Klagenfurt: Der britisch-deutsche Dirigent Tim Anderson dirigiert am Stadttheater die Oper „Il canto s’attrista, perché?“ von Salvatore Sciarrino erstmalig vor Publikum
Wie laufen die Proben zur Oper?
Tim Anderson: Ausgezeichnet. Immerhin haben wir sie ja schon in Klagenfurt 2021 uraufgeführt, damals coronabedingt noch ohne Publikum. Das Orchester, zu dem ich ein ganz tolles Verhältnis habe, und die Sänger agieren hochambitioniert und hochkonzentriert.
Wie kamen sie überhaupt zur Musik?
Anderson: Meine Eltern, (Mein Vater ist Engländer, meine Mutter Deutsche aus Konstanz), die mit Musik kaum etwas zu tun hatten, schenkten mir als Kind ein Keyboard. Dort soll ich bald das „Wiegenlied“ von Brahms gespielt haben. Schlüsselerlebnis war aber ein Besuch der Bregenzer Festspiele von Puccinis „Tosca“ als Teenager mit ca. 16 Jahren. Danach wollte ich unbedingt Musik studieren. Dies geschah in London und Oxford. Von dort engagierte mich Gerard Mortier, der hier eine Professur innehatte, direkt als Korrepetitor nach Madrid ins Teatro Real und gleich für „Tristan und Isolde“ und dann für „Lohengrin“.
Sie gelten als Spezialist für zeitgenössische Musik, wie kam es dazu?
Anderson: Das war 2014: Da durfte ich an der English National Opera in London bei einem Stück von John Adams assistieren und dann 2017 in Glyndebourne bei „Hamlet“, einer Oper von Brett Dean. Da hat mich der zeitgenössische Virus gepackt. Ich mag diese Herausforderungen, diese Neuheiten im Sound, diese kompositorischen Freiheiten.
Einige Zuhörer fürchten sich vor zeitgenössischer Musik…
Anderson: Das brauchen sie nicht, denn insbesondere die Sciarrino-Oper hat einen so starken musikalischen Sog, der einen mitnimmt und gefangen hält. Der italienische Komponist verwendet seine ganz typischen Stilmittel und Konstruktionen, die er „gleitende Silbenartikulation“ nennt: Dabei erzeugt ein langer, gezogener Ton viel Spannung, worauf dann nach einer Pause die Entspannung folgt, die wie ein „Nachtigall Gesang“ klingt. Das Stück ist zudem von Inhalt her ein sehr spannendes Psychodrama aus der Antike aus der „Orestie“ von Aischylos und ist auch sehr packend inszeniert.
Welche Opern haben Sie sonst schon dirigiert?
Anderson: „Powder Her Face“ von Thomas Ades in Dresden, „Denis and Katya“ von Philip Venables in Amsterdam, Montpellier und London, „Greek“ von Mark-Anthony Turnage in London.
Was empfinden Sie persönlich ihre bisherigen Karriere-Highlights?
Anderson:Das war zweifellos die Uraufführung 2023 der Oper “Hiob“ von Bernhard Lang am Klagenfurter Stadttheater, das war für mich ein großer Erfolg. Aber auch die Konzerte mit dem Klangforum Wien.
Ihr Dirigier-Wunschtraum?
Anderson: „Tristan und Isolde“ von Wagner und Werke von Richard Strauss, den ich noch nie dirigiert habe.
Welche zukünftigen Pläne gibt es nach Klagenfurt?
Anderson: „Hamlet“ von Brett Dean in Sydney aber auch in Wien ein Konzert mit dem Klangforum, mit dem wir das Werk „11.000 Saiten“ von Georg Friedrich Haas, bei dem 50 Pianisten im Raum verteilt mitwirken, deren Klaviere alle mikrotonal anders gestimmt sind, aufführen werden.
Sie werden auch ein Konzert mit dem Kärntner Sinfonieorchester dirigieren…
Anderson: Auf das freue ich mich auch ganz besonders. Außer Arvo Pärt einmal nichts Zeitgenössisches, sondern das Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester von Schostakowitsch und Prokofjew 5. Symphonie. Ich dirigiere alle Stücke zum ersten Mal!
Zur Person:
Tim Anderson
31 Jahre alt, in London geboren, Studien in London und Oxford. Assistenzen bei Dirigenten wie Ivor Bolton, Vladimir Jurowski, Donald Runnicles. Dirigate am Royal Opera House Covent Garden London, Teatro Real Madrid, Niederländische Staatsoper, Montpellier, Dresden und in Australien. Im Konzertbereich Zusammenarbeit mit Neue-Musikensembles wie dem Klangforum Wien, der London Sinfonietta zusammen und dirigierte bereits im Wiener Konzerthaus, London Barbican. Er dirigierte eine Reihe von Uraufführungen, so auch am Stadttheater Klagenfurt die beiden Opern-Uraufführungen „Hiob“ von Bernhard Lang sowie „Il canto s’attrista perche?“ von Salvatore Sciarrino.
Zum Stück:
„Il canto s’attrista, perché?“("Der Gesang wird traurig, warum?") von Salvatore Sciarrino, Szenen nach Aischylos, Libretto vom Komponisten, Auftragswerk des Stadttheaters Klagenfurt in Kooperation mit den Wuppertaler Bühnen – in italienischer Sprache - UA 2021 in Klagenfurt ohne Publikum
Im Zentrum der Handlung steht die furchtbare Rache Klytämnestras an Agamemnon, die ihrem Gatten weder die Opferung ihrer Tochter Iphigenie noch den Ehebruch verzeihen kann und diesen schließlich ermordet.
Dr. Helmut Christian Mayer
28. Januar 2024 | Drucken
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