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Rinaldo Georg Friedrich Händel Besuch am 26. Februar 2025 Premiere am 21. Februar 2025
Badisches Staatstheater Karlsruhe Internationale Händel-Festspiele
Wenn die Spatzen Almirenas Liebesbeteuerung umflattern
Zum dritten Mal nach 1981 und 2014 steht Rinaldo auf dem Programm der Internationalen Händel-Festspiele Karlsruhe. Deren Ausgestaltung liegt seit dieser Spielzeit in den Händen eines neuen Leitungsteams, angeführt von Christoph von Bernuth. Die Neuproduktion mit zwei ausgewiesenen Spezialisten der Barockmusik, dem Regisseur Hinrich Horstkotte, der auch für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, und Rinaldo Alessandrini am Pult der Deutschen Händel-Solisten, bestätigt einmal mehr das künstlerische Niveau der Festspiele seit ihrer Gründung 1978. Die Profilierung des Ortes mit eigener barocker Geschichte und Stadtstruktur. Als Zentrum einer programmatischen Ambition, die den 42 vollständigen Werken von Georg Friedrich Händel für die Opernbühne regelmäßig neue Aspekte und Sichtweisen abgewinnt, renommierte Künstler wie Afficionados der Barock-Musik anzieht.
1711 gelingt dem 25jährigen Händel mit seiner Zauberoper Rinaldo der Durchbruch in London. Die Musiknummern, die zum Teil aus zuvor in Italien entstandenen Werken stammen, entzücken das verwöhnte Publikum der englischen Metropole. Die Arie Lascia ch’io pianga derAlmirenaundCara sposa, die Klage des Rinaldo, avancieren zu Hits. Nicht wenig trägt die imposante Bühnenausstattung des Haymarket Theatre mit ihrer spektakulären Technik zum Erfolg bei Publikum und Kritik bei. Zum Einsatz kommen komplexe Flugmaschinen, riesige Drachen und lebende Vögel, die Almirenas Liebeserklärung Augelletti, che cantata gegenüber Rinaldo umflattern und im Theater allerlei Turbulenzen auslösen, nicht nur willkommene. Der Kastrat Nicolini gleitet in einem offenen Boot über einen See aus Pappmaché, zum Ergötzen der Besucher, zur Belustigung der Presse.
An diese spektakuläre Aufführungstradition knüpft die Inszenierung des Kreuzritteropus im Badischen Staatstheater an. Ihr liegt allerdings – anders als 1981 – die seltener gespielte Zweitfassung von 1731 zugrunde, die die musikalische Charakterisierung der Darsteller in das Zentrum rückt. Dieser doppelte Rekurs, einerseits auf die technische Märchenwelt des voll entfalteten Barocktheaters, andererseits auf den galanten italienischen Stil, den der Komponist bei seiner Italien-Reise im ersten Halbjahr 1729 kennenlernt, macht den Reiz der Neuproduktion aus.
Rinaldoauf einen Text des Theaterlibrettisten Giacomo Rossi folgt einer Episode aus Torquato Tassos Epos Gerusalemme liberata von 1575, die zur Zeit der Belagerung Jerusalems durch die Sarazenen um 1100 spielt. Goffredo, alias Gottfried von Bouillon, der Anführer der christlichen Armee, verspricht seinem Mitstreiter Rinaldo im Fall des Sieges seine Tochter Almirena. Er gewährt Argante, dem König von Jerusalem, einen dreitägigen Waffenstillstand, während dessen die Zauberin Armida, die Geliebte Argantes und Regentin von Damaskus, Almirena entführt. Erst als Goffredo einen christlichen Magier zu Hilfe ruft, entwickeln sich die Geschicke in die gewünschte Richtung. Rinaldo und Almirena werden ein Paar. Armida und Argante bekehren sich zum christlichen Glauben, wobei in der Zweitfassung das Religiöse und der Glaubenskrieg in den Hintergrund rücken.
Magie und Zauberei prägen auch Horstkottes Bühne, auf der die Welt nicht physische Realität ist, sondern Kulisse eines imaginären Theaters, einer illusionistischen Vorstellung des Seins. Diese Sicht wird im zweiten Teil manifest, als die Protagonisten in einem sich wellenartig bewegenden Theaterparkett agieren, das als Zitat des Heymarket Theatre fungiert. Jetzt sind es fliegende Fische, Delfine und ein veritabler Drache, die die Kantilenen der Sängerdarsteller begleiten. Sven Stratmanns gekonnten Videobilder der flatternden Sperlinge in einem himmlischen Auge lassen an die Londoner Flugeinlage denken. Eine Luke im Bühnenboden ermöglicht Auftritte aus dem Souterrain, was Assoziationen zu allerlei krabbelndem Getier heraufbeschwört. Almirena schwebt, gewandet in das Weiß der Unschuld, in einem goldenen Käfig von oben ein. Armida im schwarzen Kostüm bevorzugt die Gegenrichtung und entschwindet auf einer Phantasiewolke im Theaterhimmel.
Zu Beginn fällt der Blick auf das Stadtpanorama Jerusalems mit der goldenen Kuppel des Felsendoms im Zentrum, die Armida als Einstieg in die Szene dient. Am Ende ist dieses Jerusalem noch einmal zu sehen, nun aber mit der zerstörten Kuppel. Symbol für die Schrecken des Krieges, den die geläuterten Akteure hinter sich gelassen haben. Die Personenregie erinnert an Horstkottes frühere Phase als Puppenspieler im Marionettentheater. Die Protagonisten agieren ihre Gefühle und Leidenschaften wie an imaginären Fäden gezogen aus. Die äußerst phantasievollen Kostüme korrespondieren eindrucksvoll mit der Ornamentik des Zaubertheaters. Ein Stück irdischer und stereotyper gerieren sich die Dschihadisten. Die Statisten sind mit Patronengürteln bestückt, die mächtig Eindruck machen. Insgesamt ein prachtvolles Spektakel, das Händel und Haymarket-Manager Aaron Hill gewiss gefallen hätte.
Mit der Zweitfassung von Rinaldo verfeinert Händel seine komplexe Musiksprache, was im Zwischenschritt von Giulio Cesare in Egitto von 1724 schon gut zu beobachten ist. Er greift Ouvertüren und Balletteinlagen im französischen Stil auf, erweitert das Repertoire der Instrumentierung und lässt sich neue Rhythmen einfallen, auf denen die Sänger mit festen oder freien Verzierungen ihre Gefühle inszenieren. All dies findet sich in der Rinaldo-Partitur, die in den Deutschen Händel-Solisten, die ihr 40jähriges Bestehen begehen, beste Sachwalter hat. Voran getrieben von einem vorzüglichen Basso continuo mit der Takt gebenden Laute des meisterlichen Sören Leupold. Ist die Abstimmung mit den vokalen Darbietungen auf der Bühne nicht immer stimmig, so imponiert doch Alessandrinis Gespür für die Feinheiten der Kunst Händels. Das können auch die Windmaschine und die Donnerbleche im Orchestergraben nicht vergessen machen, die natürlich zum Repertoire einer Zauberoper gehören.
Das Wesen einer barocken Arie besteht in der Schilderung eines bestimmten Affektes, zumeist unter Verwendung standardisierter Mittel. Mit Rinaldo gelingt es Händel erstmals, diese Ausmalungen von wahren Gefühlslandschaften psychologisch so zu intensivieren, dass die Prototypen seiner Opern vom Publikum als glaubwürdige, gar authentische Figuren wahrgenommen werden. Der Mittelteil von Rinaldo ist ein Musterbeispiel für diese Art des Theaters der Affekte, von vokalen Skulpturen des Verharrens in der Schönheit der Musik. Perfekt kreiert vom legendären Altkastraten Senesino, dem Rinaldo in der Uraufführung der Zweitfassung, wie zeitgenössische Quellen berichten.
Umso bedauerlicher, dass Lawrence Zazzo die Titelrolle zwar mit der Routine von vielen Bühnenjahren gestaltet, leider aber der Partie sängerisch einiges schuldig bleibt. Gelingt dem Countertenor noch die Bravourarie Cara sposa, was vom Publikum mit Szenenbeifall quittiert wird, so kämpft er regelmäßig mit dem Volumen seiner Stimme, die er einige Male in seine ursprüngliche Bariton-Lage abrutschen lässt. Ein Zeichen von Ermüdung?
Als Almirena bildet Suzanne Jerosme gleichsam den Gegenpol, unbeirrt in ihrer Liebe, präsent im Spiel und ausdrucksstark wie nuancenreich mit ihrem Sopran, der jede Schwierigkeit und jede Koloratur meistert. So avanciert ihre Parforce durch Orchestergraben und Parkett während ihrer Erleichterung verströmenden Arie im letzten Akt zu einem gewollten Schaulaufen, das ihr die Regie schenkt und das Publikum begeistert. Ein starker Auftritt der Französin.! Die Mezzosopranistin Valeria Girardello gibt der Armida das Durchtriebene und Bösartige wie das Verspielt-Groteske einer Zauberin. Mit Vehemenz und Schärfe ruft sie die Krieger auf das Schlachtfeld. Schade, dass ihre bellizistische Arie Vo‘ far guerro aus der ersten Fassung in der zweiten fehlt.
Die Altistin Francesca Ascioti punktet in der Hosenrolle des Argante, die in der Uraufführung der ersten Fassung mit einem Bass besetzt war. Der Tenor Jorge Navarro Colorado verleiht Goffredo die aristokratischen Merkmale des designierten Herrschers. Er strömt Besonnenheit und Würde aus, profiliert sich als Fels in der Brandung.
Das Publikum der zweiten Aufführung nach der Premiere im proppenvoll besetzten Theater ist schier aus dem Häuschen, nachdem sich nach und nach die Mitwirkenden präsentieren. Es jubelt und will, wie es scheint, selbst nach dreieinhalb Stunden Händel-Musik kein Ende finden. Auch die Versteigerung der von Horstkotte geschaffenen Rinaldo-Figurinen am 4. März, dem Tag der letzten Rinaldo-Aufführung, dürfte ihre Interessenten finden. Karlsruhe, zwei Wochen eine Stadt im Zeichen Händels.
Dr. Ralf Siepmann
Copyright Foto: Felix Grünschloß
01. März 2025 | Drucken
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