Wagners „Parsifal“ an der Wiener Staatsoper: Nicht funktionierende szenische Tristesse gegen musikalische Luxusklasse

Xl_parsifal-wien-4-21-1 © Michael Pöhn

Zugegeben, Richard Wagners „Parsifal seltsam mythische und semireligiöse Geschichte von den Gralsrittern ist schwer erklär- und vermittelbar. Kirill Serebrennikov meint dazu, dass das Verständnis nur erschwert würde, wenn man Gralsritter und Zauberer auf die Bühne brächte. Man versteht auch, dass der russische Regisseur seine biografische Vorgeschichte hat: Er wurde von der schwer durchschaubaren, russischen Justiz verfolgt, musste systembedingt Gefängnisluft atmen und viel Zeit im Hausarrest verbringen. Und so ein Gefängnis ist sicher ein trauriger, gottentfernter Ort, dessen geschundene Gefangene vielleicht nach Erlösung suchen. Aber das Bühnenfestweihspiel deshalb in ein tristes Gefängnis zu verlegen und dieses zur zentralen Metapher der Aufführung zu machen, wie der Regisseur es tut, trägt keinen Opernabend, bringt keinen neuen Erkenntnisgewinn, funktioniert einfach nicht und spießt sich an allen Ecken und Enden. Die Erarbeitung seiner mit Spannung erwarteten Neuinszenierung an der Wiener Staatsoper konnte auch nur mittels Video-Schaltung erfolgen, da Serebrennikov nach wie vor Russland nicht verlassen darf und deshalb nicht nach Wien reisen durfte. Und nur ein kleiner Kreis von Journalisten durften an der Premiere im sonst leeren Saal der Staatsoper teilnehmen.

Und so sieht man einen öden, einstöckigen Gefängnistrakt voll Tristesse mit vergitterten Zellen, turnenden Häftlingen und stetigen brutalen Gewaltakten: Es sind die Gralsritter, natürlich in hässlicher Häftlingskleidung, die hier in ihrer Gedankenwelt eingesperrt sind. Auch Gurnemanz, der sich ständig selbst ritzende, blutverschmierte Amfortas und später auch Parsifal sind offensichtlich Häftlinge. Parsifal hat keinen Schwan, sondern einem Mithäftling mit einer Federkleidtätowierung mittels Rasierklinge die Halsader durchgeschnitten, als dieser sich ihm unsittlich nähern wollte. Dies sieht man detailliert grausam auf drei großen Projektionsflächen über der Bühne. Apropos Projektionen: Fast ständig flimmern diese zusätzlich, nerven zunehmend und lenken von der eigentlichen Handlung ab: Massige Körper von Häftlingen in allen Lebenslagen mit Tätowierungen von Symbolen aus der Geschichte werden gezeigt, wie Speere, Kelche, eine Dornenkrone aus Stacheldraht etc. Oft wird der junge, in Schneefeldern, Betonbunkern oder im Gefängnishof herumstreifende Parsifal gezeigt. Apropos junger Parsifal: Hier kam der Regisseur auf die nicht mehr neue und schon zu oft praktizierte Idee die Titelfigur zu verdoppeln, was nur teilweise funktioniert: Der „alte“ Parsifal erinnert sich meist an der Rampe singend und kaum agierend, an seine Jugend und seinen ehemaligen Gefängnisaufenthalt.  Und so fungiert der „junge“ Parsifal, der vom Schauspieler Nikolay Sidorenko überzeugend dargestellt wird, als Alter Ego. Er wird von Mithäftlingen zusammengeschlagen, rennt hektisch oder turnt sinnlos herum und lässt sich von Kundry beinahe verführen. Apropos Kundry: Diese wird als eine kühle Reporterin, die ständig fotografierend eine Gefängnisreportage für ein Magazin „Schloss“ macht aber auch Substanzen einschmuggelt und vom Schicksal des jungen Parsifal schwer beeindruckt ist, dargestellt.  Und so kehrt sie im zweiten Akt in die Redaktion statt in ein Zauberschloss zurück, wo die Blumenmädchen auch Mitarbeiterinnen sind und alle hinter dem Jungen her sind. Geleitet wird das Magazin vom unsympathischen Medienmogul Klingsor, den sie nach der missglückten Verführungsszene zum Schluss einfach erschießt. Speer braucht Serebrennikov natürlich auch keinen, wozu auch? Bei der Gralsenthüllung wird ein Kelch aus einem Postpaket für einen Häftling, bei der Kontrolle durch die Gefängniswärter ausgepackt und hochgehalten. Zum Finale taucht der Gral überhaupt nicht mehr auf, da werden stattdessen von Parsifal alle Zellentüren geöffnet und den vermutlich politischen Gefangenen wird als schöne Schlussgeste die Freiheit geschenkt. Sie haben auch die Hölle in sich überwunden. Die bekehrte Kundry sinkt nicht tot zu Boden, sondern humpelt mit Amfortas ins Licht. Nur Parsifal bleibt zurück. War das alles nur ein Traum? Es ist müßig sagen zu müssen, dass sich der originale Text kaum mit diesem Konzept verträgt.

Musikalisch ist hingegen alles eitel und Wonne, vor allem bei dieser Weltklassebesetzung: Gespannt war man natürlich auf das Rollendebüt von Elina Garanca als Kundry. Die lettische Mezzosopranistin ist kein reines Leidensgeschöpf, sondern fasziniert als modern gekleidete, ergraute Schöne, die mit vielen Farben und Nuancen ihres wunderbaren Organs singt. Jonas Kaufmann leiht der Titelfigur wieder seinen samtigen Tenor samt wunderbarer Piani. Georg Zeppenfeld gibt einen ungemein wortdeutlichen, klar konturierten und edlen Gurnemanz und hat für die lange Erzählrolle eine tolle Kondition. Purer Luxus ist auch Ludovic Tézier als stark leidender Amfortas mit höchster Stimmkultur. Wolfgang Koch ist ein widerlich böser, kraftvoller Klingsor. Aus dem Off hört man Stefan Czerny als profunden Titurel. Ideal besetzt sind auch die vielen kleineren Rollen. Homogen und wohlklingend vernimmt man den Chor der Wiener Staatsoper (Einstudierung: Thomas Lang).

Das bestens disponierte Orchester der Wiener Staatsoper unter seinem neuen Musikchef Philippe Jordan erzeugt einen fein abgestuften Luxusklang von Wagners Klangwelten. Vor allem die herrlichen, hochemotionalen Schlüsselstellen werden breit ausgekostet.

Die Aufzeichnung kann ab sofort auf ARTE Concert noch 30 Tage kostenlos angesehen werden.

Dr. Helmut Christian Mayer

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading