Vom Macho zum Hahnrei: Ensemble der Akademie BelCanto brilliert mit Witz und vokaler Raffinesse.

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Gioachino Rossini L’Italiana in Algeri Rossini in Wildbad Belcanto Opera Festival Kurtheater

Besuch am 21. Juli 2024 Premiere

Vom Macho zum Hahnrei: Ensemble der Akademie BelCanto brilliert mit Witz und vokaler Raffinesse.

Die 35. Ausgabe des Belcanto Opera Festivals Rossini in Wildbad lockt mit drei Opernproduktionen, mit Konzerten im Theater wie mitten im Hochwald auf dem Sommerberg sowie einer Cenerentola für Kinder Klassikbegeisterte in das beschauliche Heilbad an der Enz. Im Festivalspielplan findet sich neben Gioachino Rossinis letzter französischer Buffa Le comte Ory und dem lyrischen Drama Masaniello des Rossini-Freundes Michele Carafa mit L’Italiana in Algeri jene Komposition, mit der der junge Meister von Pesaro 1813 in Venedig die Tradition der sogenannten Türkenoper aufgreift und drei Jahre vor Il barbiere di Siviglia einen ersten Leuchtturm an Elan, Witz und Raffinesse in der Schilderung der Charaktere errichtet.

Rossini nimmt im Sommer 1856, von Straßburg anreisend, Bäder in Bad Wildbad. So ist es in der anerkannten Rossini-Biographie von Richard Osborne vermerkt. Und selbstredend auch in der Chronik des Städtchens im Nordschwarzwald. Erquickt reist der von ganz Europa bewunderte Opernkomponist nach einigen Wochen weiter durch deutsche Lande. Im Leben des Belcanto-Genies und Liebhabers der italienischen und französischen Küche ist die Erholung im prachtvollen Thermalbad kaum mehr als eine Episode. Für das gerade einmal 11.000 Einwohner zählende Wildbad hingegen ist sie bis heute lebendig. In Gestalt des Belcanto-Festivals wirkt sie als eine Art posthumes Geschenk des Komponisten weiter, zum Segen der Gemeinde und ihrer Tourismuswirtschaft. Als Magnet für Belcanto-Afficionados aus Deutschland und benachbarten Ländern wie Frankreich, der Schweiz und den Niederlanden.

Das Dramma giocoso von der Italienerin in Algier auf ein Libretto von Angelo Anelli, das bereits 1808 von Luigi Mosca für die Mailänder Scala vertont, aber alles andere als ein Erfolg wird und nach Rossinis venezianischem Durchbruch aus allen Spielplänen purzelt, erlebt an der Enz in gut eineinhalb Jahrzehnten seine dritte Adaption. 2008 dirigiert der Rossini-Spezialist Alberto Zedda eine bis heute gerühmte Aufführung, aus deren Besetzung die Mezzosopranistin Marianna Pizzolato in der Titelpartie, der Tenor Lawrence Brownlee und der Bass Lorenzo Regazzo herausragen. 2015 folgt eine Semistage-Aufführung. Und nun, neun Jahre später, im gerade einmal 200 Plätze bietenden neobarocken Kurtheater eine Neuinszenierung des Regie führenden Wildbader Intendanten Jochen Schönleber als aktuelles Projekt mit der Akademie BelCanto.

Eine Überfrachtung angesichts von 39 Werken Rossinis für das Musiktheater? Unter dem Eindruck der Premierenvorstellung kann diese Frage mit einem glatten Nein beantwortet werden. Festzumachen an dem anhaltenden Jubel, der sich nach dem zweiten kurz und knapp gehaltenen Finale ungeachtet der hohen Temperaturen in Parkett und Rang erhebt und steigert. Festzumachen vor allem an dem künstlerischen Wert, den die jungen Akteure im Prozess der Erarbeitung und Aufführung der Rossini-Oper im Diskurs mit den Gesangslehrern Filippo Morace und Raul Giménez erwerben. Die geplante mediale Dokumentation der Produktion eignet sich gewiss hervorragend, in die Bewerbungsunterlagen der Sänger für Engagements in spe aufgenommen zu werden.

Der Plot der „perfekten Buffa“ (Schönleber) variiert in orientalischer Manier den Klassiker vom rüpelhaften Macho, der am Ende zum lächerlichen Hahnrei gemacht wird. Hier zum „Pappataci“, der südländischen Spielart des Cocu, des Gefoppten. Algerische Seeräuber nehmen Lindoro und Isabella, zwei junge Italiener, gefangen und bringen sie an den Hof Mustafàs, des Sultans von Algerien. Dort herrscht großer Bedarf an Italienern. Die Männer werden versklavt, die Frauen landen im Harem des Beys. Nach allerlei Verwicklungen gelingt es der temperamentvollen Isabella, nicht nur ihren Verlobten Lindoro zu befreien, sondern alle gefangenen Landsleute. In konsequenter Frauensolidarität erreicht sie es überdies, dass Elvira, Mustafàs Ehefrau, die der von ihr gelangweilte Bey aus dem Land vertreiben will, wieder in ihre Rechte eingesetzt wird. Possiamo contentio lasciar queste arene, frohlocken im Finale zwei die glücklichen Italiener, als sie sich auf die Heimreise machen.

Angesichts der Internationalität der Besetzung – mit Dogulan Özkan singt und spielt ein Türke den Mustafà – macht sich Schönleber einen Spaß daraus, die Stereotypen des Librettos und seiner immanenten Haltungen so zu übertreiben, dass sie sich selbst ad absurdum führen. Im von ihm entworfenen Bühnenbild avanciert eine Dönerbude zum Spielort, im Original der kleine Palast des Bey. Mit herrischen Gesten erklärt der Sultan Haly, dem Kapitän der Piratenschiffe, was nun Sache ist. Eben diese kommt in Fahrt, als die Italiener in einem Fiat 126 Bambino in Algier Zwischenstation auf der Rallye Paris-Dakar machen. Isabella, die Olesja Maurer in farbenfrohe Kostüme aus dem Showgeschäft kleidet, zieht im Nu das Interesse, später die Begierde des Mustafà auf sich. Blitzschnell sucht er, das Bild vom anfänglich schlafenden Sultan mit Dickbauch vergessen zu machen.

Schönleber zeichnet diese Isabella, Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, weniger als Primadonna, mehr als Filmdiva, die mit aufreizenden Posen und verführerischen Gesten agiert, als bewege sie sich vor Kameras auf dem roten Teppich von Cannes. Leider ermüdet diese Attitüde auf Grund des begrenzten Repertoires an geeigneten Bewegungen recht früh. Ansonsten erweitert die Personenregie die in Libretto und Partitur ohnehin angelegte Slapstick- und Crescendo-Kultur um zahlreiche witzige Einfälle.

Taddeo, der Isabella begleitet und von ihr zu ihrer Sicherheit als Onkel ausgegeben wird, wird vom Bey zum Kamaikan ernannt, was Schönleber als komödiantische Studie en miniature anlegt. Emmanuel Franco, der einzige bereits Arrivierte im Ensemble mit einer langen Liste an Rollen, auch in Bad Wildbad, mimt diesen Taddeo mit professioneller Spielfreude und vokaler Ornamentik. Er zelebriert förmlich den italienischen Koch mit weißer Kochmütze und hellweißem Kochlöffel, immer auf der Flucht vor Haly, der ihn mit dem Grillspieß bedroht. Franco untermalt seinen Auftritt mit perlender Baritonstimme. Seine Arie Ho un gran peso sulla testa ist in jeder Beziehung köstlich und gekonnt.

Der Belcanto-erfahrene José Miguel Perez versteht es hervorragend, Chor und Orchester der Szymanowski-Philharmonie Krakau auf ein formidables Rossini-Niveau zu führen. Die Philharmoniker laufen vor allem im Finale eins Viva, viva il flagel delle donne zu großer Form auf. Gianluca Ascheri serviert die Klavierbegleitung der Rezitative von der oberen Seitenloge. Der von Agnieszka Ignaszewska-Magiera glänzend eingestellte Chor der Männer bestätigt seine Klasse, ob als Eunuchen, Piraten oder italienische Sklaven.

Die junge, äußerst spielfreudige Besetzung singt auf einem durchweg hohen Niveau. Özkan ist ein Mustafà mit rollenden Augen und bravourösem Bass, leider mit einer für die Rolle etwas zu begrenzten Tessitura. Rätsel gibt Hyunduk Kim als Lindoro auf. Wie sich schon in seiner Auftrittskavatine Languir per una bella erweist, hat seine lyrische Stimme an der Schwelle zum tenore di grazia auf jeden Fall Potential, vor allem in der Höhe. Sie verliert aber durch raue und unruhige Intonation in der Mittellage.

Als Isabella ist die Mezzosopranistin Polina Anikina eine Wucht, wobei ihr affektiertes Agieren ein Stück weit über die konforme Virtuosität der Stimme hinwegtäuscht. Ihre wirkungsvoll in eine Chorszene platzierte Kavatine im ersten Akt Cruda sorte demonstriert die selbstbewusste Italienerin, idealtypisch in der emanzipierten Neapolitanerin verkörpert. Vehemenz reicht aber auf die Dauer nicht, an die großer Vorbilder in dieser Rolle heranzureichen. Oksana Vakula trumpft als Elvira mit einnehmendem Sopran auf, der in den Tutti-Passagen strahlt und die Ensemblenummern krönt. Als Zulma ist die Mezzosopranistin Camilla Carol Farias eine gute Besetzung.

Dies gilt auch für Franceso Bossi als Haly. Nur hat ihm Rossini lediglich eine Arie vergönnt. Le femmine d’Italia nutzt er allerdings weidlich, um sich den verdienten Szenenapplaus abzuholen. Wie weit sich das Ensemble auf Rossini-Valeur eingependelt hat, beweist es im zweiten Akt mit dem wunderbaren Quintett Ti presento di mia man. Eine Satire über Taddeo als Kaimakan.

Bis zum 28. Juli sind noch drei Italiana-Aufführungen in dem Theaterkleinod vorgesehen. Ein lohnender Anreiz, Wildbad und das Enztal zu besuchen.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright Foto: Patrick Pfeiffer

 

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