Wagners „Parsifal“ an der Wiener Staatsoper: Szenische Zumutung gegen musikalische Oberklasse

Xl_parsifal-wien-4-23-1 © Michael Pöhn

Man kann es wenden, wie man will, aber eigentlich ist diese Inszenierung von Richard Wagners „Parsifal“ von Kirill Serebrennikov (auch für die komplette Ausstattung verantwortlich) aus dem Jahre 2021 an der Wiener Staatsoper, der jetzt traditioneller Weiseum die Osterzeit wiederaufgenommen wurde, eine Zumutung. Man versteht zwar, dass der russische Regisseur seine biografische Vorgeschichte hat: Er wurde von der russischen Justiz verfolgt, musste systembedingt viel Zeit im Gefängnis und im Hausarrest verbringen. Aber das Bühnenfestweihspiel deshalb in ein tristes Gefängnis zu verlegen und dieses zur zentralen Metapher der Aufführung zu machen, wie der Regisseur es tut, trägt keinen Opernabend, bringt keinen neuen Erkenntnisgewinn, funktioniert einfach nicht und ist völlig unschlüssig.

Und so sieht man einen öden, einstöckigen Gefängnistrakt voll Tristesse mit vergitterten Zellen und stetigen brutalen Gewaltakten: Es sind die Gralsritter in hässlicher Häftlingskleidung, die hier in ihrer Gedankenwelt eingesperrt sind. Auch Gurnemanz, der sich ständig selbst ritzende, blutverschmierte Amfortas und später auch Parsifal sind offensichtlich Häftlinge. Parsifal hat keinen Schwan, sondern einem Mithäftling mit einer Federkleidtätowierung mittels Rasierklinge die Halsader durchgeschnitten, als dieser sich ihm unsittlich nähern wollte, was man neben ständig weiteren flimmernden, nervigen Projektionen von Häftlingen in allen Lebenslagen mit Tätowierungen von Symbolen aus der Geschichte wie Speere, Kelche, sieht. Oft wird der junge, in Schneefeldern, Betonbunkern oder im Gefängnishof herumstreifende junge Parsifal gezeigt. Apropos junger Parsifal: Hier kam der Regisseur auf die nicht mehr neue und schon zu oft praktizierte Idee die Titelfigur zu verdoppeln, was nur teilweise funktioniert: Der „alte“ Parsifal erinnert sich meist an der Rampe singend und kaum agierend.  Der „junge“ Parsifal, der vom Schauspieler Nikolay Sidorenko überzeugend dargestellt wird, fungiert als aktives Alter Ego. Kundry ist eine kühle Reporterin, die ständig fotografierend eine Gefängnisreportage macht.  Und so kehrt sie im zweiten Akt in die Redaktion zurück. Geleitet wird das Magazin vom unsympathischen Medienmogul Klingsor, den sie nach der missglückten Verführungsszene zum Schluss einfach erschießt. Speer gibt es natürlich auch keinen. Bei der Gralsenthüllung wird ein Kelch aus einem Postpaket für einen Häftling, bei der Kontrolle durch die Gefängniswärter ausgepackt und hochgehalten. Zum Finale taucht der Gral überhaupt nicht mehr auf, da werden stattdessen von Parsifal alle Zellentüren geöffnet und den vermutlich politischen Gefangenen wird als schöne Schlussgeste die Freiheit geschenkt. Nur Parsifal bleibt zurück.

Sängerisch kann man auch diesmal sehr zufrieden sein: Allen voran singt Franz-Josef Selig einen ungemein wortdeutlichen Gurnemanz mit hoch kultivierter Gesangskultur und hat für die lange Rolle eine enorme Kondition. Klaus Florian Vogt leiht bei seinem Rollendebüt dem Titelhelden seinen bekannten jugendlich, hellen Tenor mit ungefährdeten Höhen. Ekaterina Gubanova ist eine sehr durchschlagskräftige Kundry, Michael Nagy ein intensiv leidender Amfortas, Derek Welton ein böser, kraftvoller Klingsor. Aus dem Off hört man Wolfgang Bankl als profunden Titurel. Ideal besetzt sind auch die vielen kleineren Rollen. Homogen und wohlklingend vernimmt man den Chor der Wiener Staatsoper (Einstudierung: Thomas Lang).

Das Orchester der Wiener Staatsoper unter Philippe Jordan erzeugt nach einem ziemlich breiten und fast schleppenden Beginn sowie manchmal dezibelmäßig ziemlich ausgereizten Tönen, später doch einen fein abgestuften Luxusklang. Vor allem die herrlichen, hochemotionalen Schlüsselstellen werden breit ausgekostet.

Großer Jubel!

Dr. Helmut Christian Mayer

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