dove siam? ch bosco e quello?. Das Publikum im voll besetzten Haus feiert alle Mitwirkenden überschwänglich, auch das Regieteam. Stürmischer Applaus gilt Sæmundsson, dem Retter der Premiere.

Dr. Ralf Siepmann

Copryright Foto: Jörg Landsberg

 

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