Erste sängerische Sahne bei Verdis "Otello" an der Wiener Staatsoper

Xl_otello-wien-9-21-1 © Michael Pöhn

Er ist bereits 67 Jahre alt, aber das merkt man ihm weder sängerisch noch szenisch an: Denn Gregory Kunde singt den Titelhelden mit völlig unangestrengten, strahlenden Höhen. Zudem kann der US-amerikanische Tenor mit vielen Farben und kraftvollem Gesang aber auch feinsten Piani faszinieren. Vom seinem hochdramatischen, triumphalen „Esultate!“ nach der gewonnenen Schlacht gleich bei seinem ersten Auftritt bis hin zum tragischen Finale weiß er auch szenisch ungemein zu berühren.

Wie überhaupt bei der Wiederaufnahme von Giuseppe Verdis „Otello an der Wiener Staatsoper eine Sängerschar von erster Sahne angetreten ist. Neben ihm besticht auch der Intrigant Jago in der Person des Ludovic Tézier mit ungemeiner Bühnenpräsenz. Sein edler Bariton ist reich an Nuancen. Er verfügt über ein kräftiges Volumen und stahlt vor allem eine immense bösartige Dämonie aus. Er ist ein Jago zum Fürchten. Spannungsvolle Wirkung erzielt er so auch bei seinem berühmten „Credo“.

Die US-amerikanische Sopranistin Rachel Willis-Sørensen wird ihrer zugedachten Rolle, nämlich die Lichtgestalt zu sein, voll gerecht. Sie zeigt ihre reine Unschuld mit innigen Pianotönen und zarten, gefühlvollen Phrasierungen und sehr hohem lyrischen Niveau. Besonders das „Lied von der Weide“ wie auch das von berechtigten Todesahnungen gezeichnete „Ave Maria wird durch wunderbare, kaum mehr hörbare Tönen zum Ereignis. Auch Freddie De Tommaso als Cassio gefällt mit seinem hellem, lyrischen Tenor, nur wirkt seine Interpretation recht statisch. Von den anderen kleineren Partien, die alle sehr ordentlich besetzt, gefallen noch besonders Monika Bohinec als Emilia und Carlos Osuna als Roderigo. Extra erwähnt sei noch der stimmgewaltig und homogen singende Staatsopernchor (Leitung: Thomas Lang).

Bertrand De Billy am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper liebt den großen Sound. Er entfesselt die dramatischen, nur manchmal zu lauten Ausbrüche geradezu und baut enorme Spannungsbögen auf. Er agiert aber auch mit großer Detailverliebtheit und auch mit sanften Lyrismen.

Die Inszenierung von Adrian Noble vom Juni 2019 wirkt etwas antiquiert und immer noch etwas verstaubt. Zudem verlegt der Regisseur die Geschichte aus nicht nachvollziehbaren Gründen in entsprechenden altmodischen Kostümen noch vom 15. Jahrhundert in den Anfang des 20. Jahrhunderts. Allerdings sorgt das Schlussbild mit den Unmengen von brennenden Kerzen und den sanften Lichtstimmungen doch für stimmige Emotionen.

Zum Finale gibt es einen riesigen Jubel für alle Beteiligten vom uneingeschränkt begeisterten Publikum.

Dr. Helmut Christian Mayer

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